Kommentar: Nur wenn Bund und Länder kooperieren, kann es einen Ausweg aus der Krise geben

Der Bund will über das Infektionsschutzgesetz mehr Kompetenzen an sich ziehen.
Flickenteppich, Aufstand der 16 Zwerge, gefährliche Alleingänge – viel Kritik gab es zuletzt am deutschen Föderalismus und der Rolle der Ministerpräsidenten bei der Pandemiebekämpfung. Deshalb zieht Kanzlerin Merkel jetzt die Notbremse, bevor die Länderchefs den Zug entgleisen lassen.
Das ist die Lesart, mit welcher der Bund die geplante Verschärfung des Infektionsschutzes begründet. Ein Misstrauensvotum gegenüber Ländern, die sich nicht an gemeinsam gefasste Beschlüsse halten.
Doch man kann die Sache auch anders sehen. Wenn die Bundesregierung jetzt eine bundesweite Notbremse verordnet, verhindert sie, dass der Föderalismus seine zentralen Stärken ausspielen kann: Das ist zum einen die Fähigkeit, auf unterschiedliche Ausgangslagen auch unterschiedlich zu reagieren. Zum anderen die Möglichkeit, verschiedene Konzepte auszuprobieren, die einen Weg aus der Coronakrise weisen und den vom Lockdown hart getroffenen Branchen eine Perspektive geben.
Der Wettstreit um die besten Ideen zur Pandemiebekämpfung ist den Landkreisen – wenn das Infektionsschutzgesetz wie geplant geändert wird – nur noch bis zu einem Inzidenzwert von 100 gestattet. Wird er überschritten, zieht Berlin die Bremse – unabhängig davon, ob der hohe Wert vielleicht auf eine Masseninfektion in einem Schlachthof zurückzuführen ist oder im betreffenden Landkreis noch ausreichend Intensivbetten zur Verfügung stehen.
Auch das zentralistisch geführte Frankreich hat Probleme
Allen, die Merkels Machtwort herbeigesehnt haben, sei aber der Blick nach Frankreich empfohlen. Das Nachbarland zeigt, dass auch eine straff zentralistische Führung keine Erfolgsgarantie im Kampf gegen das Virus bedeutet. Der Bund muss aufpassen, dass er mit seinem Gesetz nicht die Grenze zur Unverhältnismäßigkeit überschreitet.
Die Wirksamkeit nächtlicher Ausgangssperren steht infrage, Schulschließungen greifen tief in die ureigenste Länderkompetenz ein, verordnete Ladenschließungen sind bereits von Gerichten gekippt worden.





Das Letzte, was Deutschland jetzt braucht, ist eine Frontstellung zwischen Bund und Ländern. Die zeigt sich nicht nur darin, dass der Bund mehr Kompetenzen an sich ziehen will, sondern auch im Alleingang mehrerer Länder bei der Bestellung des russischen Impfstoffs Sputnik V. Das Vertrauen in die Problemlösungskompetenz des Bundes scheint dort nicht gerade ausgeprägt zu sein.
Merkel und die Ministerpräsidenten sollten in der großen Krise nicht gegen-, sondern miteinander arbeiten. Nur dann kann es einen Ausweg aus der Krise für alle geben.
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