Gastkommentar – Homo oeconomicus: Die Energiewende braucht ein neues Image


Da die Wende nicht gegen den Willen großer Teile in der Bevölkerung durchgezogen werden kann, müssen Ansätze gefunden werden, die die Menschen anders abholen.
Je realer die Energiewende in unser Leben tritt, desto stärker verliert sie an Zustimmung in der Bevölkerung. Und das nicht erst seit gestern.
Wer jetzt auf den Gedanken kommt, schuld seien allein der Eingriff in deutsche Heizungskeller und viel beschriebene Compliance-Verstöße im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, dem sei ein Blick auf die vergangenen Jahre bis in die Zeit der vorherigen Bundesregierung empfohlen. Denn so ist zu erkennen, wie stark die Skepsis in der Bevölkerung seit Jahren gewachsen ist.
Seit mehr als fünf Jahren gehen Monat für Monat mehr Menschen davon aus, dass die Energiewende dem Industriestandort Deutschland schadet, zeigt eine regelmäßig erhobene repräsentative Umfrage des von mir geleiteten Meinungsforschungsinstituts Civey.
Heute stimmen demnach 62 Prozent der Menschen dieser Aussage zu, 2017 waren es gerade einmal 25 Prozent. Setzt der Trend sich fort, könnte es eng werden für die Energiewende in Deutschland. Was es heißt, wenn in der Bevölkerung die Akzeptanz für das Vorhaben fehlt, drückt sich im Heizungskeller gerade so aus: Während die Politik diskutiert, werden landauf, landab noch schnell fossile Heizungen installiert.
Das liegt neben dem grundsätzlichen Misstrauen gegen den Zukunftsplan auch am plötzlich hohen Tempo beim Klimaschutz. Rund 70 Prozent fühlen sich von der Politik nämlich durch Gesetze und Maßnahmen zum Klimaschutz überfordert. Gleichzeitig machen sich viele angesichts der Inflation Sorgen um den eigenen Geldbeutel.
Die Energiewende als Synonym für hohe Kosten und einen Niedergang der eigenen Industrie - für die Klimaschutzpolitik könnte es nicht schlimmer kommen. Der größte Feind von Transformation ist Angst.
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Da die Wende nicht gegen den Willen großer Teile der Bevölkerung durchgezogen werden kann, müssen Ansätze gefunden werden, die die Menschen anders abholen. Wie man es auch machen kann, zeigen Daten von Civey aus Ostdeutschland. Die Menschen vor Ort befürworten das Umsatteln der lokalen Industrie auf erneuerbare Energien eher, wenn dabei im selben Atemzug Arbeitsplätze in Aussicht gestellt werden.

Janina Mütze ist Co-Gründerin und CEO von Civey, dem Berliner Tech-Unternehmen für digitale Markt- und Meinungsforschung.
Erhebungen aus Bayern wiederum zeigen: Wird die Errichtung von Windkraftanlagen kommunikativ mit finanziellen Vorteilen für die eigene Gemeinde oder sinkenden Strompreisen verknüpft, steigert auch das die Zustimmung.



Wenn ich der Energiewende eine Image-Kur verpassen dürfte, wäre das meine Hauptzutat: Argumente, die den konkreten alltäglichen Nutzen für die Menschen in den Mittelpunkt rücken, statt abstrakter Begriffe von grünem Wachstum und klimaneutraler Zukunft.
Janina Mütze ist Co-Gründerin und CEO von Civey, dem Berliner Tech-Unternehmen für digitale Markt- und Meinungsforschung.
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