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Interview mit dem NRW-Ministerpräsidenten „Die Lage ist ernst“ – Laschet wirft deutscher Autoindustrie schwere Versäumnisse vor

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident warnt: Deutschland habe vergessen, wie hart der internationale Wettbewerb ist. Vor allem in der Autoindustrie sei die Lage ernst.
24.01.2020 - 04:00 Uhr 5 Kommentare
Armin Laschet: „Dann vergeigen wir die Zukunft“ Quelle: dpa
Armin Laschet

„An das Thema Unternehmensteuerreform müssen wir unbedingt ran“, sagt der NRW-Ministerpräsident.

(Foto: dpa)

Düsseldorf Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet hat der von CSU-Chef Markus Söder geforderten kurzfristigen Kabinettsumbildung eine Absage erteilt. „Die Bundesregierung ist noch nicht einmal zwei Jahre im Amt. Wir sollten diese Regierung einfach mal arbeiten lassen“, sagte Laschet dem Handelsblatt. Der CDU-Vize ist ohnehin der Meinung, „dass man eine Regierungsumbildung, sollte sie denn irgendwann nötig sein, einfach macht und nicht ein halbes Jahr darüber redet“.

Söder hatte mit seinem Vorstoß Anfang Januar eine Personaldebatte in der Union ausgelöst. Der CSU-Chef, der als einer der Kandidaten für eine Kanzlerkandidatur gilt, hatte sich vor allem für eine Verjüngung des Kabinetts ausgesprochen. Laschet wies Söder in die Schranken. „Die CDU entscheidet selbst über ihre Minister. Die Union ist gut beraten, einen Schritt nach dem anderen zu gehen“, sagte er.

Der CDU-Politiker attackierte Grünen-Chef Robert Habeck für seine scharfe Kritik an US-Präsident Donald Trump in Davos. „Für einen potenziellen Kanzlerkandidaten war der Auftritt von Herrn Habeck in Davos unbeherrscht und maßlos“, sagte Laschet dem Handelsblatt. Wenn Habeck so über den amerikanischen Präsidenten spreche, „weiß ich gar nicht, was er über den chinesischen, den russischen, den türkischen und andere Staatspräsidenten sagen will“.

Da seien die Differenzen doch noch größer. „Die Amerikaner sind die wichtigsten Verbündeten Europas. Derartige Kritik an Trump ist einfach, aber nutzlos und kontraproduktiv“, sagte Laschet. Er würde die US-Regierung auch nicht als „Gegner“ bezeichnen, „sondern als bedeutendsten Partner außerhalb der Europäischen Union, sie sind die weltweit führende Technologie-Nation und von entscheidender Bedeutung für die Sicherheit in Europa“.

Zudem warnt Laschet vor einem Abstieg der deutschen Autoindustrie. „Die Lage ist ernst. Ich hoffe, die deutschen Autokonzerne haben gerade noch mal die Kurve gekriegt“, sagte er dem Handelsblatt. Die Brandrede von VW-Chef Herbert Diess, der vor einem Niedergang des Konzerns gewarnt hatte, begrüßte Laschet grundsätzlich. „Aber so eine Brandrede hätte man natürlich durchaus schon mal vor zehn Jahren halten können.“

Laut dem CDU-Politiker sei die Entwicklung hin zum E-Auto und zum autonomen Fahren ja nicht von heute auf morgen gekommen. „Vor einigen Jahren haben unsere Autobosse aber alle abgewinkt, wenn es um die Konkurrenz aus dem Silicon Valley oder durch Tesla ging.“ Da habe es immer geheißen: Das holen wir alles locker auf. „Aber die Änderungen sind so grundlegend, da verliert man schnell den Anschluss“, sagte er. Die Entscheidung von Tesla, eine Fabrik in Brandenburg aufzubauen, ist für Laschet ein Grund zu Freude. „Konkurrenz belebt das Geschäft“.

Lesen Sie hier das vollständige Interview:

Herr Ministerpräsident, Deutschland wurde gerade in einer internationalen Studie bescheinigt, das innovativste Land der Welt zu sein. Sind also Warnrufe vor einem wirtschaftlichen Abstieg Deutschland übertrieben?
Stand heute kann man sagen: ja. Aber wenn wir sehen, vor welch großen Umbauten und Risiken die deutsche Wirtschaft steht, dann ist auch klar, dass wir die Wettbewerbsfähigkeit immer wieder neu erkämpfen müssen.

Wie denn?
Wir stehen vor einer völligen Neuordnung der Energiewirtschaft. Um die internationale Wettbewerbsfähigkeit zu sichern, werden wir da noch einmal über bezahlbare Strompreise für die energieintensive Industrie sprechen müssen. Auf Druck von Nordrhein-Westfalen haben wir im Kohlekompromiss verankert, dass das Bundeswirtschaftsministerium hier tätig werden darf. Aber viele Unternehmen hätten sich das noch klarer gewünscht.

Wird der Wunsch noch erfüllt?
Da müssen wir noch mal ran, wenn ab 2023 die ersten Braunkohlekraftwerke und die Kernkraft vom Netz gegangen sind, insgesamt über zehn Gigawatt, eine gigantische Größe. Wir brauchen eine klare Regelung, um stromkostenintensiven Unternehmen einen jährlichen Zuschuss für durch den Kohleausstieg entstehende zusätzliche Stromkosten zahlen zu können. Klimaschutz ist wichtig, das steht außer Frage. Wenn aber die Industrie übermäßig belastet wird, dann aus Deutschland wegen zu hoher Strompreise abwandert und schließlich woanders produziert, ist dem Klima nicht gedient – und dem Standort und den Arbeitsplätzen erst recht nicht.

Der Chef von Volkswagen hat gerade eine Brandrede gehalten und gewarnt, dass die deutsche Automobilwirtschaft vor einem Nokia-Moment stehen könnte, also einen technologischen Wandel verschlafen und in existenzielle Gefahr kommen könnte. Ist das übertrieben?
Die Lage ist ernst. Ich hoffe, die deutschen Autokonzerne haben gerade noch mal die Kurve gekriegt. Aber so eine Brandrede hätte man natürlich durchaus schon mal vor zehn Jahren halten können. Denn die Entwicklung hin zum E-Auto und zum autonomen Fahren kam ja nicht von heute auf morgen. Vor einigen Jahren haben unsere Autobosse aber alle abgewinkt, wenn es um die Konkurrenz aus dem Silicon Valley oder durch Tesla ging. Da hieß es immer, das holen wir alles locker auf. Aber die Änderungen sind so grundlegend, da verliert man schnell den Anschluss. 

Tesla-Chef Elon Musk will nun ein Riesenwerk in Brandenburg bauen. Ist das ein Grund zur Freude oder zu Sorge?
Die Entscheidung von Tesla ist für Deutschland ein Grund zu Freude, Konkurrenz belebt das Geschäft. Und es hatten sich auch viele andere europäische Länder als Standort beworben. Dass sich Musk für den Bau der europäischen Fabrik im Umland von Berlin entschieden hat, ist ein gutes Signal für den Automobilstandort Deutschland. Die Ansiedlung eröffnet auch viele Chancen für unsere Automobilzulieferer aus Nordrhein-Westfalen und hilft uns, unser bundesweit einzigartiges Elektromobilitätsnetzwerk von exzellenter Forschung, Herstellung und Anwendung weiterzuentwickeln.

Nach einem Jahrzehnt Daueraufschwung scheint Deutschland etwas träge geworden zu sein. Gibt es aus Ihrer Sicht unbequeme Wahrheiten, denen man sich in der Wirtschaftspolitik stellen muss?
Es ist offenkundig, dass wir uns auf den Erfolgen der vergangenen Jahre zu sehr ausgeruht haben und dabei vergessen, wie groß der internationale Wettbewerbsdruck ist. Bei aller Kritik an manchen Entscheidungen der USA muss man doch feststellen, dass jedenfalls die Wirtschaftspolitik der derzeitigen Regierung überwiegend erfolgreich ist. Und China hat den Vorteil, dass die Unternehmen dort mit rund 1,4 Milliarden Menschen einen Riesenmarkt haben. In Europa dagegen sind wir gerade dabei, den Binnenmarkt mit dem Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Union über 65 Millionen Menschen zu verkleinern.

Das werden wir aber nicht mehr ändern können.
Richtig. Aber die neue EU-Kommission muss den Binnenmarkt stärken und für neue Dynamik sorgen. Die EU-Kommission kümmert sich viel um den Green Deal, der große Chancen für Innovationen und die Entwicklung neuer Märkte und Geschäftsmodelle bietet. Alles gut, das ist eine wichtige Aufgabe. Ein Projekt für die deutsche Ratspräsidentschaft sollte aber auch sein, sich noch stärker der Industriepolitik zu widmen und eine Reform des europäischen Wettbewerbsrechts vorzunehmen, das bislang nur den Binnenmarkt im Blick hat.

Was schlagen Sie konkret vor?
Wir brauchen eine europäische Ministererlaubnis. Wenn Projekte wie die Fusion von Siemens und Alstom von der EU-Kommission wegen der Fokussierung auf nationale und regionale Märkte nach geltendem Recht untersagt werden, obwohl sie gerade mit Blick auf den Weltmarkt sinnvoll sind, muss es noch eine weitere Instanz geben, die das überprüft und überstimmen kann. Ich schließe mich hier Peter Altmaier und seinem französischem Ministerkollegen Bruno Le Maire an. Die Entscheidung sollte am Ende beim EU-Rat liegen. Ohne europäische Champions können wir im Wettbewerb mit den USA und China nicht bestehen. Das müssen aber Champions der Innovationskraft sein, Größe allein reicht nicht.

Armin Laschet mit Jan Hildebrand (l.) und Thomas Sigmund (r.).
Interview

Armin Laschet mit Jan Hildebrand (l.) und Thomas Sigmund (r.).

Grünen-Chef Robert Habeck hat US-Präsident für dessen Rede in Davos kritisiert, wo Trump die USA als Vorbild empfahl und wenig Interesse für Klimaschutz zeigte. Was halten Sie von Habecks Reaktion?
Seine Aussage, es sei die schlechteste Rede, die er je gehört habe, kann ich nicht nachvollziehen, wenn ich mir vor Augen halte, dass er in den vergangenen Jahren auf vielen Grünen-Parteitagen saß. Im Ernst: Natürlich gibt es viele Kritikpunkte an der aktuellen US-Regierung, sei es der Ausstieg aus dem Pariser Klimaabkommen, die Aufkündigung des Atomabkommens mit dem Iran oder die Sanktionsdrohungen gegen Deutschland wegen Nord Stream 2. Das sind alles Themen, über die man sprechen muss. Die Frage ist nur, in welcher Art und Weise. Für einen potenziellen Kanzlerkandidaten war der Auftritt von Herrn Habeck in Davos unbeherrscht und maßlos. Ich würde die US-Regierung auch niemals als „Gegner“ bezeichnen, sondern als bedeutendsten Partner außerhalb der Europäischen Union. Die USA sind die weltweit führende Technologienation und von entscheidender Bedeutung für die Sicherheit in Europa.

Bei vielen Deutschen dürfte Habeck mit der Trump-Kritik gut ankommen.
Kritik allein ist noch keine Außenpolitik. Wenn Habeck so über den amerikanischen Präsidenten spricht, weiß ich gar nicht, was er über den chinesischen, den russischen, den türkischen und andere Staatspräsidenten sagen will. Da sind die Differenzen doch noch größer. Die Amerikaner sind die wichtigsten Verbündeten Europas. Derartige Kritik an Trump ist einfach, aber nutzlos und kontraproduktiv. Wir brauchen Lösungsvorschläge. Wir Deutschen sind sehr gut darin, uns ständig über jeden zu ereifern. Natürlich gibt es Kritikpunkte, die man ansprechen muss. Aber trotzdem kann und muss man zusammenarbeiten. Bei vielen Konflikten in der Welt wird es zum Beispiel keine Lösung geben ohne Russland oder die Türkei. Und auch globaler Klimaschutz wird nicht funktionieren ohne China oder die USA.

Die USA und China haben ihren Handelskonflikt entschärft. Ist das eine gute Nachrichte, oder besteht nun das Risiko, dass Trump sich nun verstärkt mit der EU anlegt?
Ich halte das für ein gutes Signal, wenn dieser Handelskonflikt, der die Weltwirtschaft sehr belastet hat, nun entschärft wurde. Natürlich müssen wir Europäer uns auf alle Eventualitäten vorbereiten. Aber zu sagen, die USA sollen sich mit China streiten, damit wir Ruhe haben, halte ich für sehr kurzfristig gedacht. Ein Handelskrieg zwischen den USA und China schadet auch uns Europäern. Außerdem haben die Europäische Union und die USA im transatlantischen Handel auch in unserem Interesse eine Reihe von Themen zu klären.

Die Auswirkungen haben wir im vergangenen Jahr gesehen, die deutsche Exportindustrie hat gelitten. Ist das Schlimmste überstanden, und geht es jetzt wieder aufwärts?
Die Angst vor einer drohenden Rezession hat sich gelegt. Es ist nicht zu dem Konjunktureinbruch gekommen, den viele befürchtet hatten. Aber deshalb nun zu sagen, die Talsohle sei durchschritten, und nun kommen wieder blühende Jahre, das hielte ich für gewagt. Dafür gibt es zu viel Unsicherheit: Wie gelingt die Energiewende? Was wird aus der deutschen Autoindustrie? Schaffen wir es, bis Jahresende ein Austrittsabkommen mit den Briten zu verhandeln, oder droht wieder ein ungeregelter Brexit?

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier hat eine nicht unumstrittene Industriestrategie vorgelegt. Ist er damit auf dem richtigen Weg?
Nordrhein-Westfalen hat eine solche Initiative immer begrüßt.

Aber?
Es nützt wenig, wenn der Bundeswirtschaftsminister eine Industriestrategie erarbeitet, die aber nur den Status eines Diskussionspapiers hat und kein verbindliches Leitbild der Bundesregierung ist. Die gesamte Bundesregierung muss die Ziele unterstützen und daran mitarbeiten, wenn wir im internationalen Wettbewerb bestehen wollen. Jedes Ressort, jede Ministerin und jeder Minister, muss sich verpflichten, die Industriestrategie umzusetzen. So halten wir es in Nordrhein-Westfalen.

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5 Kommentare zu "Interview mit dem NRW-Ministerpräsidenten: „Die Lage ist ernst“ – Laschet wirft deutscher Autoindustrie schwere Versäumnisse vor"

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  • Waren es nicht unsere Politiker, die durch die Subventionierung von Diesel, die Verhinderung strengerer Abgasnormen auf EU-Ebene und die Verhinderung realistischer Abgastests die deutschen Autokonzerne dazu verleitet haben, weiterhin auf Diesel (und Verbrennungsmotoren allgemein) zu setzen und noch dabei zu schummeln?
    Die deutschen Autokonzerne wurden durch das jahrzehntelange kurzsichtige Denken von Politikern und Lobbyisten der Autokonzerne in diese Sackgasse gesteuert.

  • Alle Ministerpräsidenten aus a l l e n Bundesländer haben mit gemacht und sich schön feiern lassen.
    Also liebe Politiker, schön kurz treten.

  • „Vor einigen Jahren haben unsere Autobosse aber alle abgewinkt, wenn es um die Konkurrenz aus dem Silicon Valley oder durch Tesla ging.“
    Und mit Unterstützug der Politik. Die damaligen Politiker in der Regierung haben mit gebremst. Aber "Wir schaffen das". :-)

  • "Deutschland hat vergessen, wie hart der internationale Wettbewerb ist". Laschet redet
    meist sehr vernuenftig, aber diesmal liegt er total daneben. Ein relativ kleines Land, das
    die weltgroessten Exporte stemmt, hat keine Ahnung vom Wettbewerb. Ich fass es nicht!!!

  • Klar sind die USA unser Partner - nicht aber Herr Trump und seine Regierung! Zum Umgang innerhalb einer Partnerschaft gehört eine gewisse Fairness, die absolut nicht vorhanden ist. Das sollte unsere Regierung incl. Herrn Laschet Herrn Trump auch so "rüberbringen" Herr Harbeck sehe ich nicht auf meiner persönlichen Wellenlänge. Aber als Politiker der Opposition darf man sowas auch mal von sich geben. Das sollte man nicht überbewerten. Da kann man sich schon mal Gedanken machen, was evtl. unter einer Regierungsbeteiligung der Grünen rauskommt.

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