Konjunktur: Mehr Nachfrage allein bringt die Wirtschaft nicht voran

Düsseldorf. Union und SPD haben den Wählern versprochen, die deutsche Volkswirtschaft wieder auf einen höheren Wachstumspfad zu führen. „Unser Ziel ist es, das Potenzialwachstum wieder auf deutlich über ein Prozent zu erhöhen“, heißt es im Koalitionsvertrag.
Zu Recht! Denn während in den vergangenen Dekaden das Trendwachstum bei etwa 1,5 Prozent pro Jahr lag, sind es je nach Schätzverfahren seit einigen Jahren nur noch 0,25 bis 0,5 Prozent. Bei normaler Kapazitätsauslastung ist also nicht mehr als 0,1 Prozent Wirtschaftswachstum pro Quartal möglich. Eine faktische Stagnation ist die Normalität seit sechs Jahren.
Somit stellt sich die Frage, wie das einstige wirtschaftliche Kraftzentrum Europas binnen einer Dekade zur Wachstumsbremse des Kontinents werden konnte und, noch wichtiger: wie die deutsche Volkswirtschaft aus dieser Malaise wieder herauskommen kann.
Dazu muss man sich verdeutlichen, dass das Potenzialwachstum einer Volkswirtschaft vom Angebot an Arbeit und Kapital sowie von der Dynamik des technischen Fortschritts bestimmt wird.
Nun ist die Bevölkerung in Deutschland in den vergangenen Jahren merklich gewachsen, und die Erwerbstätigkeit verharrt nahe dem Allzeithoch. Gleichzeitig ist die Anzahl der geleisteten Arbeitsstunden aber nur geringfügig gestiegen, da immer mehr Menschen einer Teilzeitbeschäftigung nachgehen. Während in den 1990er-Jahren Teilzeitbeschäftigung die Ausnahme war, ist sie heute mit 17 Millionen Beschäftigten zur Normalität geworden.
Mehr als die Hälfte der Teilzeitbeschäftigten gab im vergangenen Jahr an, freiwillig in Teilzeit zu arbeiten. Nur etwa fünf Prozent hatten keine Vollzeitstelle gefunden. Als weitere Gründe für eine Teilzeitbeschäftigung wurden die Betreuung von Kindern oder Angehörigen oder andere familiäre Pflichten sowie eigene Erkrankungen oder Aus- und Weiterbildung genannt. Hinzu kommen mehr als drei Millionen Personen, die das Statistische Bundesamt zur „stillen Reserve“ zählt. Dies sind Personen im Erwerbsalter, die Beschäftigung suchen, jedoch kurzfristig keine Arbeit aufnehmen können oder glauben, keine passende Tätigkeit zu finden.
Zudem zählt die Bundesagentur 3,9 Millionen „erwerbsfähige Leistungsbezieher“, also Grundsicherungsempfänger, die arbeitslos sind oder aufstockende Leistungen erhalten. Ein besser verzahntes Steuer-Transfer-System könnte zweifellos einigen von ihnen den Weg aus dem Bürgergeld erleichtern. Potenzial, um das Arbeitsangebot zu vergrößern, obwohl unsere Gesellschaft rasant altert, ist also vorhanden.
Hohe Abgabenlast schreckt Investoren ab
Kapital wird in der Regel dort investiert, wo Wachstum und damit sichere und hohe Renditen zu erwarten sind. Bis zum Ausbruch der Coronapandemie galt China für viele Investoren als erste Wahl. Boomende Märkte versprachen stattliche Gewinne – bis im Zuge dieser Pandemie markante Risiken zutage traten.
Im Jahr 2022 implementierte die US-Regierung unter dem damaligen Präsidenten Joe Biden mit dem „Inflation Reduction Act“ ein gigantisches Subventionsprogramm für High- und Greentech-Investitionen. Dieses lockte zahlreiche von der deutschen Regulatorik frustrierte Mittelständler in die USA. Und gleichermaßen ist auch die Zoll- und Steuerpolitik des amtierenden US-Präsidenten Donald Trump darauf angelegt, jene Unternehmen zu begünstigen, die in den USA investieren.
Deutschland hingegen schreckt internationale Investoren mit hohen Steuern und Abgaben, überbordender Bürokratie sowie Unsicherheit hinsichtlich der künftigen Energieversorgung ab. Daher sind oft hohe Subventionen notwendig, um den Standort für globale Konzerne attraktiv zu machen. Allein mit jenen zehn Milliarden Euro, die dem US-Konzern Intel zugesagt waren, hätte die Körperschaftsteuer für alle Unternehmen in Deutschland ein Jahr lang um zwei Prozentpunkte gesenkt werden können – ein Glücksfall, dass dieser Subventionsplan gescheitert ist.
Ohne höhere private Investitionen ist ein Anstieg des Produktivitätswachstums nicht zu erwarten. Gegenwärtig werden jeden Monat etwa 10.000 durchweg hochproduktive Industriearbeitsplätze abgebaut. Diese werden zwar zum Teil durch neue Arbeitsplätze im Dienstleistungssektor kompensiert. Doch während im industriellen Bereich der Einsatz neuer Maschinen die Produktivität der Beschäftigten erhöhen kann, gibt es in Kindergärten, der Altenpflege oder im Bildungssystem kaum messbare Produktivitätssteigerungen.
Angesichts der unübersehbaren Defizite des Standorts will die Bundesregierung nun ein gigantisches Konjunkturpaket umsetzen. Mit 850 Milliarden Euro an zusätzlichen Staatsschulden sollen Bundeswehr, Infrastruktur und die gesamte Volkswirtschaft in den kommenden Jahren modernisiert und so das Wirtschaftswachstum stimuliert werden.
Doch wenn die zusätzliche staatliche Nachfrage kein zusätzliches Angebot generiert, verpufft dieser Nachfrageschub weitgehend in Preissteigerungen. Tiefbau und Rüstungsindustrie sind bereits gut ausgelastet, und die Genehmigungsverfahren für neue Rüstungsbetriebe sind sehr komplex. Zudem importiert Deutschland einen Großteil der benötigten Rüstungsprodukte. Importe sind aber nicht geeignet, die inländische Konjunktur zu stimulieren.
Beschäftigungshürden abbauen
Soll der Standort Deutschland wieder wettbewerbsfähiger werden, muss das Angebot an Investitionskapital und Arbeit steigen. Die erforderlichen Maßnahmen sind bekannt. Die steuerliche Belastung von Gewinnen mit 30 Prozent auf Unternehmensebene ist im internationalen Vergleich sehr hoch. Laut Umfragen bei Unternehmen ist eine überbordende Bürokratie in Verbindung mit einer unzureichenden Digitalisierung von Verwaltungsabläufen ein nicht minder hohes Investitionshemmnis. Zudem drohen steigende Sozialabgaben die Arbeitskosten weiter zu erhöhen.

Das Arbeitsangebot ließe sich steigern, wenn alle Ausländer, die bereits im Lande sind, schneller als bisher in ihren erlernten Berufen in den Arbeitsmarkt integriert würden. Ausgebildete Ärzte, die notgedrungen etwa in der Gastronomie arbeiten, leisten allenfalls geringe Beiträge zur Stimulierung der Volkswirtschaft. Ferner gilt es, sattsam bekannte Beschäftigungshürden wie das Ehegattensplitting, die kostenlose Mitversicherung von nicht erwerbstätigen Ehepartnern in der gesetzlichen Krankenversicherung und das Minijobprivileg nicht nur zu überprüfen, sondern abzubauen.
Die zur Lockerung der offenkundigen Wachstumshemmnisse erforderlichen Reformen kosten zunächst Geld. Allerdings sind die finanziellen Restriktionen, an denen die Vorgängerregierung zerbrach, weitgehend aufgehoben. So ließen sich rein rechnerisch mit den bis 2029 geplanten zusätzlichen Schulden die Lohnsteuer mehr als halbieren, die Volkswirtschaft für vier Jahre von Einkommen-, Körperschaft- und Gewerbesteuer befreien oder viermal der von der KfW errechnete Investitionsstau bei den Kommunen beseitigen.






Gelingt es der amtierenden Bundesregierung nicht, in den kommenden drei Jahren das bescheidene Trendwachstum deutlich zu steigern, wird das Führungsduo um Kanzler Friedrich Merz (CDU) und Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) als gescheitertes „Schuldenteam“ in die Geschichtsbücher eingehen.
Allein das zu verhindern, sollte ein hinreichender Anreiz sein.
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