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Morning BriefingKieler Kampfansage – Günther drängt CDU-Chef Merz zur Richtungsdebatte

Pünktlich zum Parteitag fordert der schleswig-holsteinische Regierungschef, die CDU müsse wieder mehr Merkel wagen. Die meisten Demoskopen geben ihm recht. Christian Rickens 06.05.2024 - 06:30 Uhr
Handelsblatt Morning Briefing

Kampfansage aus Kiel: Daniel Günther und der Kurs der CDU

06.05.2024
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Liebe Leserinnen und Leser,

bisweilen kann schon die Wahl der Reiseroute eine Provokation darstellen. Gestern ist der chinesische Staatschef Xi Jinping zu seinem ersten Europabesuch seit 2019 in Paris gelandet. Anschließend geht es nicht etwa weiter nach Berlin, sondern zu den beiden Kreml-Außenstellen in Budapest und Belgrad. In Belgrad will Xi an die Bombardierung der chinesischen Botschaft durch die Nato während des Kosovo-Kriegs 1999 erinnern. Offiziell kommentiert die Bundesregierung die Besuche in Ungarn und Serbien nicht. Hinter den Kulissen heißt es aber: Es sei „mit Sicherheit die Strategie von Xi“, damit Europa spalten zu wollen.

Leider hat Olaf Scholz die Chance verpasst, Xi ein Symbol der europäischen Geschlossenheit entgegenzusetzen: Während EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zu einem Dreiertreffen mit Xi und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron nach Paris reist, verzichtet der Bundeskanzler auf eine Teilnahme. Die Bundesregierung erklärt die Abwesenheit des Kanzlers in Paris mit einer Terminkollision: Scholz fliegt heute nach Litauen. Die Reise sei seit Langem geplant und als Zeichen der Solidarität im Konflikt mit Russland von hoher Bedeutung.

Chinas Präsident Xi Jinping wird von Frankreichs Premierminister Gabriel Attal bei seiner Ankunft in Paris begrüßt. Foto: via REUTERS

Ich bin mir allerdings ziemlich sicher: Wäre da ein Wille, hätte sich auch ein Weg nach Paris gefunden. Um europäische Gemeinsamkeit zu demonstrieren, müsste man in Berlin, Brüssel und Paris allerdings erstmal eine gemeinsame Haltung haben. Mit der ist es in der Handels- und Außenpolitik gegenüber Peking nicht weit her.

Was fairerweise weniger an Scholz liegt als an Macron. Dessen Positionen in Sachen China wechseln schneller als die Hosenschnitte im Hause Dior.

Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther: „Es gibt zum Beispiel viele unzufriedene Grünen-Wähler, die durchaus wechselbereit wären.“ Foto: dpa

Wo wir gerade bei Provokationen sind: Das war ein hübsches Stinkbömbchen, das Daniel Günther da mitten in den Aufmarsch der Parteikader zum CDU-Bundesparteitag geworfen hat.

„Viele, die unter Merkel CDU gewählt haben, erreichen wir im Moment nicht – aber sie sind nicht unerreichbar“, sagte der schleswig-holsteinische CDU-Ministerpräsident den Zeitungen der Funke Mediengruppe:

Es gibt zum Beispiel viele unzufriedene Grünen-Wähler, die durchaus wechselbereit wären.
Daniel Günther
CDU-Mnisterpräsident Schleswig-Holstein

Angela Merkels Kurs der Mitte war ihr Erfolgsrezept. Und falls irgendjemand noch nicht verstanden haben sollte, dass sich das Interview gegen die aktuelle Parteispitze richtet, lieferte Günther Klartext nach:

Die Ampel hat in der Bevölkerung einen miserablen Ruf. In einer solchen Lage müsste die Union eigentlich besser dastehen als im Moment.
Daniel Günther
CDU-Mnisterpräsident Schleswig-Holstein

Nach allem, was man weiß, kriegt CDU-Chef Friedrich Merz bereits bei der Erwähnung der Ex-Kanzlerin Puls. Ihm zu raten, er solle mehr Merkel wagen, ist etwa so als würde man dem Papst empfehlen, sich doch mal ein Beispiel an Hugh Hefner zu nehmen.

CDU-Chef Friedrich Merz: In der Union als Kanzlerkandidat gesetzt – in der Wählerschaft dagegen noch längst nicht. Foto: Handelsblatt

Daran gemessen reagierte Merz erstaunlich gelassen auf Günthers Provokation: Auf dem Parteitag werde man sicher darüber diskutieren, wie man die CDU so aufstelle, „dass wir wirklich das Wählerpotenzial, das wir haben, voll ausschöpfen“. Merz:

Ich bin über jeden Wortbeitrag und über jeden Beitrag in der Partei dankbar, der sich genau diesem Ziel verpflichtet fühlt.
Friedrich Merz
CDU-Chef

Hey Siri, Sarkasmus aus!

Merz hofft auf dem heute beginnenden Parteitag auf ein gutes Ergebnis bei der erneuten Wahl zum Vorsitzenden. Die Kanzlerkandidatur für die Union wäre ihm nach einem solchen Signal des Rückhalts kaum noch zu nehmen.

Die Demoskopen, mit denen unser Unions-Watcher Daniel Delhaes gesprochen hat, geben in der Tendenz eher Günther recht. Matthias Jung von der Forschungsgruppe Wahlen hält etwa „eine breite Ansprache der politischen Mitte“ für zwingend, „ohne durch Polarisierung den überzeugten politischen Gegner zu mobilisieren“. Nur so könne die Union erfolgreich sein. Jung:

Dazu ist es aber notwendig, dass man ein personelles Angebot hat, das diesen Spagat authentisch verkörpern kann.
Matthias Jung
Forschungsgruppe Wahlen

Fazit: Aus dem Konservativen Merz wird niemand mehr einen schwarz angemalten Sozialdemokraten machen. Will er Bundeskanzler werden, muss er zumindest neben sich starke Führungspersonen zulassen, die gezielt die anderen Lager in der Gesellschaft ansprechen. Ansonsten wird Merz zum besten Wahlhelfer der SPD.

An der Börse misstrauen viele Anleger der Mercedes-Strategie – und auch intern kommen Zweifel auf. Foto: Bloomberg [M]

Die breite Masse ansprechen oder sich spitz positionieren? Was die CDU umtreibt, beschäftigt auch Ola Källenius. Der Vorstandschef von Mercedes-Benz fokussiert den Konzern auf edle Autos, die sich teuer verkaufen lassen. Dieser Ansatz ist durchaus erfolgreich. Källenius hat die Umsatzrendite bei Mercedes auf ein zweistelliges Niveau gehoben. Doch nun mehren sich die Probleme. Moritz Kronenberger, Portfoliomanager bei Union Investment, sagt dem Handelsblatt:

Die Luxusstrategie des Konzerns ist gefährdet.
Moritz Kronenberger
Portfoliomanager bei Union Investment

Die Verkäufe von besonders lukrativen High-End-Fabrikaten wie der S-Klasse sind im ersten Quartal 2024 um 27 Prozent auf 66.600 Einheiten geschrumpft. Handelsblatt-Autoreporter Franz Hubik analysiert: Wenn Mercedes überhaupt noch wächst, dann mit kleinen oder mittelgroßen Baureihen. Darunter leiden die Margen. In den ersten drei Geschäftsmonaten 2024 ist die operative Umsatzrendite des Fahrzeugherstellers im Vergleich zum Vorjahresquartal von 14,7 auf 10,8 Prozent gesunken.

Die eine Zahl, die mich beim gestrigen Zeitungmachen so richtig verblüfft hat, sehen Sie in unserer Grafik: Über die Hälfte des Abfalls in Deutschland stammt aus dem Bau- und Abbruchbereich. Bedeutet im Umkehrschluss: Wenn es im Baubereich gelingt, die Recyclingquote auch nur geringfügig zu erhöhen, dann ist der Hebel zur Müllvermeidung richtig groß. Deutlich größer jedenfalls, als wenn man wie einst Otto seine benutzten Teebeutel zu Papier, organischem Abfall und Restmüll dekonstruiert.

Längst gibt es Konzepte, wie sich der verborgene Schatz im Schutt heben lässt, und einen flotten Namen hat das Recycling von Abbruchhäusern auch schon: „Urban Mining“. In Heidelberg soll nun ein ganzer Stadtteil entstehen, bei dem 90 Prozent der zuvor abgerissenen Gebäude aus den 60er-Jahren wiederverwertet werden. In einer idealen Welt allerdings wären neue Häuser von Anfang an so konstruiert, dass sie sich sortenrein getrennt wieder zerlegen lassen – Ottos Teebeutel-Prinzip auf'm Bau.

Erwarten Sie von mir noch etwas Kluges zum Angriff auf den SPD-Europapolitiker Matthias Ecke in Dresden? Da fällt mir nicht so furchtbar viel ein, außer dass ich Herrn Ecke eine rasche Genesung wünsche. Gut, dass sich einer der mutmaßlichen Täter gestern gestellt hat. Ich wünsche mir ferner, dass niemand in Deutschland Angst haben muss, auf der Straße oder irgendwo sonst das Opfer von Gewalt zu werden. Der Politiker der SPD ebenso wenig wie jener von der AfD, der afrikanische Flüchtling in Bautzen ebenso wenig wie der Mitbürger jüdischen Glaubens, der mit einer Kippa durch Berlin-Neukölln geht.

Ein klein bisschen erstaunt bin ich, dass die Attacke von Dresden eine so ganz eigene Dimension der Gewalt darstellen soll, dass Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) nun gleich eine Sonderkonferenz der Innenminister von Bund und Ländern abhalten will. Ich bin da eher bei Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU), der gegenüber der „Rheinischen Post“ fragte, „warum immer dann, wenn so etwas passiert, die gleiche Leier gespielt wird“.

» Lesen Sie auch: Top-Ökonomen zeigen sich alarmiert über Angriffe auf Politiker

Mit „verurteilen, diskutieren, Sitzungen veranstalten“ sei niemandem geholfen. Stattdessen setze er auf eine „konsequente Strafverfolgung mit wirkungsvollen Urteilen und endlich wieder ein respektvolles Miteinander in der Gesellschaft“.

Der Sound gefällt mir. Oh Gott, lande ich am Ende doch noch bei Friedrich Merz und seiner Post-Merkel-CDU? Ich wünsche Ihnen einen Wochenauftakt, an dem Sie alte Gewissheiten in Frage stellen.

Herzliche Grüße,

Verwandte Themen Deutschland CDU Friedrich Merz Daniel Günther Xi Jinping Angela Merkel

Ihr

Christian Rickens

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