Shutdown Neustart in vier Phasen: BDI-Papier skizziert den Weg aus der Coronakrise

Die Planungen für das Wiederaufnehmen der Produktion nach Corona laufen, die Bänder noch nicht.
Berlin Der erzwungene Stillstand hat weite Teile der Wirtschaft erfasst. Leere Fabrikhallen, gedrosselte Produktionsanlagen und geschlossene Geschäfte vermitteln das Bild einer Volkswirtschaft, die den Betrieb eingestellt hat.
Doch der Eindruck täuscht: Geschäftsführer, Werksleiter, Vorstände und Ingenieure brüten allerorten darüber, wie man demnächst die Rückkehr zur Normalität organisieren kann. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) begleitet diesen Prozess mit dem Papier „Neustart und Erholung“, das auf 24 Seiten den Weg aus der Krise skizziert.
Das Papier, das dem Handelsblatt vorliegt, liest sich als Handlungsempfehlung für Manager und Politiker. Die Autoren teilen den Prozess des Neustarts in vier Phasen auf: die derzeit andauernde Eindämmung, den Wiedereinstieg, die Stabilisierung und die Erholung.
Damit spannen sie den Bogen von der aktuellen Einschränkung des öffentlichen Lebens mit Kontaktverboten und Schulschließungen bis zu einer Zeit, die der BDI auf das Jahr 2022 datiert: „Eine Erholung hin zum Niveau der wirtschaftlichen Aktivität vor der Krise wird gesamtwirtschaftlich wohl frühestens im kommenden Jahr, möglicherweise sogar erst im übernächsten Jahr machbar sein“, sagte BDI-Präsident Dieter Kempf. Die Regierung müsse daher bereits jetzt die mittel- und langfristigen Folgen stärker als bislang in den Blick nehmen.
Strenge Gesundheitsschutzvorgaben
Damit die Wirtschaft aber überhaupt wieder in Gang kommen kann, gilt es zunächst, das Infektionsrisiko in Fabriken und Büros zu minimieren. Mit der schrittweisen Lockerung der Restriktionen stehe die Industrie „vor der bewältigbaren Herausforderung, die industrielle Produktion mit Arbeitsschutzmaßnahmen zu organisieren, die der fortbestehenden Infektionsgefahr in den Betrieben Rechnung tragen“, sagte Kempf.
Das Bundeskabinett hat dazu am Donnerstag Covid-19-Arbeitsschutzstandards beschlossen. „Wir dürfen nicht lockerlassen, wir sind längst noch nicht über den Berg“, sagte Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD). Es gebe so bald noch keine Rückkehr zur Normalität.
Arbeitgeber müssen etwa dafür Sorge tragen, dass Beschäftigte in Gebäuden, im Freien und in Fahrzeugen einen Mindestabstand von 1,5 Metern wahren und sich Kollegen im Betrieb und in den Pausen nicht zu nahe kommen: „Es gibt viele Möglichkeiten, um Kontakte im Arbeitsalltag zu minimieren, etwa durch technische Maßnahmen zur Abtrennung von Arbeitsbereichen, eine Lockerung der Kernarbeitszeiten, Homeoffice, Arbeitszeitkorridore oder Schichtpläne“, sagte die Präsidentin der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (Baua), Isabel Rothe, im Interview mit dem Handelsblatt.
Im Schichtbetrieb sollte beispielsweise darauf geachtet werden, dass möglichst immer die gleichen Kollegen zusammenarbeiten, um auch hier das Infektionsrisiko einzugrenzen, empfiehlt Rothe. Bei unvermeidlichen Kontakten sind Arbeitgeber gehalten, Nase-Mund-Bedeckungen für Beschäftigte, aber auch für Kunden oder Dienstleister bereitzuhalten.
Außerdem müssen sie für ausreichend Waschgelegenheiten und Desinfektionsmittel sorgen und Risikogruppen in ihrer Belegschaft besonders schützen. Heil appellierte auch an die Beschäftigten, ihre Kollegen vor Ansteckung zu bewahren: „Es gilt der Grundsatz: Niemals krank zur Arbeit“, sagte der Arbeitsminister.
„Ohne Entlastungen drohen unmittelbar Insolvenzen“
In der Eindämmungsphase gehe es aber nicht nur darum, Unternehmen und Beschäftigte vor Gesundheitsgefahren, sondern auch vor schweren disruptiven Verwerfungen bestmöglich zu schützen, schreibt der Industrieverband in seinem Papier.
Die umfangreichen Programme von EU, Bund und Ländern müssten kontinuierlich auf ihre Wirksamkeit überprüft werden. Staatliche Beteiligungen aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds sollten zeitlich begrenzt und immer nur als Ultima Ratio eingesetzt werden, um Unternehmen vor einer krisenbedingten Insolvenz zu bewahren, empfiehlt der BDI. Der Fonds ist Bestandteil der Maßnahmen, die Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) und Finanzminister Olaf Scholz (SPD) zu Beginn der Krise vorgestellt hatten.
Der BDI sorgt sich auch um milliardenschwere Kostenentlastungen, die gerade für energieintensive Unternehmen wichtig sind, aber von zahlreichen Meldefristen und Schwellenwerten abhängen. In der Eindämmungsphase sollten solche Werte nicht zu genau genommen werden, ist aus dem Papier herauszulesen. Denn: „Ohne diese Entlastungen drohen unmittelbar Insolvenzen.“
Die Politik hat diese Warnung zumindest teilweise bereits erhört. So hatte das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) kürzlich angekündigt, bei einer der wichtigsten Entlastungen für die energieintensive Industrie, der Besonderen Ausgleichsregelung, nicht darauf zu bestehen, dass die Anträge wie üblich bis zum 30. Juni vorliegen.
Allein das Entlastungsvolumen der Besonderen Ausgleichsregelung summiert sich jährlich auf mehr als fünf Milliarden Euro. Man nehme „in allen Bereichen Rücksicht auf die besondere Situation der Unternehmen in der Coronakrise“, hieß es dazu in der Behörde, die zum Geschäftsbereich des Bundeswirtschaftsministeriums gehört.
Längere Planungssicherheit nötig
Der BDI stellt die am Mittwoch dieser Woche getroffenen Beschlüsse von Bund und Ländern zur weiteren Eindämmung der Corona-Pandemie nicht grundsätzlich infrage. „ Wir in der Industrie respektieren die Entscheidung der Politik.
„Gerade in Krisenzeiten gilt der Primat der Politik“, sagte BDI-Präsident Kempf. „Natürlich ist jede Woche Verzögerung eine große Herausforderung für die gesamte Wirtschaft. Das geht für viele Unternehmen nahe an die Schmerz- und in manchen Fällen an die Existenzgrenze“, ergänzte er.
Deshalb sei Planungssicherheit so wichtig. In dieser Hinsicht sieht Kempf Bund und Länder in der Pflicht: „Wir sind besorgt, dass sich die Vorbereitung der Politik zum Neustart in 14-Tages-Plänen erschöpft. Sie muss sich jetzt darauf vorbereiten, was sie beim nächsten Checkpoint entscheidet.“
In der Wiedereinstiegsphase seien Fragen der Stützung der Wirtschaft durch Liquiditäts- und Eigenkapitalhilfen weiterhin prioritär. Für die Stabilisierungs- und die Erholungsphase fordert der BDI in ganz Europa „gezielte Impulse für eine stärkere Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen durch private Haushalte“.
Außerdem seien Entlastungen für Unternehmen erforderlich: „Steuerliche Erleichterungen, öffentliche Ausgaben und mittelfristige Wachstumsakzente für Klimaschutz und Digitalisierung müssen ausreichend dimensioniert werden, um Europa wieder auf Wachstumskurs zu bringen.“
Allerdings erteilt der Verband Forderungen eine Absage, die Phasen der Stabilisierung und Erholung zu nutzen, um den ökologischen Umbau zu forcieren: „Es muss national und europäisch sehr genau abgewogen werden, wie die Notwendigkeiten des Wiederaufbaus in eine gute Balance mit den politischen Zielen des Klimaschutzes gebracht werden können“, heißt es in dem Papier.
Für ambitionierten Klimaschutz sei eine hohe Investitionsfähigkeit und Investitionsbereitschaft von Verbrauchern, Unternehmen und Staaten die Grundvoraussetzung. Dies werde durch die Pandemie stark eingeschränkt werden.
Mehr: Die beschlossenen Corona-Regeln werden die Wirtschaft über Monate hemmen. Die Politik muss dazu beitragen, dass die Einschränkungen so gering wie möglich ausfallen.
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