Hermann Otto Solms „Stimme für Selbstbestimmung und Verantwortung” – FDP-Grande verlässt den Bundestag

„Es war unumgänglich, dass ich nach und nach immer stärker in den Sog der Politik als Berufsfeld geriet“, sagt der FDP-Politiker.
Berlin Das Leben von Hermann Otto Solms begann mit einem Mysterium. Er sei, so heißt es in seiner jetzt erschienenen Autobiografie, im November 1940 mit einem grauen Haarflaum zur Welt gekommen. Gemutmaßt wurde damals, dass dieses für einen Säugling eher ungewöhnliche Merkmal auf den Schock seiner Mutter über den plötzlichen Tod seines Vaters zurückzuführen sei, der zwei Monate vor der Geburt des Sohnes bei einer militärischen Übung ums Leben gekommen war.
Später färbten sich die Haare des Halbwaisen Solms in ein dunkles Braun. Während seiner politischen Laufbahn, der 37 Jahre als Abgeordneter im Deutschen Bundestag, der sieben Jahre als Fraktionsvorsitzender der FDP und der vier Jahre als Alterspräsident des Bundestages, trug er sie stets auf die gleiche Weise: zur Seite gekämmt, dazu ein breiter Schnauzbart.
Doch es gibt noch einige andere Dinge, denen Solms fast so lange treu geblieben ist wie seiner Frisur: seinem jahrzehntelangem politischen Engagement, seinem Glauben an die liberale Idee und seiner Lust auf kritische Debatten. Im September endet Solms politische Karriere – zur kommenden Bundestagswahl wird der 80-Jährige nicht mehr antreten.
Kurz vor dem Ende seiner Laufbahn als Abgeordneter hat er am Mittwoch in Berlin seine Autobiografie vorgestellt, aus deren Titel sich bereits die politische Grundüberzeugung des Autors herauslesen lässt: „Frei heraus – Mein selbstbestimmtes Leben“.
Da Solms die politische Debatte auch kurz vor seinem Ruhestand nicht lassen kann, hatte er sich zur Präsentation seines Buches einen langjährigen parteipolitischen Gegenspieler eingeladen: den ehemaligen Bundestagspräsidenten und SPD-Abgeordneten Wolfgang Thierse. Der Austausch zwischen den beiden steckte voll von Widerspruch und Kabbeleien, aber auch gegenseitigem Respekt. So würdigte Wolfgang Thierse die von Solms gelebte „glaubwürdige Einheit von Selbstbestimmung und Verantwortung“ und lobte ihn für die „großen Treue gegenüber der eigenen Partei“.
In der FDP dank Willy Brandt
Herman Otto Solms und die FDP – diese langjährige Beziehung geht auf die parteipolitischen Entwicklungen Ende der 1960er-Jahre zurück, die Solms damals aus Kansas in den USA verfolgte. Von 1969 bis 1970 war er Research Assistent für Agricultural Economics an der Kansas State University. Die Möglichkeit, für den SPD-Politiker Willy Brandt nach der Bundestagswahl 1969 eine sozialliberale Koalition gegen die Mehrheitspartei CDU zu bilden, elektrisierte Solms so sehr, dass er sich schwor: „Wenn die das wirklich wagen, werde ich mich in der FDP engagieren“, wie er es in seiner Biografie beschreibt. Was dann passierte, ist Geschichte.
Ob das Momentum der damals neuartigen sozialliberalen Kooperation auch heute herrscht, darüber waren sich Solms und Thierse am Mittwoch uneinig. Während sich Thierse skeptisch äußerte, wies Solms darauf hin, die Aufbruchstimmung hätte auch damals erst nach dem gescheiterten Misstrauensvotum gegen Willy Brandt 1972 begonnen, das den Weg für die historischen Ostverträge freimachte.
Schon kurz nach diesem Ereignis, im Jahr 1973, begann Hermann Otto Solms seine erste Tätigkeit im Bundestag – allerdings nicht als Abgeordneter, sondern als persönlicher Referent der damaligen Bundestagsvizepräsidentin Liselotte Funcke (FDP). „Es war unumgänglich, dass ich nach und nach immer stärker in den Sog der Politik als Berufsfeld geriet“, schreibt Solms über die damalige Zeit. Ein Sog, dem er bis heute nicht entkommen sollte.
Seit 1980 ist Solms Mitglied des Deutschen Bundestages – mit Ausnahme der Jahre 2013 bis 2017, in denen die FDP dort nicht vertreten war. Dabei war ein großes Thema für ihn, der auch als Unternehmer gearbeitet hatte, die Reform des Steuerrechts. Seine Idee eines sogenannten Drei-Stufen-Tarifs Ende der Nullerjahre, die von der Partei damals als großer Wurf gefeiert wurde, erntete allerdings viel Kritik von Kommunen und Steuerverwaltern. Umgesetzt wurde sie nie.
Trotzdem hält Solms die damalige Steuerpolitik für den Grund des Erfolges bei der Bundestagswahl 2009, bei der die FDP mit 14,2 Prozent ihr bisher bestes Ergebnis einfahren konnte. Eine Einschätzung, die laut Solms von dem 2016 verstorbenen damaligen Parteivorsitzenden Guido Westerwelle nicht geteilt wurde.
Eine Legislaturperiode lang Pause im Bundestag
Dieser habe gedacht, „der entscheidende Grund für unser hervorragendes Ergebnis sei er selbst“, schreibt Solms in seinem Buch und resümiert: „Eine Fehleinschätzung, wie sich bald zeigen sollte.“ Nur vier Jahre später schied die FDP für eine Legislaturperiode aus dem Bundestag aus. Solms hatte allerdings ohnehin nicht kandidiert.
2017 allerdings entschied sich Solms zu einer weiteren Kandidatur. Er schaffte gemeinsam mit seiner Partei den Wiedereinzug und wurde in seiner insgesamt zehnten Legislaturperiode Alterspräsident des Bundestages.
Ein Amt, das eigentlich dem ehemaligen Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) zugestanden hätte – der mit 49 Amtsjahren als einziger Abgeordneter auf noch mehr Jahre im höchsten deutschen Parlament zurückblicken kann. Da Schäuble allerdings seit 2017 Präsident des Bundestages ist, überließ er den Altersvorsitz seinem FDP-Kollegen.
Mit der Bundestagswahl im September endet für Solms nun als Letztes auch dieses politische Amt. Mittlerweile haben sich seine Haare wieder grau gefärbt. Seiner Frisur und seinem Schnäuzer allerdings ist er weiterhin treu geblieben – genau wie seiner Partei: „Es ist uns gelungen, die FDP als unabhängige Kraft der Freiheit und Selbstbestimmung im Bundestag zu etablieren“, resümiert er seine politische Laufbahn.
Mehr: Alle wichtigen Fragen und Antworten zur Bundestagswahl 2021
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.