Gastkommentar – Homo Oeconomicus: Die Europäische Zentralbank muss Finanzblasen entgegensteuern

Die EZB will das Gegensteuern der Bankenaufsicht überlassen.
Bei manchen Rezessionen sinkt das Bruttoinlandsprodukt nur wenig, bei anderen bricht es förmlich ein. Solche tiefen Rezessionen folgen häufig dem Platzen einer Finanzmarktblase – so wie nach der Finanzkrise 2008.
Nach unseren Berechnungen steigt die Gefahr gerade wieder deutlich an, dass sich in ein paar Jahren eine gefährliche Blase bildet. Bei ihrer Sitzung am 22. Juli sollte sich die Europäische Zentralbank (EZB) bewusst sein, dass hier ein frühzeitiges Gegensteuern entscheidend ist.
Beim Erkennen drohender Blasen hat die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) Pionierarbeit geleistet. Sie hat herausgefunden, dass die Zyklen an den Finanzmärkten wesentlich träger sind als Konjunkturzyklen. Nach ihren Berechnungen ist ein Finanzzyklus mit 15 bis 20 Jahren zwei- bis dreimal so lang wie ein Konjunkturzyklus.
Für den Finanzzyklus gilt das Gleiche wie für einen Supertanker: Er ändert nur dann seine Richtung rechtzeitig und vermeidet eine Kollision, wenn der Kapitän das Ruder früh umlegt.
Die Position einer Wirtschaft im Finanzzyklus berechnet die BIZ mithilfe von zwei Größen: den Schulden der Unternehmen und Konsumenten sowie den Häuserpreisen. Im Vorfeld von Finanzkrisen ist nämlich regelmäßig zu beobachten, dass sich die privaten Akteure zu stark verschulden. Steigen zudem die Häuserpreise, fühlen sich die Menschen reicher, konsumieren und bauen mehr und fachen die Wirtschaft an, was die Risikobereitschaft weiter erhöht.
Immobilienpreise steigen stark
Beide Größen signalisieren derzeit eine zunehmende Gefahr, dass sich eine neue Blase entwickelt. Die Immobilienpreise steigen in den meisten Ländern des Euro-Raums schon seit 2016 kräftig an; teilweise sind Häuser und Wohnungen so teuer wie auf dem Höhepunkt der Immobilienblase 2006/07. Bei der Verschuldung des privaten Sektors sind zwar noch keine Übertreibungen festzustellen. Aber seit einiger Zeit steigen die Schulden stärker als die Verbraucherpreise.

Jörg Krämer ist Chefvolkswirt bei der Commerzbank.
Wegen seines rasanten Anstiegs ist der Finanzzyklus im Euro-Raum bereits weit fortgeschritten. Es ist höchste Zeit für ein Gegensteuern. Im Prinzip sieht dies die EZB ähnlich, will das Gegensteuern aber allein den Bankenaufsehern überlassen. Allerdings dürften aufsichtsrechtliche Maßnahmen wie beispielsweise höhere Eigenkapitalanforderungen für Banken kaum ausreichen, um am Ende eine Blase zu verhindern.
Die Bankenaufseher brauchen die Rückendeckung durch die Notenbanker. Nur eine Rückkehr zu positiven Leitzinsen schärft das Risikobewusstsein und dämpft gefährliche Übertreibungen im Finanzzyklus. Das zeigt die amerikanische Notenbank, die ihren Leitzins von 2015 bis 2018 auf immerhin 2,5 Prozent erhöht hatte, worauf sich der Finanzzyklus in den USA anders als im Euro-Raum deutlich abflachte.



Jörg Krämer ist Chefvolkswirt der Commerzbank.
Mehr: Wohnungsverkäufe binnen Minuten: Sorgen vor weltweiter Immobilienblase nehmen zu





