Kommentar: Lambrechts Rückzug wäre ein letzter Dienst für das Land
Verteidigungsministerin Christine Lambrecht hat nie für das ihr zugedachte Amt gebrannt. Das kann sich Deutschland in der Zeitenwende nicht erlauben.
Foto: dpaBerlin. Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. Sollten sich die Meldungen vom freiwilligen Rückzug von Verteidigungsministerin Christine Lambrecht bestätigen, dann erweist die SPD-Politikerin ihrem Land einen letzten Dienst – nämlich, Spott und Häme über das Verteidigungsressort nicht noch größer werden zu lassen und Deutschlands Ruf international nicht noch weiter zu beschädigen.
Lambrecht war in der Großen Koalition eine durchaus verdienstvolle Justizministerin. Auch deshalb hatte Bundeskanzler Olaf Scholz die Parteifreundin ausgewählt, als es darum ging, ein paritätisch mit Frauen und Männern besetztes Kabinett zu bilden. Und als die neue Ampel-Regierung im Dezember 2021 vereidigt wurde, stand die Verteidigung samt überraschender neuer Ressortchefin auch nicht unbedingt im Fokus.
Das änderte sich schlagartig mit dem russischen Angriff auf die Ukraine am 24. Februar vergangenen Jahres. Aber statt einer Ministerin, die die von Scholz quasi über Nacht ausgerufene Zeitenwende kraftvoll in praktische Politik umsetzte, residierte in der Berliner Stauffenbergstraße eine Ressortchefin, die mit dem Amt fremdelte und nie ein Geheimnis daraus machte, dass sie lieber Innenministerin geworden wäre.
Dem neuen Führungsanspruch für Deutschland, den Lambrecht in ihrer Grundsatzrede im September selbst formuliert hatte, ist sie im eigenen Ministerium nie gerecht geworden. Man kann von der Oberbefehlshaberin der deutschen Streitkräfte in Friedenszeiten nicht verlangen, dass sie sich sofort in allen Einzelheiten der komplexen Wehrmaterie zurechtfindet.
Aber in Zeiten, in denen die Kriegsgefahr für Deutschland und die Nato so groß ist wie seit Jahrzehnten nicht mehr, muss man schon verlangen, dass die Verteidigungsministerin sich auch für ihr Amt interessiert. Diesen Eindruck hatte man bei Christine Lambrecht von Anfang an nicht.
Der Ministerin ging jedes Fingerspitzengefühl für die Social-Media-Demokratie ab
Dazu kommt, dass ihr offenbar jegliches Fingerspitzengefühl dafür abgeht, wie man sich in der Social-Media-Demokratie als Politikerin zu verhalten hat. Sollte das unglückliche Silvestervideo, von dem sich das eigene Ministerium peinlich berührt distanzierte, ein Versuch gewesen sein, auch junge Leute für die Regierungspolitik zu begeistern, so ist er gründlich schiefgegangen. Schon die kritischen Berichte über den Hubschrauber-Mitflug ihres erwachsenen Sohnes – samt gepostetem Foto – hätten Lambrecht eine Lehre sein müssen.
Falls die Verteidigungsministerin noch darauf spekuliert haben sollte, doch noch Innenministerin zu werden, wenn Nancy Faeser als SPD-Spitzenkandidatin für die Landtagswahl nach Hessen geht, dann hat sich diese Hoffnung nun endgültig zerschlagen. Die Amtsführung im Verteidigungsministerium dürfte nicht das beste Empfehlungsschreiben für eine weitere politische Karriere der 57-Jährigen sein.
Bundeskanzler Scholz steht nun vor der schwierigen Aufgabe, die Nachfolge zu regeln. Will er die Geschlechterparität im Kabinett wahren, müsste er eine Frau für den Posten benennen. Oder Innenministerin Faeser drängen, sich schnell zu ihrer geplanten Zukunft zu erklären. Sollte sie nach Hessen gehen, wäre der Weg für eine größere Kabinettsumbildung frei.
Wer auch immer das Amt übernimmt, muss sich aber auch im Klaren sein, dass der eigene Gestaltungsspielraum da aufhört, wo Scholz‘ Gestaltungswille beginnt. Denn dass der Kanzler die Verteidigungspolitik in der Zeitenwende als Chefsache sieht, hat auch Lambrecht durchaus schmerzhaft zu spüren bekommen.