Updates „over the air“ Volkswagen will mit Tesla gleichziehen: E-Auto-Software soll künftig per Funk erneuert werden

ID-Fertigung bei Volkswagen in Zwickau: Die neuen VW-Elektroautos bekommen künftig regelmäßig neue Software – ohne den bislang obligatorischen Werkstattbesuch.
Düsseldorf Volkswagen führt bei seinen neuen Elektromodellen Software-Updates „over the air“ ein. Alle jetzt ausgelieferten Fahrzeuge der Typen VW ID.3 und ID.4 werden erstmals mit dieser Technik ausgestattet, teilte der Wolfsburger Autohersteller am Mittwoch mit. Volkswagen gelingt damit ein wichtiger Schritt, um auch bei der Software-Ausstattung mit neuen Anbietern wie Tesla gleichzuziehen.
Drahtlose Software-Updates sind bei Smartphones seit Jahren ein bewährter Standard. In der Autobranche hält diese Technik erst nach und nach Einzug. Den Anfang hatte der US-Elektrohersteller Tesla schon vor etwa acht Jahren gemacht. Andere Autokonzerne wie Daimler und BMW haben nachgezogen, wenn auch in kleinerem Rahmen. Software bekommt eine immer größere Bedeutung in jedem Auto. Das zieht einen häufigen Aktualisierungsbedarf nach sich.
Wenn Volkswagen als größter Autohersteller Europas und zweitgrößter der Welt mit der permanenten Update-Fähigkeit beginnt, hat das auch grundsätzliche Bedeutung für die gesamte Automobilindustrie. VW-Konkurrenten werden aus Wettbewerbsgründen quasi dazu gezwungen, ebenfalls Software-Updates „over the air“ anzubieten.
„Als erster Volumenhersteller machen wir jetzt Over-the-air-Updates zum Standard“, sagte Ralf Brandstätter, Vorstandschef der Marke Volkswagen, zu der Einführung der neuen Technologie. In Zukunft sollen ID-Modelle alle drei Monate ein Update bekommen – „und damit auf dem Softwarestand eines Neuwagens bleiben“, kündigte Brandstätter an. In der Praxis bedeute das, dass die VW-Modelle über ihren gesamten Lebenszyklus hinweg wegen des technischen Fortschritts immer besser würden.
Die neue Update-Fähigkeit werden allerdings nur die Elektromodelle aus der ID-Familie besitzen, die auf Basis des Elektrobaukastens MEB („Modularer Elektrifizierungs-Baukasten“) produziert werden. Für die Verbrennermodelle nutzt Volkswagen eine völlig andere Plattform, mit der ein drahtloses Update nicht möglich sein wird. Bei den E-Autos werden Updates künftig über WLAN oder das Mobilnetz verteilt. VW kalkuliert damit, dass in zwei Jahren schon etwa 500.000 Fahrzeuge mit der neuen Technik auf den Straßen unterwegs sein werden.
Over-the-air-Updates für Kunden erst ab Sommer
Andere Konzernmarken wie Seat, Audi und Skoda benutzen für ihre neuesten E-Modelle ebenfalls die MEB-Plattform aus Wolfsburg. Der Konzern hat noch nichts dazu mitgeteilt, wann die anderen Marken ebenfalls die neue Update-Fähigkeit für die Software bekommen werden. Dass es dazu kommen wird, gilt in Branchenkreisen als ausgemacht.
Auch die bereits seit dem vergangenen Jahr ausgelieferten ID-Modelle sollen die neue Update-Fähigkeit erhalten. Das sind nach ungefähren Schätzungen etwa 100.000 Fahrzeuge. Diese Autos brauchen dafür ein umfassendes Softwarepaket, das ihnen nur in einer Werkstatt aufgespielt werden kann. Der Aufwand dafür ist groß, etwa sieben Stunden dauert das Aufspielen der Software. Zum Vergleich: Bei Tesla dauert ein Update in der Regel weniger als eine Stunde, dann ohne Werkstatt.
Volkswagen liefert seine neu produzierten ID-Modelle zwar schon mit der Update-Fähigkeit aus, lässt sich mit dem Versenden einzelner Softwarepakete allerdings noch etwas Zeit. „Im Sommer wollen wir dann unseren Kundinnen und Kunden die neueste Softwareversion aufspielen“, versprach Markenchef Brandstätter.
Das Versenden einzelner Softwarepakete wird bei Volkswagen derzeit noch in einem Großversuch getestet. Der Wolfsburger Autohersteller nutzt dafür 3000 Firmenwagen der Typen ID.3 und ID.4, mit denen Mitarbeiter des Unternehmens unterwegs sind.
Zudem verspricht Volkswagen, dass es die neuen Updates künftig alle drei Monate geben wird. Dazu wird eine neue Projekteinheit unter dem Namen „ID.Digital“ gegründet. Diese neue Konzerneinheit soll nicht nur dafür sorgen, dass technisch notwendige Softwarepakete wie etwa zur Fehlerbeseitigung versendet werden. „ID-Digital“ soll auch von Kunden und Autofahrern Vorschläge zur Verbesserung der Fahrzeuge annehmen.
„Das ist ein wichtiger, guter Schritt. Das lässt aufhorchen“, sagt Stefan Bratzel, Professor am Center of Automotive Management (CAM) der Fachhochschule Bergisch Gladbach. Bei Software-Updates „over the air“ besitze der US-Konkurrent Tesla einen deutlichen Vorsprung im Vergleich zu den deutschen Autoherstellern.
„Alles wird einfacher für die Kunden“
Wenn die neuen Updates von Volkswagen jetzt zuverlässig funktionierten, dann werde tatsächlich eine wichtige Lücke geschlossen, so Bratzel weiter. Software-Updates wie beim Smartphone habe es bei deutschen Herstellern wie Daimler und BMW zwar schon gegeben, aber immer nur in sehr eingegrenzten Bereichen wie etwa dem Infotainment-System.
Volkswagen wolle mit seinem Schritt weitergehen und künftig Updates für das gesamte Fahrzeug anbieten. „Das verweist auf die gesamte Fahrzeugarchitektur“, erläutert Bratzel. Mit der neuen Elektroplattform MEB habe Volkswagen die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass die Software im gesamten Fahrzeug regelmäßig erneuert werden könne.
Dadurch könnten auch Updates möglich werden, die sich dauerhaft oder befristet zukaufen lassen – etwa eine höhere Motorleistung für den Wochenendausflug oder Nebelscheinwerfer für den winterlichen Ski-Ausflug in den Bergen.
Software-Updates ohne die Werkstatt und nur noch „over the air“ sind für den Automobilprofessor „eine der ganz zentralen Wertschöpfungsketten der Zukunft“. Die Automobilhersteller nähmen künftig während des gesamten Lebenszyklus Einfluss auf ihr Produkt. Bislang hätten sie ihre Fahrzeuge nach der Produktion an die Händler übergeben und danach völlig aus dem Blick verloren.
Bratzel stimmt Autofahrer darauf ein, dass ihre Fahrzeuge künftig regelmäßig neue Software bekommen werden. Im klassischen Sinn seien die Autos nicht mehr final „fertig“, sondern würden immer wieder verändert. Für die Autohersteller werden die Updates auch wirtschaftlich interessant, weil sie mit der Software immer wieder neue Produkte entwickeln können, mit denen sich weitere Geschäftsfelder aufbauen lassen.
Auch aus Kundensicht sind die Updates interessant. Werkstattaufenthalte werde es künftig seltener geben, weil sich Fehler verstärkt über die Software-Updates beheben ließen. „Alles wird einfacher für die Kunden“, sagt Automobilprofessor Bratzel. Es werde zudem weniger Fahrzeugrückrufe geben.
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