Der Chefökonom – Kommentar: Die Vorschläge der CDU bei der Erbschaftsteuer sind der „Bierdeckel 2.0“


Bei der Erbschaftsteuer gibt es in Deutschland zahlreiche Sonderregeln.
Einsicht ist bekanntlich der erste Weg zur Besserung. Mit ihren jüngsten steuerpolitischen Überlegungen hat eine Arbeitsgruppe der CDU die parteieigene Erbschaftsteuerreform von 2016 faktisch für gescheitert erklärt und schlägt vor, den schon lange von Finanzwissenschaftlern geforderten Kurs einzuschlagen: möglichst breite Bemessungsgrundlage und niedrige Steuersätze auf Erbschaften – wie es vor 20 Jahren der heutige CDU-Chef Friedrich Merz für die Einkommensteuer auf einem Bierdeckel skizziert hatte.
Folgt man der „Fachkommission Wohlstand“, deren Vorschläge in das neue CDU-Grundsatzprogramm einfließen sollen, ist das bestehende Erbschaftsteuersystem zu kompliziert, zu bürokratisch und anfällig für missbräuchliche Steuergestaltung. Daher strebt diese Kommission „einen einheitlichen niedrigen Erbschaftsteuersatz von zehn Prozent für das gesamte übertragene Vermögen unter der Berücksichtigung von persönlichen Freibeträgen an“. Bei Betriebsvermögen sollen zinslose Stundungen möglich sein, um keine Arbeitsplätze zu gefährden.
Hinter diesem Vorstoß steht die zutreffende Ansicht, dass Sonderregeln und Vergünstigungen zu gesamtwirtschaftlich schädlichen allokativen Verzerrungen durch steuerinduzierte Verhaltensänderungen führen. So werden etwa Immobilien nur deshalb in eine Kapitalgesellschaft eingebracht, um Steuern zu sparen. Die Anreize, Vermeidungsstrategien zu nutzen, sind naturgemäß umso größer, je höher die Steuersätze sind.
Gleichzeitig müssen all jene, die Steuersparmöglichkeiten nicht nutzen können oder wollen, hohe Belastungen akzeptieren – wenn der Staat ein gewünschtes Aufkommen erzielen will. Solch eine Ungleichbehandlung von Vermögen ist nicht nur ineffizient, sie widerspricht auch dem Gerechtigkeitsempfinden und dem Gleichheitsgrundsatz.
Die eklatante Ungleichbehandlung von Erbschaften hat in Deutschland Tradition. Der wohl wichtigste Grund dafür ist die mittelständische Wirtschaftsstruktur, die – anders als in vielen anderen Ländern – nicht von Kapitalgesellschaften, sondern von Personengesellschaften geprägt ist. Unternehmen dieser Rechtsformen werden nicht nur bei der Gewinnbesteuerung anders als Kapitalgesellschaften behandelt, sondern auch bei der Erbschaftsteuer.
Der Grund: Personengesellschaften werden – im Gegensatz zu den auf Dauer angelegten Kapitalgesellschaften – in jeder Generation zumindest einmal übertragen. Da beim Eigentumsübergang kein Einkommen entsteht, müssen die Erben die Steuer aus der Substanz finanzieren. Daher pochen die Mittelstandsverbände unter Heraufbeschwörung von Arbeitsplatzverlusten oder gar Konkursen auf umfassende Befreiungsregeln für ihre Klientel – und konnten sich bislang der Unterstützung von Union und FDP sicher sein.
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Zu der von der unionsgeführten Bundesregierung mit Unterstützung des Bundesrats auf den Weg gebrachten Erbschaftsteuerreform 2016 kam es nicht aus freien Stücken. Den Anstoß gab das Bundesverfassungsgericht, das den bis dato geltenden Regeln wegen zu großer Privilegien für Betriebsvermögen ein Verfallsdatum verordnet hatte.
Heute werden große Erbschaften de jure mit bis zu 50 Prozent belastet. Dieser Spitzensteuersatz gilt für Erbschaften ab sechs Millionen Euro – aber nur dann, wenn es sich bei dem übertragenen Vermögen nicht um Betriebsvermögen handelt.
Genaue Daten zum vererbten Vermögen fehlen
In der Realität kommt dieser Steuersatz höchst selten zur Anwendung, da große Familienvermögen durchweg in Unternehmen gebunden sind und überdies noch hohe Freibeträge und Schonregeln gelten. So bekamen im Jahr 2021 laut amtlicher Statistik immerhin 169 Personen jeweils mehr als 20 Millionen Euro geschenkt, doch nur 85 von ihnen mussten dafür Steuern zahlen. Für diese verschenkten Großvermögen in Höhe von insgesamt 23,6 Milliarden Euro fielen zusammen 531 Millionen Euro Steuer an – effektiv also gut zwei Prozent.
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Diesen Vergünstigungen für Betriebsvermögen stehen recht hohe Belastungen anderer Erbschaften gegenüber. Wer mehr als 20.000 Euro Geld oder Wertpapiere von Geschwistern oder Freunden erbt, der muss Steuer zahlen. So werden bei einer 50.000-Euro-Erbschaft immerhin 4500 Euro fällig, also effektiv neun Prozent.
Genaue Daten, wie viel Vermögen tatsächlich vererbt wird, gibt es nicht. Schätzungen gehen von 200 bis 400 Milliarden Euro jährlich aus – Tendenz steigend. Angesichts von rund neun Milliarden Erbschaftsteueraufkommen werden diese mit etwa zwei bis vier Prozent besteuert. Diese Steuer erfasst neben Nachlässen auch Schenkungen zwischen Lebenden; wobei bei Schenkungen die eingeräumten Freibeträge alle zehn Jahre genutzt werden. Ein Kind kann daher bis zum 21. Geburtstag 1,2 Millionen steuerfrei geschenkt bekommen haben – was oft als ungerecht empfunden wird.

Die Partei des CDU-Vorsitzenden bringt deutliche Änderungen im Steuersystem ins Spiel.
Dies dürfte ein wichtiger Grund dafür sein, dass Forderungen nach einer Vermögensteuer populär sind. Aber alle Regierungen haben – aus gutem Grund – der Versuchung widerstanden, diese seit 1997 ausgesetzte Steuer zu revitalisieren. Denn für den Fiskus ist es nicht machbar, jährlich alle Vermögensgegenstände zu erfassen und zu Marktpreisen zu bewerten, wie das derzeitige Grundsteuerchaos bestätigt.
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Der Vorteil einer Erbschaftsteuer ist, dass solch eine Bewertung nur einmal alle 30 bis 40 Jahre erforderlich ist. Durch angemessen hohe Freibeträge kann überdies sichergestellt werden, dass die Mehrzahl der Erbschaftsfälle ausgeklammert bleibt.
Dass die aktuellen Reformüberlegungen der CDU von Vertretern des Mittelstands heftig kritisiert werden, überrascht wenig. „Statt an Vorschlägen zum Erhalt des gesellschaftlichen Wohlstands bastelt die CDU damit regelrecht an einem Plan zur Gefährdung von ganzen Wertschöpfungsketten und den damit verbundenen Arbeitsplätzen“, warnt der Verband der Familienunternehmer.
Erbschaftsteuer ist ökonomisches Instrument zur Umverteilung
All denen, die sich vehement gegen eine zielgenauere Modernisierung der Erbschaftsteuer aussprechen, sei eine Lektüre der Schriften des wichtigsten Vordenkers des Liberalismus, John Stuart Mill (1806 bis 1873), empfohlen. Mill war der Ansicht, dass Erbschaften eigentlich an den Staat fallen müssten, da der Erbe „nichts zur Entstehung des Vermögens beigetragen“ habe.

Prof. Bert Rürup ist Präsident des Handelsblatt Research Institute (HRI) und Chefökonom des Handelsblatts. Er war viele Jahre Mitglied und Vorsitzender des Sachverständigenrats sowie Berater mehrerer Bundesregierungen und ausländischer Regierungen. Mehr zu seiner Arbeit und seinem Team unter research.handelsblatt.com.
In den „Freiburger Thesen“ der FDP von 1971 hieß es, „die bisherige Erbschaftsteuer schleppt ein veraltetes System fort, das unsere Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung und deren freiheitliche Entwicklung vor allem dadurch beeinträchtigt, dass es die angestrebte Vermögensbildung bei breiten Schichten der Bevölkerung behindert“. Und drei der acht beteiligten Verfassungsrichter schrieben in einem Sondervotum zum Urteil von 2014: „Die Schaffung eines Ausgleichs sich sonst verfestigender Ungleichheiten liegt in der Verantwortung der Politik – nicht in ihrem Benehmen.“
Die aktuell sehr hohe Inflation ist für die große Mehrzahl der abhängig Beschäftigten und Rentner eine große Belastung. Die Reallöhne sind drei Jahre in Folge gesunken, während in weiten Teilen der Wirtschaft die Gewinnsituation sehr gut ist, wie die Europäische Zentralbank jüngst in einem Blog-Beitrag feststellte.






Wünsche nach etwas mehr Umverteilung sind also nicht ganz unberechtigt, und die Erbschaftsteuer ist dazu das ökonomische Instrument der ersten Wahl. Die CDU hat dies erkannt.
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