Insight Innovation Digitale Fernablese und smarte Thermostate: So funktioniert die Heizung 2.0

Vernetzte, intelligente Häuser, ausgestattet mit innovativen Steuerungs- und Kommunikationstechnologien werden spätestens 2040 zum Alltag gehören, sind sich viele Experten sicher.
Düsseldorf, Frankfurt Die Zeiten, in denen Michel Häuser noch weite Anfahrten auf sich nehmen musste, sind passé. Der 31-Jährige ist studierter Energiesystemtechniker beim Heizungsableser Techem. Doch seit der Pandemie sitzt er nicht mehr am Leitstand der Firma in Frankfurt, sondern kontrolliert die Temperatur von Heizkesseln überall in Deutschland vom heimischen Schreibtisch aus. Auf dem Monitor veranschaulichen ihm Grafiken, wie Heizungsanlagen in 1200 Gebäuden arbeiten. Das sei lange Zeit undenkbar gewesen, betont Häuser.
Digitale Vernetzung und Künstliche Intelligenz wirbeln inzwischen auch die lange eher innovationsfremde Immobilienwirtschaft durcheinander. Vernetzte, intelligente Häuser, ausgestattet mit innovativen Steuerungs- und Kommunikationstechnologien werden spätestens 2040 zum Alltag gehören, sind sich viele Experten sicher.
Denn der Markt für Smart-Home-Angebote wächst bereits jetzt – zumal die neuen Klimaziele den Druck für Veränderung noch erhöhen. Der Elektronikkonzern Bosch beispielsweise erwirtschaftet mittlerweile schon acht Prozent seines Unternehmensumsatzes, insgesamt 5,5 Milliarden Euro, im Unternehmensbereich „Energy und Building Solutions“, dem auch Bosch Smart Home angehört. Eine ganze Reihe von Firmen macht sich daran, die Steuerung der Hauswärme zu digitalisieren. Darunter sind nicht nur Start-ups, sondern auch etablierte Unternehmen.
So will auch der Heizungsableser Techem von diesem Wachstumsfeld profitieren. „Der Immobilienbestand soll im Jahr 2050 nahezu klimaneutral sein – das ist nur durch Digitalisierung machbar und finanzierbar“, sagte jüngst Techem-Vorstandschef Matthias Hartmann. Der ehemalige Geschäftsführer von IBM Deutschland digitalisiert den Heizungsableser dafür grundlegend.
Im April dieses Jahres stellte das Unternehmen eine Software vor, mit der die Wärmeversorgung in Wohnungen aus der Ferne beobachtet werden kann. Auf das Dashboard können rund 15 Mitarbeiter zugreifen, zuständig sind sie für jeweils eine Region – das sind im Schnitt 200 Heizungsanlagen.
Das Programm zeigt an, wenn ein Heizkessel ausfällt oder gestört arbeitet. Dafür messen in der Regel acht Sensoren die Temperatur in und außerhalb der Heizungsanlage im Wohnhauskeller. „Die Sensoren haben eine Lebensdauer von etwa zehn Jahren“, sagt Techem-Mitarbeiter Häuser. Die Temperatur der Anlage muss abhängig von der Gebäudegröße zwischen 60 und 90 Grad liegen.
Per Funk werden die Messwerte in eine Cloud des Unternehmens übertragen und von einer Künstlichen Intelligenz (KI) ausgewertet. Dort poppt dann im Zweifelsfall ein Warnhinweis in Rot auf. „Ohne diese Daten musste man darauf warten, dass jemand, der im Gebäude friert, sich dann bei uns meldet“, erklärt Häuser. Dafür hätten Mieter oft fast sieben Stunden gebraucht. „Unsere Algorithmen erkennen einen Ausfall nach rund zwei Stunden“, sagt Häuser. Jede Viertelstunde messen die Sensoren die Temperatur erneut.
Für die Auswertung haben die Algorithmen bestimmte Temperatur-Konstellationen erlernt: Liegt die Außentemperatur zum Beispiel bei 25 Grad, weiß der Algorithmus, dass die Temperatur im Kessel niedriger sein muss als bei einer Außentemperatur von fünf Grad. Liegt die Temperatur im Kessel und im Keller bei über 25 Grad, wird der zuständige Mitarbeiter über eine Störung informiert. Der Außendienst kann dann einen Termin mit dem Kunden vereinbaren, um die Störung zu beheben.
Doch nicht jede Heizung arbeitet gleich: „Eine Fußbodenheizung funktioniert anders als eine normale Heizung, deswegen setzen wir auf selbst lernende Systeme“, sagt Häuser. So könnte die Temperatur bei einer Fußbodenheizung noch in der Norm liegen, während der klassische Heizkörper zu heiß wäre. Denn die Fläche, über die Wärme übertragen werden kann, ist bei einer Fußbodenheizung größer.
Fernsteuerung nur in Mehrfamilienhäusern möglich
Doch noch kennt das System Grenzen. Aus der Ferne lassen sich Heizungen beispielsweise noch nicht flächendeckend steuern. Derzeit lohnen sich solche Anlagen laut Techem nur in Mehrfamilienhäusern mit mindestens zehn Parteien. Digitale Heizungen sparen noch nicht so viel Energie, dass sie sich für kleinere Wohnhäuser lohnten. „Wir sind aber gerade dabei, ein solches System zu entwickeln“, sagt Häuser und rechnet damit, dass die Technik in etwa zwei Jahren so weit sei.
Den Preis für eine Heizkesselanlage möchte Techem nicht nennen. 20 Prozent des Wärmeverbrauchs könnten Angaben des Unternehmens zufolge durch Technik aber eingespart werden.
Techem ist allerdings beileibe nicht der einzige Anbieter, der sich auf dem Feld breitmacht. Auch deutsche Start-ups wie Vilisto und Tado wollen mit intelligenten Thermostaten die Heizung und die Klimaanlage automatisieren – und dabei helfen, jede Menge Energie zu sparen. „Wir schalten voll automatisch den Heizkörper herunter, wenn niemand im Raum ist“, beschreibt der Gründer des Hamburger Start-ups Vilisto, Christoph Berger, das Grundkonzept. Anders als bei anderen Lösungen müssten die Kunden das System nicht selbst programmieren. „Die Künstliche Intelligenz stellt sich selbstständig auf den Nutzer ein.“
Sensoren der Hamburger ermöglichen es den Thermostaten zu erkennen, ob sich Personen im Raum befinden. Dabei ist die Technik auch in der Lage, die Nutzungsgewohnheiten in den Räumen zu analysieren und dafür zu sorgen, dass die Räume rechtzeitig wieder auf eine angenehme Temperatur geheizt werden.
Der Thermostat tastet dafür im Minutentakt Bewegung, Licht und Schall ab und erstellt so ein Nutzungsprofil für den Raum. Dafür gab es 2020 bereits den Deutschen Innovationspreis für Klima und Umwelt in der Kategorie „Nutzung des digitalen Wandels für klima- und umweltfreundliche Innovationen“.
Was Vilisto bei Firmenkunden versucht, visiert das Münchener Start-up Tado auf dem Markt für Privatleute an. Mit der Tado-App kann die Temperatur für jeden Raum nach Nutzung gesteuert werden. Die Heizung springt also zum Beispiel rechtzeitig an, bevor der Wohnungsbesitzer von der Arbeit nach Hause kommt.
Das Konzept kommt an. Mehr als 100 Millionen Dollar hat das Start-up in den vergangenen Jahren schon bei prominenten Investoren eingesammelt. In einer jüngsten Finanzierungsrunde flossen Tado nach Informationen des Handelsblatts weitere 38 Millionen Euro zu. Daran beteiligte sich neben bestehenden Investoren auch die Noventic Group, die unter anderem intelligente Lösungen für das Ablesen von Heizungen anbietet.
Zu den prominenten Investoren zählen auch der Internethändler Amazon, der sich vor drei Jahren an der Firma beteiligte, sowie Eon, Siemens und Total. Das Münchener Start-up prüft inzwischen auch einen möglichen Börsengang als Option.

Emanuel Eibach, Christian Deilmann, Johannes Schwarz und Toon Bouten (von links) streben einen Börsengang an. Das Unternehmen hat eine App entwickelt, mit der sich Heizungen und Klimaanlagen intelligent steuern lassen.
Experten sehen die Branche angesichts der Entwicklungen vor einem Umbruch: Für Dieter Kehren vom Forum Digitale Heizung beim Bundesverband der Deutschen Heizungsindustrie (BDH) findet die Heizung trotz der großen Bedeutung für den Klimaschutz noch zu wenig Beachtung in der öffentlichen Diskussion, anders als beispielsweise Elektromobilität oder Photovoltaik, die in aller Munde seien. Er hält beispielsweise die digitalen Techem-Anlagen für einen Innovationstreiber: „Die zeitnahe Visualisierung des Verbrauchs weckt das Interesse an Einsparpotenzialen.“
Heizen per Sprachsteuerung
„Die Wärmewende ist ein unverzichtbarer Beitrag zur Energiewende“, sagt Kehren. Von insgesamt 21 Millionen installierten Heizungen in Deutschland ist laut BDH mehr als die Hälfte technisch veraltet: „Viele der Anlagen sind älter als 20 Jahre.“ Ist die digitale Anlage eingerichtet, könnten intelligente Thermostate interessant für Verbraucher werden. Per Bluetooth oder WLAN werden sie mit einer App auf dem Handy gesteuert oder in ein Smart-Home-System integriert. Einige dieser Systeme können angesprochen und über Amazons Echo Alexa oder den Google-Home-Assistenten gesteuert werden.
So sagen Marktforscher der Branche ein großes Wachstum voraus. Das Marktforschungsinstitut IDC prognostiziert, dass 2025 fast 210 Millionen Einheiten an Smart-Home-Geräten in Europa verkauft werden – das wäre ein jährliches Plus von rund 15 Prozent. In der Zukunft würden die Systeme zunehmend selbst lernend werden, sagt der Heizungsbauer Buderus voraus. Die Kunden müssten sich um nichts mehr kümmern. Die Heizanlage wisse, wann man im Urlaub ist oder auf der Arbeit, und regele dementsprechend hoch oder runter.
Wie groß auch die Internetgiganten das Potenzial einschätzen, zeigte bereits eine Megaübernahme der vergangenen Jahre. Für 3,2 Milliarden Dollar kaufte Google mit Nest Labs bereits 2014 einen Hersteller von Thermostaten und Rauchmeldern, den es inzwischen immer tiefer in die eigenen Systeme integriert.
Noch sind einige Lösungen allerdings weiter, als manchem Kunden geheuer ist, wie ein Vorfall jüngst in den USA zeigte. So fühlten sich einige Nest-Besitzer in Texas vor Kurzem im falschen Film, als ihr Thermostat in der Nacht mitten in einer Hitzewelle selbstständig die Arbeit der Klimaanlage reduzierte. Wie sich herausstellte, hatten die Betroffenen im Zuge einer Verlosung eingewilligt, an einem Stromsparprogramm mit dem Namen „Smart Savers Texas“ teilzunehmen, das in der Nacht bei hohen Belastungen das marode Stromnetz in Texas krisenfester machen sollte.
Für einige Bewohner ganz augenscheinlich zu viel der Autonomie: Sie bestellten das Programm umgehend wieder ab.
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