Kommentar: Scholz' gebrochenes Versprechen beim Grundsteuer-Wahnsinn


Die Reform der Grundsteuer hat bundesweit Probleme verursacht.
Als Karlsruhe 2018 die Grundsteuer als verfassungswidrig kassierte und eine Reform anmahnte, war die Politik mit großen Versprechungen umgehend und geschmeidig zur Stelle. Olaf Scholz, damals noch Bundesfinanzminister, beschwichtigte, offenkundig schon in vollem Wahlkampfmodus, bei einer Diskussion des Eigentümerverbands Haus & Grund alle Immobilieneigentümer des Landes sogleich: „Ich versichere Ihnen, dass es nicht zu einem höheren Steueraufkommen kommen wird.“
Mithin gab der heutige Bundeskanzler damals ein Versprechen ab, von dem er wissen musste, dass es nicht in seiner Macht liegen würde, dieses auch nur ansatzweise einzuhalten. Denn in Deutschland entscheidet jede einzelne Kommune mithilfe des sogenannten Hebesatzes über die Grundsteuerhöhe höchstselbst. Oder anders ausgedrückt: Der Bund hat darauf keinen unmittelbaren Einfluss.
Möglich, dass die damaligen Worte des Kanzlers eine ernst gemeinte Absicht transportieren sollten. Finanzpolitischen Experten allerdings war schnell klar, dass seine hehren, bisweilen naiven Worte von der Wirklichkeit bald eingeholt würden.
Nun ist es so weit. Neue Zahlen über die Entwicklung der Grundsteuer in den Kommunen seit 2021 zeigen eindrücklich: Das Versprechen wird gebrochen. Allein in Nordrhein-Westfalen haben 2022 mehr als 25 Prozent aller Kommunen ihre Hebesätze angehoben, bundesweit sind es 12,5 Prozent, wie die Beratungsgesellschaft EY ermittelt hat. Und dieser Trend dürfte sich 2023 fortgesetzt haben.
Sicher, es wird darunter Kommunen geben, die die Hebesätze erhöhten, um in ihrer finanzpolitischen Notlage indirekt ein neues Feuerwehrauto zu bezahlen oder der örtlichen Grundschule ein neues Dach zu bieten. Das ändert nichts daran, dass bei vielen Eigentümern der bundesweit 36 Millionen Immobilien und Grundstücke der Eindruck entstehen dürfte, dass die lokale Politik vielerorts die Vorlage des Bundesverfassungsgerichts genutzt hat, um auf versteckte Art und Weise ihre kommunalen Einnahmen schon jetzt präventiv zu erhöhen.
Grundsteuererklärung: Hebesätze senken statt erhöhen
Denn vielfach sind die neuen Immobilien- und Grundstückswerte nun deutlich höher als nach der alten Berechnung. Um Aufkommensneutralität zu erreichen, müssten die Hebesätze in der Breite entsprechend eher gesenkt, aber sicher nicht erhöht werden.

Neben dem Grundstückswert ist der Hebesatz einer der Faktoren für die Berechnung der Grundsteuer.
Das Fingerzeigen, ob die absehbar erhöhte Abgabenlast dann als direkte Folge der Grundsteuererhöhung bewertet oder den grundsätzlich klammen Kassen vieler Kommunen zugeschrieben werden kann, hat jetzt schon begonnen. Wie so oft im deutschen Steuerrecht fehlt es an der notwendigen Transparenz und Klarheit.
Dazu trägt im Fall der Grundsteuer auch bei, dass erst 2025 den Bürgern klar sein wird, was das Ganze den Einzelnen kosten wird. Erst dann werden nämlich Hebesatz und die neuen Grundsteuermessbeträge der Immobilien zu einem Abgabenbetrag zusammengeführt.
Wer sich gegen womöglich teure Überraschungen wappnen will, der muss trotzdem schon jetzt gegen den ersten Bescheid der Behörden Einspruch einlegen – und das, obwohl ja noch überhaupt nicht absehbar ist, was an Steuerlast fällig wird. Wahnsinn – oder?
>>Lesen Sie hier: Wann lohnt sich der Einspruch gegen den Grundsteuerbescheid?
Die Folge: ein Sonderkonjunkturprogramm für die Steuerberater dieser Republik. Und ein veritables Chaos in der Finanzverwaltung. Denn die Finanzämter werden aktuell mit Einsprüchen überhäuft, bundesweit sollen es bereits 4,9 Millionen sein. In ungezählten Ämtern gehen Betriebsprüfer und Steuerfahnder nicht mehr länger nur ihrer eigentlichen Tätigkeit nach, sondern bearbeiten seit Wochen und Monaten vordringlich Feststellungserklärungen zur Grundsteuer und in der Folge die Einsprüche dagegen.
Wahnsinn in den Finanzämtern
Dem Staat entgehen deshalb fest eingeplante Einnahmen in Millionenhöhe durch die Arbeit der Betriebsprüfer und Fahnder. Wahnsinn ist deshalb tatsächlich wahrscheinlich das Wort, das auch die Lage in den weithin unschuldig in die Reform verstrickten Finanzämtern aktuell am besten beschreibt.
Apropos „Reform“: Der Duden beschreibt das als „planmäßige Verbesserung des Bestehenden“. Überlastete Behörden, die mangelhafte Digitalisierung der Verwaltung, immer neue hochkomplexe Gesetzestexte mit Ausnahmeregelungen ohne Ende – die Reform der Grundsteuer scheint für das genaue Gegenteil zu stehen.



Und zeigt wie unter einem Brennglas die Symptome, an denen das ganze große Land krankt. Und absehbar noch kränker wird: Denn die Reform wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht dazu beitragen, das Vertrauen in die Politik in Gänze zu befördern. Grundsätzliche Systemkritiker könnten aktuell kaum ein besseres Beispiel finden.
Erstpublikation: 08.08.2023, 04:00 Uhr.





