Gastkommentar: Deutschland braucht nicht einfach nur mehr Wagniskapital


Ann-Kristin Achleitner ist Professorin und Expertin für Unternehmensfinanzierung, Investorin und Multi-Aufsichtsrätin. Thomas Lange ist Experte für Innovation und Senior Advisor bei Achleitner Ventures.
Technologischer Fortschritt, Wachstum und Wohlstand sowie Fragen der nationalen Sicherheit sind in modernen Volkswirtschaften längst untrennbar miteinander verbunden. Deep-Tech-Start-ups befinden sich im Epizentrum dieses Dreiklangs. Sie haben ihren Ursprung oft in der Wissenschaft und arbeiten an fundamentalen technologischen Durchbrüchen.
Neben Quanten- und Chiptechnologien gehören zum Beispiel auch Künstliche Intelligenz (KI), synthetische Biologie, Weltraum- und Klimatechnologien wie Direct Air Capture und Kernfusion in diese Kategorie.
Allen Deep-Tech-Start-ups gemein ist ihr enormer Kapitalbedarf – was Fragen ihrer Finanzierung auch ins politische Interesse rückt. Dabei stehen fehlendes Wachstumskapital und der zu kleine Kapitalmarkt als chronische Schwächen der Start-up-Finanzierung hierzulande zu Recht im Zentrum der Debatte. Wir sollten uns aber auch weitere, zukunftsorientierte Handlungsoptionen schaffen. Drei hochaktuelle Fragen stehen besonders im Vordergrund.
1. Wir müssen mehr Experten als Investoren gewinnen
Wie gelingt es, mehr ingenieur- und naturwissenschaftliche Talente als Investoren zu gewinnen? Venture-Capital-Fonds stellen Start-ups nicht nur Kapital, sondern auch Wissen und Erfahrung zur Verfügung. Das Stichwort lautet Smart Money.
Neue Industrien, wie etwa New Space, würden sehr von einer noch größeren Zahl spezialisierter Fonds profitieren – Fonds wie Alpine Space Ventures zum Beispiel, die sich auf Weltraumtechnologien konzentrieren.
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Auf Investorenseite sind Experten immer noch rar, die ein tiefgreifendes Verständnis von wissensintensiven Technologien und Geschäftsmodellen haben. Dieser Mangel könnte zu einem Flaschenhals der weiteren Entwicklung von Deep Tech werden.
Eine gezielte Talentoffensive könnte helfen, mehr Physikerinnen, Ingenieure und Biologinnen für eine Tätigkeit bei einem Wagniskapitalfonds zu gewinnen und auszubilden – also an der Schnittstelle von wissenschaftlich-technischen, betriebswirtschaftlichen und Finanzierungsfragen.
Das Council for Science and Technology des britischen Premierministers hatte vor einiger Zeit ebenfalls die gezielte Ausbildung spezialisierter Investoren empfohlen – als erste von drei großen Handlungsfeldern zur Stärkung des Innovationsstandorts Großbritannien. Eine Talentoffensive sollte das Ziel verfolgen, die deutsche Wagniskapitalszene auch für internationale Talente noch attraktiver zu machen.
2. Wir sollten bei Partnerschaften in geopolitischen Alternativen denken
Wie reagieren wir auf die neue geopolitische Realität? Bislang ist unklar, wie sich die Rivalität zwischen den USA und China und der neue Systemwettbewerb auf die europäische Technologie- und Start-up-Szene auswirken wird – nicht nur bezüglich der Absatzmärkte, sondern auch der internationalen Kapitalströme. Noch ist offen, ob Europa sich zu einem eigenständigeren „dritten“ Block entwickeln oder stärker an die USA binden wird.
In jedem Fall zeichnet sich die Golfregion als neues Kraftzentrum der Innovationsfinanzierung ab. Die Vereinigten Arabischen Emirate etwa zeigen ernst zu nehmende Ambitionen, ein führender KI-Standort zu werden. Daraus erwächst nicht nur Konkurrenz, sondern auch die Chance für neue Kooperationen.
Großbritannien beispielsweise hat zur Stärkung des heimischen Life-Science-Sektors ein Investitionsabkommen mit Mubadala geschlossen. Der Staatsfonds aus Abu Dhabi wird binnen fünf Jahren 800 Millionen Pfund in britische Unternehmen investieren; Großbritannien steuert 200 Millionen bei.
3. Wir sollten stärker Synergien zwischen zivilem und militärischem Sektor nutzen
Wie stehen wir zu Dual Use? In den führenden Start-up-Nationen wie den USA und Israel spielt das Militär eine wichtige Rolle in der Technologieförderung. Die Synergien zwischen dem zivilen und dem militärischen Sektor liegen auf der Hand. Schließlich sind die meisten Technologien „dual use“, können also in beiden Bereichen eingesetzt werden. Für Deep Tech trifft das auf besondere Weise zu.
In Deutschland machen wir uns diese Synergien bislang kaum zunutze. Das Sondervermögen für die Bundeswehr und die geplante Aufstockung des Verteidigungsbudgets zur Annäherung an das Nato-Ziel wären eine gute Gelegenheit, auch eine Innovationsoffensive zu starten – vor allem in der Beschaffung, aber auch in der Zusammenarbeit von Bundeswehr, wissenschaftlichen Einrichtungen, Start-ups und Investoren in der Forschung.
Anknüpfungspunkte ergeben sich nicht nur zu Land, zu Wasser und in der Luft, sondern ebenso in der Biotechnologie, im Cyberspace und im Weltraum. Es ist an der Zeit, dass wir in Deutschland beim Thema Start-up-Finanzierung wieder vor die Welle kommen. Stellhebel dafür haben wir genug. Ergreifen wir die Chance!






Die Autoren:
Ann-Kristin Achleitner ist Professorin und Expertin für Unternehmensfinanzierung, Investorin und Multi-Aufsichtsrätin.
Thomas Lange ist Experte für Innovation und Senior Advisor bei Achleitner Ventures.
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