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GastkommentarWir müssen die berufliche Bildung retten

Wir haben den Haupt- und Realschulabschluss entwertet. Ohne Azubis aber gibt es keine neuen Fachkräfte. Dieses System muss sich ändern, fordern Peter Klotzki und Astrid Mannes. 19.12.2022 - 04:00 Uhr Artikel anhören

Gastkommentar 245

Foto: dpa, PR

Die duale Ausbildung bricht gerade massiv ein. Wir verlieren etwas, worum uns die ganze Welt beneidet, und wir schauen tatenlos zu. Was ist passiert?

Die Zahl der unbesetzten Ausbildungsstellen ist auf einem Höchststand. Zu Beginn dieses Ausbildungsjahrs gab es über 200.000 freie Ausbildungsplätze. Der Mangel an Auszubildenden betrifft manche Branchen besonders – wie Hotels und Gaststätten, Baufirmen, ÖPNV, Transportbranche und Handwerk. In den freiberuflichen Praxen und Kanzleien der Ärzte, Apotheken, Rechtsanwälte, Steuerberater, Tier- und Zahnärzte ist die Lage zum Teil dramatisch.

Auf 129.000 besetzte Ausbildungsstellen kommen dort rund 46.000 unbesetzte. Die Ausbildungskrise wächst sich gerade zum Fachkräftemangel aus, der immer virulenter wird. In wenigen Jahren wird die Generation derjenigen, die in den Arbeitsmarkt eintreten, zahlenmäßig nur noch halb so groß sein wie die derjenigen, die ausscheiden.

Die Folgen treffen die gesamte Gesellschaft: Etwa wenn die staatliche Daseinsvorsorge zum Erliegen kommt oder die Ziele der Energiewende bis 2030 nicht erreicht werden, weil pro Jahr 400.000 Fachkräfte fehlen – Planer ebenso wie Handwerker. Es fehlen schlicht Arbeiter, um Ladesäulen oder Windräder aufzubauen. Schon heute können viele private wie auch öffentliche Bau- und Sanierungsmaßnahmen nicht zeitnah ausgeführt werden. In der Gastronomie werden Öffnungszeiten verringert.

Der starke Fokus auf Abitur und Fachabitur ist ein Grund für die Krise

Die Ursachen für diese Krise sind vielfältig. Ein Grund liegt in der starken Fokussierung auf das Abitur. Heute erwirbt in Deutschland rund die Hälfte eines Jahrgangs die Allgemeine Hochschulreife oder Fachhochschulreife. 1950 war es mit fünf Prozent und im Jahr 1985 mit 27,9 Prozent (West-Deutschland) noch eine deutliche Minderheit eines Jahrganges.

Es steht außer Frage, dass diese hohe Abiturientenquote nur über eine starke Senkung der Anforderungen erreicht wurde. Laut Leo-Studie 2018 der Universität Hamburg haben knapp 17 Prozent der funktionalen Analphabeten in Deutschland Abitur oder einen vergleichbaren Schulabschluss. Seit Jahren klagen Ausbildungsbetriebe über fehlende Lese- und Schreibkompetenzen sowie Mathematikkenntnisse.

>>Lesen Sie hier: „Wo heute Azubis fehlen, fehlen morgen Fachkräfte“ – Zahl der unbesetzten Lehrstellen auf Rekordhoch

Die vielen jungen Menschen mit Abitur oder Fachabitur entscheiden sich mehrheitlich für ein Studium und sind nur schwer für eine Berufsausbildung zu begeistern. Durch die Niveausenkung jedoch sind viele Abiturienten gar nicht mehr studierfähig; entsprechend hoch ist die Zahl der Studienabbrecher, die dann verspätet in den Ausbildungsmarkt integriert werden müssen.

Während Vertreter aller Parteien nicht müde werden, die Gleichwertigkeit von Studium und Ausbildung zu betonen, wird diese Gleichwertigkeit gerade durch die Politik selbst ad absurdum geführt. Dadurch, dass man größte Anstrengungen unternimmt, möglichst viele Schüler zum Abitur zu führen, wird der Real- und Hauptschulabschluss de facto zu etwas Zweitklassigem abklassifiziert, das nicht erstrebenswert ist.

Was sich ändern muss

Verwandte Themen Deutschland Schule Berufsausbildung
    Den Wirtschaftsstandort Deutschland werden wir nicht durch hohe Abiturientenquoten sichern, sondern durch eine hohe Qualität der Schulbildung.Wenn das Abitur nicht mehr inflationär vergeben wird, werden sich mehr Jugendliche für eine Ausbildungsstelle interessieren und die Zahl der Studienabbrecher wird sinken.Ein höheres Niveau in allen Schulformen werden wir nur erreichen, wenn sich die Lehrkräfte auf ihre Kernaufgabe der Wissensvermittlung konzentrieren können und von anderweitigen Aufgaben entlastet werden.Der Deutsch- und Mathematikunterricht an Grundschulen muss gestärkt werden. Kinder dürfen die Grundschule nicht ohne Basiskompetenzen verlassen.Auch die frühkindliche Sprachförderung muss ausgebaut werden, denn zu viele Kinder starten in die Schule, ohne richtig Deutsch zu sprechen. Die frühestmögliche Sprachförderung ermöglicht vor allem Kindern mit Migrationshintergrund Integration, Chancengleichheit und gute Bildungserfolge.Viele Jugendliche kennen nur wenige Berufe. Coronabedingt sind in den letzten Jahren oftmals die betrieblichen Schülerpraktika und auch die persönliche Berufsberatung ausgefallen. Die Berufsberatung muss moderner und digitaler werden.Letztlich müssen auch für Betriebe in ländlichen Regionen, die noch größere Probleme haben, ihre Ausbildungsstellen zu besetzen, als Betriebe in den Großstädten, gute Perspektiven geschaffen werden. Wir brauchen einen besseren ÖPNV in ländlichen Regionen, damit Auszubildende ohne Auto ihre Ausbildungsstellen als auch die Berufsschule gut erreichen können.Auch brauchen wir preiswerten Wohnraum, zum Beispiel in Form von Wohnheimen für Auszubildende, damit junge Menschen sich auch fürs Land entscheiden.

Die Autoren:

Peter Klotzki ist Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Freien Berufe. Astrid Mannes ist Bildungspolitikerin (CDU) und war bis 2021 Bundestagsabgeordnete und Mitglied im Ausschuss für Bildung und Forschung.

Mehr: Suche nach Azubis so schwierig wie nie – besonders in diesen Berufen

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