Kommentar: Santander ist womöglich nur der Anfang: Gefahr im Verzug für Europas Banken

Als die Coronakrise im Frühjahr ihren Anfang nahm, zogen Europas Banken mit einem neuen Schlachtruf in den Kampf gegen die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie: „Dieses Mal sind wir nicht Teil des Problems, sondern Teil der Lösung.“ Will heißen: Dieses Mal sind die Banken nicht Auslöser der Krise, sondern sie werden ihren Teil dazu beitragen, die Konsequenzen des Lockdowns für Unternehmen und Verbraucher abzufedern.
In den vergangenen Monaten sind die Geldhäuser diesem Anspruch mehr oder weniger gerecht geworden. Aber das heißt nicht, dass die Pandemie vor den Banken haltmacht. Im Gegenteil: Die Gefahr, dass die Coronakrise in eine Bankenkrise mündet, ist noch lange nicht abgewendet.
Sollte es tatsächlich so weit kommen, wäre das eine fatale Nachricht für die erhoffte wirtschaftliche Erholung, denn die Banken sind die zentrale Verteilstelle für Liquidität in der gesamten Wirtschaft. Wenn sie diese Funktion nicht mehr erfüllen, werden sie doch wieder zum Problem für das System – so wie in der Finanzkrise.
Unterstützung durch die Politik
Bislang haben Politik und Aufseher genau richtig auf diese Herausforderung reagiert und die Banken, so gut es geht, gestützt, vor allem durch Ausnahmen und Verschiebungen bei der Regulierung. Die Banken werden diese Unterstützung auch in den kommenden Monaten brauchen, vielleicht sogar noch dringender als bisher. Die Baden-Württembergischen Sparkassen haben völlig recht, wenn sie warnen, dass die Coronakrise sehr viel gefährlicher ist als die Finanzkrise.
Durch das erste Quartal sind die meisten europäischen Banken noch in ziemlich robuster Verfassung gekommen, kein Wunder, die Pandemie begann in Europa ja ernsthaft erst im März, sodass sich nur die ersten Ausläufer in den Zahlen niederschlugen. Das hat sich im zweiten Quartal gründlich geändert.
Einige Banken wie die Schweizer UBS melden zwar auch für die Monate April bis Juni Milliardengewinne, und auch die Deutsche Bank schlug sich wacker, vor allem wenn man berücksichtigt, dass die Frankfurter nicht nur mit Corona zurechtkommen müssen, sondern gleichzeitig auch noch den größten Umbau der jüngeren Geschichte zu bewältigen haben.
Aber bereits bei der britischen Großbank Barclays zeigen sich die ersten ernsthaften Verschleißerscheinungen. Die Briten konnten sich nach einer milliardenschweren Vorsorge für Kreditausfälle gerade noch in der Gewinnzone halten.
Wer wissen will, wie gefährlich die Pandemie für die Finanzbranche werden kann, der braucht nur einen Blick auf die Quartalszahlen des spanischen Geldhauses Santander zu werfen. Wegen der trüben Konjunkturaussichten und drohender Kreditausfälle schrieb die Großbank im zweiten Quartal einen Rekordverlust von 11,1 Milliarden Euro.
Für den Milliardenverlust gibt es eine plausible Erklärung. Neben der Heimat Spanien gehören auch die für die Bank wichtigen Märkte Großbritannien und Brasilien zu den am stärksten von der Corona-Pandemie betroffenen Ländern weltweit. Erschreckend sind die Zahlen trotzdem, denn bis zum Ausbruch der Pandemie vor ein paar Monaten galt Santander als eine der robustesten Banken in Europa.
Mittel für Investitionen fehlen
Der Abstieg war rasant. Dabei steht die gesamte Branche erst am Anfang der Coronakrise. Im Herbst und im Winter wird sich zeigen, wie brutal die Rezession wirklich ausfällt, wie viele Unternehmen in die Pleite rutschen und wie viele Kredite in den Bankbilanzen faul werden.
Dazu kommen die Langfristfolgen der Pandemie. Die Unternehmensberatung Oliver Wyman erwartet, dass die Kreditverluste der europäischen Banken in den nächsten drei Jahren auf über 400 Milliarden Euro in die Höhe schnellen, das wäre zweieinhalbmal so viel wie in den zurückliegenden drei Jahren. Diese Zahl könnte sich im Fall eines zweiten umfassenden Lockdowns auf 800 Milliarden Euro verdoppeln.
Dank der Vorsorgemaßnahmen nach der großen Finanzkrise gehen Europas Banken mit robusten Eigenkapitalpolstern durch die Coronakrise. Der beste Schutz gegen die befürchtete Welle fauler Kredite wären allerdings solide Gewinne, und genau da hapert es, auch und gerade bei den großen deutschen Instituten. Die schwache Profitabilität macht die Banken anfällig für Rückschläge aller Art, und sie bremst die dringend notwendigen Investitionen in die Digitalisierung.
So tapfer viele Banken sich bislang halten – die Aussichten für die Branche sehen nicht besonders rosig aus. In dieser Gemengelage könnte die Coronakrise zum Katalysator für den Strukturwandel werden.




Geschäftsmodelle werden verschwinden und durch neue ersetzt. Aber auch viele Banken werden aus dem Markt ausscheiden. Sobald sich die Langfristfolgen der Pandemie besser abschätzen lassen, dürfte die lang erwartete internationale Konsolidierung endlich in Gang kommen.
Zuerst müsste die Politik allerdings die Voraussetzungen für die Vollendung der Banken- und Kapitalmarktunion in der EU schaffen. Das wäre der vielleicht größte Dienst, den die Regierungen den Banken erweisen könnten.
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