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KommentarWirtschaftsweise erledigen ihre Selbstzerstörung auf offener Bühne

Der Sachverständigenrat der Bundesregierung schafft sich durch seine internen Querelen selbst ab – es ist Zeit für einen personellen und organisatorischen Neuanfang. Thomas Sigmund 15.05.2024 - 10:10 Uhr
Der Sachverständigenrat Wirtschaft: Ulrike Malmendier, Achim Truger, Monika Schnitzer, Veronika Grimm, Martin Werding (von links nach rechts). Foto: Sachverständigenrat Wirtschaft

Die Wirtschaftsweisen waren früher einmal ein wichtiges Beratungsgremium der Bundesregierung. Ränkespiele und Eitelkeiten gab es zwar auch in den vergangenen Jahrzehnten. Doch jetzt ist Monika Schnitzer, die sichtlich überforderte Vorsitzende, dabei, den letzten Rest an Reputation zu verspielen. Ihr Management und in Teilen auch ihre Wut richten sich gegen die ausgewiesene Energieexpertin Veronika Grimm.

Die Ökonomin Grimm ist eine wissenschaftliche Koryphäe auf dem Gebiet der Energiepolitik. Ihre Expertise ist völlig unbestritten. Stein des neuerlichen Anstoßes ist ihr Minderheitsvotum im Frühjahrgutachten zur Elektrifizierung des Straßengüterverkehrs.

Die energiepolitische Laiin Schnitzer hat es geschafft, die anderen drei Mitglieder des Sachverständigenrats, deren Spezialgebiete unter anderem Arbeit und Soziales sind, auf ihre Seite zu ziehen. Der unausgesprochene Vorwurf der Viererbande gegen Grimm lautet, sie würde ein Gefälligkeitsgutachten für Siemens Energy abgeben, wo sie seit diesem Jahr im Aufsichtsrat sitzt.

Das scheint weit hergeholt, und das Vorgehen erweckt den Eindruck, dass es auf wissenschaftliche Evidenz nicht mehr anzukommen scheint. Schnitzer ist mittlerweile jede Bühne recht, um ihre Kollegin zu demontieren. Sie hat es offenbar immer noch nicht verdaut, dass sie in der Causa Grimm eine Niederlage erlitten hatte.

Die Lage wird zunehmend heikler

Beobachter aus Regierung und Wissenschaft schütteln über den Intrigantenstadl nur noch den Kopf. Schnitzer fand nichts dabei, hinter Grimms Rücken beim Aufsichtsratsvorsitzenden von Siemens Energy, Joe Kaeser, zu intervenieren. Außerdem schrieb sie an Wirtschaftsminister Robert Habeck und Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt eine E-Mail. Diese konnte man so interpretieren, dass sie darin eine Ablösung Grimms forderte. 

Wirtschaftswissenschaftlerin Veronika Grimm spricht auf einer Pressekonferenz in Berlin. Foto: dpa

Mittlerweile stellt sich allerdings vor allem die Frage, ob eine solche Vorsitzende noch haltbar ist. Fest steht: Der Sachverständigenrat braucht einen personellen wie inhaltlichen Neuanfang. Das Gremium lebt von der Durchschlagskraft seiner Argumente. Es gab schon immer Minderheitsvoten.

Doch die wurden im Vorfeld der Präsentation eines Gutachtens klein gehalten – und es wurde nicht damit über die Medien die eigene Zerstrittenheit dokumentiert. Wer in der Bundesregierung soll seine wirtschaftlichen Berater denn ernst nehmen, wenn die sich auf politischer Bühne selbst zerlegen?

Der radikalste Vorschlag wäre, alle Verträge der Wirtschaftsweisen aufzulösen und sie auszubezahlen. So könnte man mit einer neuen Mannschaft starten. Dann müsste man sich neue Regeln geben. Vor allem die Besetzung mit je einem Mitglied von der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite passt nicht mehr in die Zeit.

Direkter Zugang für den Kanzler

Der konsequenteste Vorschlag wäre, der Kanzler würde sich nach amerikanischem Vorbild seine Wirtschaftsberater selbst aussuchen. Damit gehen die Vorschläge direkt an ihn. Es weiß dann zwar jeder, dass die Berater parteiisch sind, aber die Akzeptanz beim Bundeskanzler wäre wesentlich größer, und der politische Einfluss würde steigen.

Damit würde die Regierungsberatung wieder für die Ökonomenzunft attraktiv. Heute winken Topökonomen und -ökonominnen dankend ab, wenn von der Regierung vorgefühlt wird, ob sie bei den Wirtschaftsweisen dabei sein wollen.

Den ersten Tabubruch beging Bundesfinanzminister Christian Lindner, indem er den hochangesehenen früheren Wirtschaftsweisen Lars Feld zu seinem persönlichen Berater machte. Sein Konkurrent im Bundeswirtschaftsministerium, Robert Habeck, zog nach und ernannte den Ökonomen Simon Jäger zu seinem exklusiven Berater.

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Nur bei Bundeskanzler Olaf Scholz weiß man nicht, wer sein Lieblingsökonom oder seine Lieblingsökonomin ist. Das sollte sich ändern. Die jetzige Krise bietet tatsächlich die Gelegenheit, den Sachverständigenrat zu reformieren. Wenn nicht in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, wann sollte der Kanzler dann die Chance ergreifen, sich neuen ökonomischen Sachverstand ins Haus zu holen?

Erstpublikation: 13.05.2024, 15:41 Uhr.

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