Bundestagwahl 2021 „Ein langer Abend“: Noch keine Wahlentscheidung zwischen SPD und Union

Armin Laschet spricht nach den ersten Ergebnissen zu seinen Anhängern.
Berlin Die Wählerinnen und Wähler stellen die Parteien vor eine schwierige Aufgabe: Laut erster ARD-Hochrechnung liegt die SPD mit hauchdünnem Vorsprung vor der Union. Demnach erreichten die Sozialdemokraten 24,9 Prozent der Stimmen, die Union kam auf 24,7 Prozent. Angesichts der eng beieinander liegenden Werte ließ sich ein klarer Sieger am Wahlabend zunächst nicht ausmachen. Auch das deutet darauf hin, dass die Regierungsbildung schwierig werden könnte. Olaf Scholz und Armin Laschet sprachen beide von einem „langen Abend“.
In den Parteizentralen begannen am Sonntagabend bereits Spekulationen über mögliche Koalitionen. Nach der ersten Hochrechnung tritt Armin Laschet auf die Bühne. Mit dabei sind Angela Merkel und 14 weitere führende Köpfe der CDU, die ihrem Parteichef und Kanzlerkandidaten den Rücken stärken wollen. „Das ist ein ganz besonderer Wahlabend“, beginnt er und dankt zunächst Kanzlerin Merkel.
Es sei klar gewesen, dass es ein enges Ergebnis werde. „Mit dem Ergebnis können wir nicht zufrieden sein“, räumt er ein. Nun gelte es, mit einem Dreierbündnis „unter Führung der Union zu bilden“. Er will eine „Zukunftskoalition“ schmieden, die das Land modernisiere: weniger Bürokratie, mehr Digitalisierung und Klimaschutz. „Dafür werde ich ab heute arbeiten“, kündigt er an. Angesichts des historisch schlechten Ergebnisses ist er zu Zugeständnissen bereit. „Jeder Partner muss sich mit seinen Schwerpunkten wiederfinden“, bietet er an. „Bundeskanzler wird der, dem es gelingt, Gegensätze zu verbinden.“
Auch SPD-Spitzenkandidat Olaf Scholz machte bei seinem Auftritt im Willy-Brandt-Haus deutlich, dass er als Wahlsieger einen klaren Anspruch auf die Kanzlerschaft erhebe.Die Grünen hielten sich mit klaren Bekenntnissen zunächst zurück. Entscheidend sei, eine Konstellation zu finden, mit der man „am meisten Aufbruch für den Klimaschutz hinbekommt“, sagte Grünen-Politikerin Katrin Göring-Eckardt.
Koalitionsverhandlungen müssten „sehr viel stringenter“ sein als 2017, sagte sie. Damals hatten die Liberalen nach langen Verhandlungen einen Rückzieher gemacht. FDP-Politiker Wolfgang Kubicki betonte am Wahlabend, seine Partei wolle mitregieren. Man habe eine „deutliche Präferenz für Jamaika“.
Gespräche über mögliche Bündnisse
Als die Hochrechnungen der Bundestagswahl auf den Bildschirmen erschienen, brachen die anwesenden Liberalen zwar nicht in frenetischen, aber soliden Applaus aus – die prognostizierten elf Prozent sind kein überragendes, aber ein gutes Ergebnis für die FDP auf Bundesebene.
Jubel brach aus, als klar wurde, dass es für ein Linksbündnis aus SPD, Grünen und Linkspartei nicht reichen würde – eine rot-rot-grüne Koalition zu verhindern war ein erklärtes Ziel der Liberalen und des Parteichefs Christian Lindner. Der größte Jubel brach aus, als er die Bühne betrat.
Sollte es nicht zu einer großen Koalition zwischen SPD und CDU kommen, einem eher unwahrscheinlichen Bündnis, kann an der FDP vorbei wohl keine Regierung gebildet werden. In der CDU-Zentrale hieß es, wenn es am Ende für ein rot-rot-grünes Bündnis nicht reiche, verfüge die SPD über kein Erpressungspotenzial. Dann liege der Schlüssel für die Kanzlerschaft bei der FDP. FDP-Chef Christian Lindner entscheide in dieser Konstellation, ob es zu Schwarz-Gelb-Grün komme oder doch zu Rot-Gelb-Grün, hieß es weiter.
In der CSU wurde betont, die Union sei zu Verhandlungen mit der FDP und den Grünen bereit, auch CSU-Chef Markus Söder unterstütze dies. Zuvor hatte Söder noch klargemacht, dass er eine Regierungsbildung ablehne, wenn die Union nicht als Nummer eins durchs Rennen gehe.
Beim Kampf um den ersten Platz hatte es in den letzten Wochen vor der Wahl ein Kopf-an-Kopf-Rennen gegeben. Auch wenn in den letzten Umfragen immer SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz in der Gunst der Wählerinnen und Wähler vorn lag, hatte Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet zuletzt wieder etwas Boden gutmachen können. Auf den letzten Metern des Wahlkampfs erhielt er dabei noch Unterstützung von Kanzlerin Angela Merkel, die nach 31 Jahren als Abgeordnete des Bundestags nicht mehr kandidiert hatte.
Wahlkampf lief für Laschet schlecht
Am Freitag trat sie auf der Abschlussveranstaltung der CSU in München gemeinsam mit Bayerns Ministerpräsident Markus Söder und Laschet auf. Am Samstag warb sie erneut für Laschet in dessen Heimatstadt Aachen. Merkel kritisierte, dass im Wahlkampf von vielen Parteien vor allem über das Verteilen von Geld geredet worden sei. „Erarbeiten und Verteilen sind aber zwei Seiten einer Medaille“, sagte sie und warnte vor einer Strangulierung der Wirtschaft durch Steuererhöhungen.

Die Bundeskanzlerin sprach sich im Vorfeld der Wahl wieder für den Unionskandidaten aus.
Für Armin Laschet war der Wahlkampf insgesamt denkbar schlecht gelaufen. Erst im Januar stand der NRW-Ministerpräsident als CDU-Vorsitzender fest. Nach elf quälenden Tagen konnte er sich im April gegen CSU-Chef Markus Söder als Unions-Kanzlerkandidat durchsetzen.
Danach musste es schnell gehen, zu schnell. Erst kam das Wahlprogramm, das Söder nach der Veröffentlichung vor allem in der Steuerpolitik konsequent anders deutete. Söder grenzte sich durch seinen „Bayernplan“ ab und hörte obendrein nicht auf, gegen Laschet zu sticheln.
Hinzu kamen selbst zu verantwortende Pannen: Laschet lachte in dem von Hochwasser zerstörten Erftstadt, während Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vor den Kameras ernste Worte sprach. „Blöd“ sei das gewesen, entschuldigte sich Laschet später. Doch hängen blieb: Er hat den Ernst der Lage nicht begriffen.
Laschet konnte kluge Reden halten, wie er wollte, beim TV-Triell Olaf Scholz und Annalena Baerbock attackieren, Themen setzen, es half alles nichts. Die Umfragewerte sanken und sanken, schienen dann im Keller wie betoniert, erst recht seine Beliebtheitswerte. Erst zwei Wochen vor der Wahl stabilisierte sich die Lage, gab es wieder einen leichten Aufwärtstrend.
Besser lief der Wahlkampf für Olaf Scholz. Als er vor einigen Tagen gefragt wurde, ob er am Wahlsonntag mit Saskia Esken verabredet sei, die ihn zu einem Linkskurs zwingen wolle, gab Scholz zurück: „Ich bin am kommenden Sonntag mit dem Volk verabredet.“ Dabei hatte es lange so ausgesehen, als ob der Wahltag für Scholz ein finsterer werden würde.
Laschet unzufrieden mit dem Ergebnis der CDU
Doch die guten Umfragewerte hatten Scholz zuletzt beflügelt, federnd bewegte sich der sonst eher steife Scholz durch den Wahlkampf. Immer wieder sagte er, der Zuspruch aus der Bevölkerung „berühre“ ihn. Scholz gab sich nahbarer, lockerer. Einen Beitrag zum guten Abschneiden der SPD hat auch deren Wahlkampagne geleistet.
Die SPD hatte sich nach dem Wahldebakel von 2017 geschworen, aus den Fehlern zu lernen. Sie ließ von externen Experten einen langen Bericht erstellen, der genau diesen Titel trug: „Aus Fehlern lernen“. Und das Erstaunliche: Die Genossen hielten sich daran.
Scholz wünscht sich Koalition mit den Grünen
Scholz bekräftigte am Samstag bei seiner Abschlusskundgebung in seinem Wahlkreis in Potsdam seinen Wunsch nach einer Koalition mit den Grünen. „Das ist meine Lieblingskoalition“, sagte er. In seinem Potsdamer Wahlkreis tritt auch die Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock als Direktkandidatin an. Zuletzt hatte Scholz immer wieder sein gutes Verhältnis zu FDP-Chef Christian Lindner betont. Er braucht Lindner für eine Ampel-Koalition mit den Grünen. Sonst trägt ihn nur ein Bündnis mit der Linkspartei ins Kanzleramt.

Die abgegebenen Stimmen für die Bundestagswahl werden ausgezählt.
Doch der FDP-Chef gab sich bis zum Schluss hartleibig. „Wir sind auch 2021 nicht bereit, unser Land auf einen Linksdrift zu schicken“, sagte er noch am Wochenende. Man sei nur bereit für „eine Regierung der Mitte“, in der es keine Steuererhöhungen und kein Aufweichen der Schuldenbremse geben werde. Scholz dürfte nicht gern gehört haben, dass Lindner wieder kritisch Stellung zur SPD und zu den Grünen bezog.
Lindner hatte in den vergangenen Wochen immer wieder klargemacht, er favorisiere eine Koalition mit Union und Grünen. In seiner etwa einstündigen Rede untermauerte er das Vorhaben, den Klimaschutz durch den Abbau von Bürokratie voranzubringen. Genehmigungsverfahren müssten dringend beschleunigt werden, damit Industrieunternehmen Vorhaben zur CO2-Senkung umsetzen könnten. Deutschlands Industrie sei innovativ und bereit für Investitionen, langwierige Genehmigungsverfahren seien ein Klotz am Bein.
Die Grünen-Kanzlerkandidatin Baerbock will sich bislang nicht den Kopf über eine mögliche Koalition nach der Bundestagswahl zerbrechen. „Ich mache bis zur letzten Minute Wahlkampf“, sagte sie am Samstag in Potsdam bei einem Treffen mit Bürgern. Sie beteilige sich nicht an den Gedankenspielen anderer.
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