EU-Kolumne: Krieg, Inflation, Lieferengpässe: Die Wirtschaftslage ist angespannt, der Ausblick noch düsterer

Der Autor: Jede Woche analysiert Moritz Koch, Leiter des Handelsblatt-Büros in Brüssel, im Wechsel mit anderen Brüsseler Korrespondenten in der EU-Kolumne Trends und Konflikte, Regulierungsvorhaben und Strategiekonzepte aus dem Innenleben der Europäischen Union. Denn wer sich für Wirtschaft interessiert, muss wissen, was in Brüssel läuft. Sie erreichen ihn unter: koch@handelsblatt.com
Brüssel. „Dr. Doom“ hat sich zurückgemeldet. „Die Gefahren für die Euro-Zone sind allzu real“, schreibt Nouriel Roubini in der „Financial Times“. Der New Yorker Ökonom hat sich 2008 in der Weltfinanzkrise den Ruf als Untergangsprophet erworben, jetzt warnt er vor „Fragmentierungsrisiken“ in Europa. Seine alte Heimat Italien sieht er als Brutstätte für das kommende Unheil.
Die Tage der Expertenregierung von Premier Mario Draghi, dem früheren Chef der Europäischen Zentralbank (EZB), seien gezählt, argumentiert Roubini. Schon im kommenden Jahr könnten Rechtspopulisten an die Macht kommen, jeglicher Reformdrang würde erschlaffen – und die steigende Zinslast das hochverschuldete Land erdrücken.
Die Euro-Krise von 2009 lässt grüßen. Auch wenn die Beschwichtiger sich große Mühe geben, die Krisenfestigkeit Europas zu bezeugen, wächst in den Institutionen die Nervosität. Im Anschluss an den Brüsseler EU-Gipfel wollen die Euro-Staaten am Freitag mit EZB-Chefin Christine Lagarde beraten.
Was die Lage besonders beunruhigend macht: Anders als 2009 gären die Probleme nicht in der Peripherie der Euro-Zone, sie haben die „großen drei“ der Währungsunion befallen: Italien kämpft um das Vertrauen der Märkte, Frankreich um die Regierbarkeit – und Deutschland zahlt die Zeche für die sorglose Energiepolitik der Angela-Merkel-Jahre.
Deutschlands geopolitisches Versagen erlaubt es Russland, den europäischen Gasmarkt nach Belieben zu manipulieren. Offensichtlich verärgert darüber, dass sich Draghi, Bundeskanzler Olaf Scholz und der französische Präsident Emmanuel Macron in den Nachtzug nach Kiew gesetzt haben, nutzt der Kreml den Gashahn als Daumenschraube.
Aus russischer Sicht ist es kaum möglich, sich ein besseres Folterinstrument einfallen zu lassen: Der Energiekonzern Gazprom kann seine Marktmacht ohne spürbare Kosten ausspielen. So ging der Gasexport nach Europa am Freitag um 30 Prozent zurück, doch die Einnahmen blieben offenbar beinahe stabil – wegen der aus Angst vor Versorgungsmängeln steigenden Preise. Das Scheitern der Energiepartnerschaft mit Moskau verdichtet sich auf diesen einen Satz.
Zur Last der gestörten Lieferketten kommt der Energiepreisschock hinzu
Schon aus der Coronakrise ist Deutschland als Verlierer hervorgegangen. Nun kommt zur Last der gestörten Lieferketten der Energiepreisschock hinzu. Dass die deutsche Industrie unter diesen Bedingungen wettbewerbsfähig bleibt, ist alles andere als ausgemacht.
Die Gasdrosselung trifft auch Italien, das zwar nicht ganz so stark von russischem Gas abhängig ist wie Deutschland, aber finanziell auf wackeligem Fundament steht. Seit die EZB die Zinswende angekündigt hat, um die Inflation einzudämmen, steigt der Risikoaufschlag, den Italien auf seine Staatsanleihen zahlen muss.
Das belastet die italienischen Banken, die viele dieser Schuldenpapiere halten, was wiederum zur Gefahr für den Staatshaushalt wird. In diesem Jahr ist mit einem Defizit von 5,5 Prozent zu rechnen. Je höher die Energiepreise steigen, desto stärker wird der Druck auf die Regierung, weitere Entlastungspakete aufzulegen – mit Geld, das sie nicht hat.






Steigende Staatsausgaben sind auch in Frankreich zu erwarten. Präsident Macron hat bei den Präsidentschaftswahlen eine schwere Schlappe erlitten, seine Mehrheit ist verloren. Kompromisse mit dem rechten und dem linken Lager wird er erkaufen müssen. Klientelpolitik oder Stillstand – beides kann sich Frankreich eigentlich nicht leisten.
Krieg, Inflation, Lieferengpässe: So angespannt die wirtschaftliche Lage derzeit ist, der Ausblick ist noch düsterer. Rom steckt in der Schuldenfalle, Berlin in der Energieklemme und Paris befindet sich auf dem Weg in die Unregierbarkeit. Der Abschwung fällt mit einer politischen Krise zusammen, die sich in den nächsten Monaten noch verschärfen dürfte – und welche die eigentliche Gefahr für die Euro-Zone ist.





