Gastkommentar – Homo oeconomicus: Den Haushältern könnten die Buchungstricks beim Rettungsschirm schon bald auf die Füße fallen

Der Bundeskanzler versprach ein umfassendes Paket gegen die Folgen der Energiekrise.
Dem Wunsch von Finanzminister Christian Lindner (FDP) entsprechend wird 2023 vorerst nicht erneut die Ausnahmeklausel der Schuldenbremse angewendet. Dennoch sollen die bis zu 200 Milliarden Euro über Kredite finanziert werden.
Dies geschieht, indem im Jahr 2022, in dem die Ausnahmeklausel ohnehin bereits gilt, der Wirtschafts- und Stabilisierungsfonds aus der Coronakrise mit entsprechenden Kreditermächtigungen ausgestattet wird, die dann von 2022 bis 2024 zusätzliche Kredite neben der Schuldenbremse erlauben. Nun kann die FDP stolz auf die Rückkehr zur Schuldenbremse 2023 verweisen, während SPD und Grüne das große Volumen der Unterstützungsmaßnahmen betonen können.
Trotz aller Erleichterung hat der Befreiungsschlag einen bitteren Beigeschmack – und zwar für beide Seiten. Lindner hat mit seiner FDP in der Verschuldungsfrage eine 180-Grad-Wende vollzogen, die seine Glaubwürdigkeit schwer beschädigen könnte.
Sämtliche Argumente, die er zuvor gegen die erneute Mobilisierung der Ausnahmeregel 2023 anführte, sind auch auf den neuen 200-Milliarden-Euro-Schuldenfonds anwendbar: Wer bis vor Kurzem noch behauptete, dass man sich wegen gestiegener Zinssätze höhere Staatsschulden schlicht nicht mehr leisten könne, die Tilgung höherer Kredite aus der Ausnahmeregel den Bundeshaushalt zu strangulieren drohe und höhere Kredite inflationär wirkten, widerspricht sich offensichtlich selbst und spielt mit seiner Glaubwürdigkeit.

Achim Truger ist Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und Professor für Staatstätigkeit und Staatsfinanzen an der Universität Duisburg-Essen.
Aber auch Rot-Grün sollte sich nicht zu früh freuen. Selbst wenn sich mit dem Abwehrschirm alle notwendigen Ausgaben im Haushalt 2023 unterbringen ließen, lauern schon 2024 große Gefahren für den Bundeshaushalt. Aufgrund der zu erwartenden Rezession muss mit erheblichen Steuermindereinnahmen gerechnet werden, weil Gewinne und privater Konsum einbrechen, was die Haushaltsspielräume empfindlich beschneiden würde.
Ab 2023 nahezu kein Puffer im Haushalt übrig
Darüber hinaus wird der Haushalt durch die dauerhaften Steuersenkungen geschwächt, die im September als Teil des dritten Entlastungspakets beschlossen wurden. Allein für den Bund belaufen sich die Mindereinnahmen auf zehn Milliarden Euro.
Im nächsten Jahr soll die bestehende allgemeine Haushaltsrücklage für Unvorhergesehenes von gut 40 Milliarden Euro fast komplett aufgezehrt werden, um so die Schuldenbremse wieder einhalten zu können. Das bedeutet, dass für die Folgejahre nahezu kein Puffer verbleiben wird. Daher könnte es, wenn 2023 die Planung des Haushalts 2024 ansteht, ein böses Erwachen geben.




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In Anbetracht der sehr schwierigen wirtschaftlichen Lage ist es nicht unwahrscheinlich, dass sich dann große Löcher auftun und der Haushalt droht, gegen die Wand gefahren zu werden. Dann würde die Logik der Schuldenbremse eine Kürzungspolitik erzwingen, bei der die Konjunktur und wesentliche Projekte der Ampelkoalition auf der Strecke bleiben könnten.
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