Bundeskabinett Koalition macht Weg für Betriebsrätegesetz und Erntehelfer-Regelung frei

Die Koalition will das Wahlverfahren für Betriebsräte vereinfachen.
Berlin Auf der Zielgeraden gab es noch einmal eine Namensänderung: Aber das Betriebsrätemodernisierungsgesetz, das als „Betriebsrätestärkungsgesetz“ gestartet war, ist nach längerem Koalitionsstreit am Mittwoch vom Bundeskabinett verabschiedet worden. Kernpunkt ist eine Erleichterung des Wahlverfahrens für Betriebsräte.
Gerade in Zeiten der Digitalisierung lasse sich eine Vielzahl von Fragen durch Betriebsvereinbarungen besser lösen als durch engmaschige gesetzliche Vorgaben, sagte der arbeitsmarktpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Peter Weiß (CDU), dem Handelsblatt. „Aber dafür braucht es Betriebsräte.“ Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) sagte: „Dort, wo Betriebsräte tätig sind, ist mehr Raum für Innovationen, sind die Arbeitsbedingungen oft besser und wirtschaftliche Erfolge stabiler.“
Heil hatte schon im Dezember 2020 einen Referentenentwurf vorgelegt, die Behandlung im Bundeskabinett war aber mehrfach verschoben worden. Der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB), Reiner Hoffmann, hatte daraufhin Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) und der Union eine „unerträgliche“ Blockadehaltung vorgeworfen.
In Westdeutschland haben nur noch neun Prozent der Betriebe mit mindestens fünf Beschäftigten, die die notwendigen Voraussetzungen erfüllen, einen Betriebsrat. In Ostdeutschland sind es nach Daten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zehn Prozent.
Verfahren für Betriebsratswahlen wird vereinfacht
Mit dem Gesetz will Arbeitsminister Heil die Hürden für die Anwendung des vereinfachten Wahlverfahrens senken. Es gilt bisher in Betrieben mit fünf bis 50 Beschäftigten automatisch, in Unternehmen mit 51 bis 100 Arbeitnehmern können der Wahlvorstand und der Arbeitgeber das vereinfachte Verfahren vereinbaren.
Künftig soll es in Betrieben mit bis zu 100 Beschäftigten obligatorisch sein und in Betrieben mit bis zu 200 Arbeitnehmern vereinbart werden können. „Die kurzen Fristen des vereinfachten Wahlverfahrens können auch einen Beitrag zur Reduzierung der Behinderungen von Betriebsratswahlen in kleineren Betrieben leisten“, heißt es im Gesetzentwurf, der dem Handelsblatt vorliegt.
Außerdem sollen Betriebsratsmitglieder auch per Video oder Telefon an Sitzungen teilnehmen können, wenn das in der Geschäftsordnung vorgesehen ist und nicht mindestens ein Viertel der Mitglieder widerspricht.
Gestritten hatten die Koalitionsparteien zuletzt noch über die Frage, wie weit der Kündigungsschutz für die Organisatoren von Betriebsratswahlen ausgeweitet wird und welche Rechte Betriebsräte beim Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) im Unternehmen haben sollen.
SPD gibt Widerstand gegen Erntehelfer-Regelung auf
Künftig genießen nicht nur drei, sondern sechs Beschäftigte, die zur Wahl eines Betriebsrats einladen, Kündigungsschutz. Dieser gilt auch schon vor Einberufung der Wahlversammlung, wenn die Initiatoren eine öffentlich beglaubigte Erklärung abgegeben haben, dass sie einen Betriebsrat gründen wollen. Beim KI-Einsatz sollen Betriebsräte externen Sachverstand einholen können.
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), kritisierte das Gesetz scharf: „Wer in der jetzigen Situation den Unternehmen eine weitere bürokratische Last aufbürdet, der zeigt, dass ihm ein auf die derzeitige wirtschaftliche Lage nicht mehr passender Koalitionsvertrag wichtiger ist als die Standortfaktoren für eine wirtschaftliche Gesundung dieses Landes.“ Die tausendfach erfolgreiche Zusammenarbeit der Betriebspartner zur Bewältigung der aktuellen Gesundheitskrise zeige sehr eindrücklich, dass diese Partnerschaft keiner „einseitigen Nachhilfe des Gesetzgebers“ bedürfe.
Der für Betriebsräte zuständige Berichterstatter der FDP-Fraktion, Carl-Julius Cronenberg, sagte, unter dem Deckmantel der Digitalisierung solle das genau austarierte Gleichgewicht des betrieblichen Regelsystems einseitig verschoben werden. „Resultat eines solchen Gesetzes ist mehr Misstrauen in den Betrieben und weniger technologische Innovation. Das kann auch kurz vor der Bundestagswahl nicht gewollt sein.“
Lob kam dagegen von Gewerkschaftsseite: Der Vorsitzende der Industriegewerkschaft Bauen, Agrar, Umwelt (IG BAU), Robert Feiger, sprach von einem „Meilenstein für mehr Mitbestimmung“. In Branchen wie der Bauwirtschaft und der Gebäudereinigung seien Betriebsräte noch immer eine Seltenheit. Gerade in Kleinbetrieben schreckten Beschäftigte vor der Gründung einer Arbeitnehmervertretung zurück – häufig aus Angst vor einer Kündigung oder Ärger mit dem Arbeitgeber, sagte Feiger.
Während die Union der SPD beim Betriebsrätemodernisierungsgesetz entgegengekommen ist, haben die Sozialdemokraten ihren Widerstand gegen eine Verlängerung der Corona-bedingten Sonderregeln für Erntehelfer aufgegeben.
Für Erntehelfer gilt normalerweise, dass sie 70 Tage im Jahr weitgehend sozialversicherungsfrei in Deutschland arbeiten dürfen. Diese Frist soll nun für den Zeitraum von Anfang März bis Ende Oktober auf 102 Tage ausgedehnt werden. Eine entsprechende Gesetzesänderung hat das Bundeskabinett am Mittwoch ebenfalls beschlossen, sie soll schon in der nächsten Sitzungswoche vom Bundestag verabschiedet werden.
Schon im vergangenen Jahr hatte die Bundesregierung ausländischen Erntehelfern bis zu 115 Tage Aufenthalt gestattet. Sie reagierte damit auf die Sorgen landwirtschaftlicher Betriebe, wegen pandemiebedingter Restriktionen und Reisebeschränkungen nicht genug Saisonkräfte rekrutieren zu können.
Die Erweiterung der sozialversicherungsfreien Zeit auf mehr als 100 Tage gehe voll zu Lasten der Erntehelfer, kritisierte DGB-Vorstandsmitglied Anja Piel. Wieder einmal werde deutlich, dass für Agrarministerin Julia Klöckner (CDU) nicht das Wohl der Erntehelfer Vorrang habe, „sondern vor allem die Interessen der Agrarlobby“.
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