Großbritannien Brexit-Minister David Frost tritt aus Protest gegen Johnson-Kurs zurück – Außenministerin übernimmt

David Frost (links) hatte bereits den EU-Ausstiegsvertrag für Johnson verhandelt.
London Die Krise des britischen Premierministers Boris Johnson spitzt sich dramatisch zu. Am Ende einer turbulenten Woche trat nun auch noch Brexit-Minister David Frost zurück. Als Grund nannte er in seinem Rücktrittsschreiben vom Samstag, dass der Aufbau einer neuen Beziehung zur EU eine langfristige Aufgabe sei, die jemand anderes übernehmen solle.
Zugleich betonte er aber explizit, dass er „Sorgen“ über den Kurs der Regierung habe. Laut „Mail on Sunday“, die zuerst über den Rücktritt berichtet hatte, geht Frost aus Protest gegen die „politische Richtung“ der Regierung in der Coronapolitik, der Steuerpolitik und dem Klimaschutz.
Nach dem Rücktritt übernimmt die britische Außenministerin Liz Truss dessen bisherige Aufgaben. Truss werde mit sofortiger Wirkung die Verantwortung für die Beziehung Großbritanniens mit der EU tragen, teilte ein Regierungssprecher am Sonntagabend in London mit. In dieser Rolle übernimmt sie nun auch als Chef-Verhandlerin die laufenden Gespräche mit Brüssel über Brexit-Sonderregeln für Nordirland.
Der Rücktritt seines loyalen Brexit-Sherpas ist ein echter Tiefschlag für Johnson. Denn er verstärkt die wachsenden Zweifel in der konservativen Partei an ihrem Anführer.
Laut „Mail on Sunday“ hatte Frost seinen Rücktritt gegenüber Johnson bereits vor einigen Tagen erklärt, nachdem er sich im Kabinett vergeblich gegen die neuen Corona-Maßnahmen ausgesprochen hatte. Daraufhin hatten sich beide geeinigt, dass Frost noch bis Januar im Amt bleiben solle.
Die Coronapolitik war für Frost laut „Mail on Sunday“ der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Die Einführung der 3G-Regel für bestimmte Events stößt auf erbitterten Widerstand in der Partei. Diese Woche hatten 99 konservative Abgeordnete gegen das Coronapaket gestimmt. Es war die größte Tory-Rebellion seit dem Brexit-Aufstand gegen die frühere Premierministerin Theresa May im Jahr 2019.
Brexit-Minister David Frost tritt zurück
Frost sieht aber auch die Steuererhöhungen und die ambitionierten Klimaschutzpläne der Regierung kritisch. In seinem Rücktrittsbrief schrieb er: „Ich hoffe, dass wir so schnell wie möglich dahin gelangen, wo wir hin müssen: zu einer leicht regulierten, unternehmerischen Wirtschaft mit niedrigen Steuern.“
In den vergangenen Monaten hatte der Brexit-Minister bereits in Reden davor gewarnt, das europäische Gesellschaftsmodell mit der hohen Staatsquote und den hohen Umweltauflagen zu imitieren. Er ist ein Verfechter eines „sauberen“ Brexits, der die Unabhängigkeit von der EU maximiert und auf Deregulierung setzt.
Das Verhalten eines „Souveränitätspuristen“
Ein weiterer Grund für den Rücktritt dürfte sein Scheitern bei den Nordirlandgesprächen mit der EU sein. Seit Monaten versucht Frost, weitreichende Änderungen am Nordirlandprotokoll durchzusetzen. Unter anderem will er die Zuständigkeit des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) für den britischen Landesteil Nordirland wieder abschaffen. Die EU lehnt dies kategorisch ab.
Ein britischer Diplomat hatte zuletzt signalisiert, dass man in der Frage des EuGH einlenken werde. Dies will Frost offenbar nicht mittragen.
Sein Rücktritt zeige beispielhaft das Verhalten aller „Souveränitätspuristen“, twitterte Politikexperte Anton Spisak vom Tony Blair Institute. „Sobald sie erkennen, dass ihre Entscheidungen schwierige Kompromisse bedeuten, packen sie ihre Sachen und geben anderen die Schuld an ihrem eigenen Durcheinander.“
Der Abgang bringt den Premier nun in eine höchst verwundbare Lage. Nach der Coronarebellion im Parlament verloren die Konservativen am Donnerstag auch noch bei einer Nachwahl ihre Hochburg North Shropshire. Die Schuld an der Niederlage sehen die Konservativen bei Johnson persönlich, nachdem dieser in den vergangenen Wochen einen Skandal nach dem anderen produziert hatte.
In London wird bereits über einen Wechsel des Premierministers im neuen Jahr spekuliert. Außenministerin Liz Truss und Finanzminister Rishi Sunak sondieren angeblich ihre Chancen bei den Abgeordneten. Auch über Frosts Ambitionen wird spekuliert. Er ist einer der beliebtesten Minister und dürfte mit seiner Kritik an Steuererhöhungen und Klimaschutzplänen an der Basis gepunktet haben.
Die Opposition nutzte den neuerlichen Zwist im Kabinett umgehend zum Angriff. „Frosts Rücktritt zeigt, dass die Regierung im Chaos ist“, twitterte die Brexit-Beauftragte der Labour-Partei, Jenny Chapman. „Das Land braucht Führung, nicht eine lahme Ente als Premier, dessen Abgeordnete und Kabinett den Glauben an ihn verloren haben.“
Auch der ehemalige Anführer der Brexit-Partei meldete sich zu Wort. Frost sei zurückgetreten, „weil er ein Konservativer und wahrer Brexiteer ist“, lobte Nigel Farage. „Boris Johnson ist keins von beiden.“
EU-Kommission warnt vor Hardliner als Nachfolger
Die irische EU-Kommissarin Mairead McGuinness warnte Johnson am Sonntag davor, einen Hardliner als Nachfolger für den zurückgetretenen Brexit-Minister David Frost zu ernennen. „Ich hoffe, dass die Stimmung in Richtung Kompromiss und Problemlösung geht und nicht in Richtung konservativer Parteipolitik“, sagte die für Finanzdienstleistungen zuständige McGuinness dem irischen Sender RTE.
Ohne Kompromiss werde es keinen Fortschritt geben. „Wenn die Priorität darin besteht, die Hardliner in der Konservativen Partei zu beschwichtigen, sind wir meiner Meinung nach in einer sehr schlechten Lage“, warnte McGuinness.
Mit Agenturmaterial.
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