Kommentar: Die Finanzpolitik der Ampel erfordert einen Neustart


Kanzler Olaf Scholz verkündet mit Wirtschaftsminister Robert Habeck und Finanzminister Christian Lindner, dass sie die Folgen des Urteils prüfen werden.
Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Schuldenbremse fehlen der Ampelkoalition auf einen Schlag 60 Milliarden Euro. Schon das ist aus Sicht von SPD, Grünen und FDP eine Katastrophe. Doch tatsächlich ist das Urteil in seiner Dimension noch viel größer: Durch die Karlsruher Entscheidung droht die gesamte Krisen- und Haushaltspolitik der vergangenen Jahre in sich zusammenzufallen.
Nicht nur das Umwidmen ungenutzter Coronaschulden ist verfassungswidrig. Sondern offenbar auch der Energie-Abwehrschirm WSF, den die Bundesregierung nach Ausbruch des Ukrainekriegs aufgespannt hatte – und damit der Bundeshaushalt 2023. Das hat es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nicht gegeben. Die Bundesregierung muss nun eine haushaltspolitische Zeitenwende unter völlig neuen Voraussetzungen hinbekommen. Ohne Tricksereien.
Weite Teile der Ampel scheinen aber immer noch gelähmt zwischen Schockstarre und Realitätsverweigerung. Politiker von SPD, Grünen und FDP werfen der Union Verantwortungslosigkeit vor – so, als wäre die Opposition schuld daran, wenn die Regierung die Verfassung bricht. Auch zog die Ampel die Beratungen zum Etat 2024 durch, als wäre nichts gewesen. Dabei zeichnete sich längst ab, dass ein Neustart der Haushaltspolitik notwendig ist.
Die Folgen des historischen Urteils reichen bis in die Zeit der Großen Koalition zurück. Und sie sind immer mit einem Namen verbunden: Olaf Scholz.
Der heutige Kanzler hatte im Jahr 2020 als Finanzminister ungenutzte Corona-Notkredite in Höhe von 26 Milliarden Euro in den Klimafonds verschoben. Das Finanzministerium lässt nun prüfen, ob auch diese Milliarden dem Klimafonds entzogen werden müssen. Auch war es Scholz’ Idee, in der Ampelregierung den Trick noch mal im größeren Umfang anzuwenden.
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Dazu gab es eine zweite Panne: Auf Drängen von Finanzminister Christian Lindner beging die Ampel bei Aktivierung des WSF im Herbst 2022 den wohl folgenschweren Fehler, nicht auch für 2023 eine Notlage auszurufen. Dadurch dürfte nun auch der Etat in diesem Jahr verfassungswidrig sein.

Ist ein weiterer Milliarden-Topf der Ampel verfassungswidrig?
Zur kurzfristigen Heilung dieses Problems bleibt der Ampel eigentlich nur, die Schuldenbremse nun nachträglich für 2023 auszusetzen. Dieses Manöver würde jedoch neue rechtliche Zweifel aufwerfen. Und vermutlich neue Klagen.






So oder so hat das Urteil weitreichende Folgen für die Staatspraxis in Bund und Ländern, die kaum jemand hat kommen sehen: Wie kann der Staat Großkrisen bekämpfen, deren Folgen weit über das Jahr des haushaltspolitischen Notstands hinausreichen? Diese Frage und damit die Konsequenzen des Urteils für die Schuldenbremse werden ernsthaft zu diskutieren sein.
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Erstpublikation: 20.11.2023, 08:08 Uhr.





