Auktionsnachbericht: Höhenflug trotz schlapper Wirtschaftslage
München. Deutschlands Wirtschaft ächzt. Doch Ketterers Abendauktion lief auf Hochtouren. Die Ergebnisse für ausgewählte Werke der Klassischen Modernen sowie der Nachkriegs- und Gegenwartskunst summierten sich am Freitagnachmittag laut Geschäftsinhaber Robert Ketterer zu einem Bruttoumsatz von 40,5 Millionen Euro. Damit hat der Münchener Versteigerer fast doppelt so viel eingefahren wie die Konkurrenz zusammen in ihren Abendauktionen. Und das in Zeiten, in denen der internationale Kunstmarkt eher unter einem Abschwung leidet.
Die hohen Millionenzuschläge der beiden Toplose sind für Deutschland Vorzeigeergebnisse, die die Reputation eines jeden Hauses und damit die Attraktivität für Einlieferer steigern würden. Vielleicht hätte sich für Ernst Ludwig Kirchners reizvoll dynamisches Gemälde „Tanz im Varieté“ die Preisspirale sogar noch weiter gedreht, wenn Robert Ketterer das Telefongebot von 5,9 Millionen Euro akzeptiert hätte. Es entsprach jedoch nicht der üblichen Taktung der Bietschritte. Der Interessent fühlte sich düpiert und stieg aus. So sensibel ist das Auktionsgeschäft.
Damit blieb das höchste Gebot für die farblich subtile, in rosa Bühnenlicht getauchte expressionistische Arbeit von 1911 bei 5,8 Millionen; die Stiftung Im Obersteg Kunstmuseum Basel bezahlte 6,9 Millionen Euro (alle Erlöse mit Aufgeld).
Ebenfalls in die Schweiz reist Alexej von Jawlenskys „Spanische Tänzerin“. Eine dortige Kunstberatungsfirma übernahm das farbgewaltige expressionistische Meisterwerk für 8,3 Millionen Euro. Der Hammerpreis von sieben Millionen Euro entsprach der unteren Taxe. Das Gemälde befand sich zuvor schon in der Schweiz. Wie Robert Ketterer im Gespräch mit dem Handelsblatt betonte, wäre das Bild nicht auf die Münchener Auktion gekommen, wenn die Behörden zuvor nicht bestätigt hätten, dass das Werk frei von Kulturgutschutz-Ansprüchen ist.
Dass Ketterer die bemerkenswerte Zahl von acht Millionenerlösen einfahren und 61 der 69 aufgerufenen Lose absetzen konnte, hat mit Qualität und vor allem mit der Internationalität des Angebots zu tun.
„Herr Uecker“ bereichert nun eine US-Sammlung
Um Sean Scullys monumentale Blockstreifen-Komposition konkurrierten Bieter aus England, USA und eine in London und New York angesiedelte Galerie. „Cut Ground Orange“ brachte 1,16 Millionen Euro und wird in die USA verschifft. Lucio Fontanas goldgrundiges „Concetto Spaziale“ von 1957, eines der ersten Gemälde des Künstlers in diesem Ton mit inkrustierten Glassteinen und den typischen Leinwand-Schlitzen, hob Londoner Handel von taxierten 180.000 auf 482.600 Euro.
Auch die weltweite Nachfrage für Baselitz, Richter und Uecker ist unübersehbar. Das verwischte, kleinformatige Porträt „Herr Uecker“ von Gerhard Richter zur Taxe von 450.000 Euro machte es deutlich. Das einzige malerische Zeugnis des zeitweisen gemeinsamen Werdegangs beider Künstler sicherte sich für eine Million Euro ein US-amerikanischer Sammler.
Frühe Arbeiten einer Werkphase haben immer einen Sonderbonus wie etwa Georg Baselitz’ Leinwand „Fingermalerei-Birke“ von 1972. Erst um 1970 begann der Maler, seine Werke „auf den Kopf“ zu stellen. Das reizte mehrere Kunstberater, Sammler aus Deutschland und der Schweiz. Bei 1,6 Millionen Euro setzte sich der Bieter aus dem Nachbarland durch.
Nie zuvor habe er mit so vielen Kunstberatern während der Auktion als auch bei der Vorbesichtigung zu tun gehabt, bemerkte der Auktionator. „Die Sammler treten gar nicht mehr selbst in Erscheinung und wollen im Hintergrund anonym bleiben“, so Robert Ketterer.
Die Begehrlichkeit der Sammler machte keinen Unterschied zwischen klassischer Moderne und Gegenwartskunst. Bestens verkauften sich die überzeugendsten Werke des frühen 20. Jahrhunderts. Für 1,1 Millionen Euro sicherte sich beispielsweise ein Schweizer Karl Schmidt-Rottluffs expressionistisch verzerrtes Gemälde „Junger Wald und Sonne“ von 1920.
Ketterers Auktion ließ nichts vom international zu registrierenden Abflauen des Marktes spüren. Der Saisonumsatz inklusive Tagesauktionen, Buchaktion, Kunst des 19. Jahrhundert plus Onlineauktionen betrug 54 Millionen Euro. Das ist ein Zuwachs von circa 30 Prozent zum Vorjahreszeitraum.
Gewachsen ist allerdings der Akquisedruck. Ketterer räumt ein, dass auch er mit Vermittlern zusammenarbeitet. Branchenüblich ist eine Provision vom Hammerpreis. Neu für den deutschen Marktführer sei, dass er immer stärker mit englischen Häusern konkurriert.
Als Expansion der Global Player ins Revier deutscher Sammler will Robert Ketterer das nicht interpretieren. „Im Gegenteil, wir kommen denen immer häufiger in die Quere bei den hochwertigen Objekten.“ Drei aktuelle Beispiele: Jawlenskys „Spanische Tänzerin“, im Katalog mit „europäischer“ Provenienz ausgewiesen, Henry Moores Bronze „Working Model Sheep piece“ und James Rosenquists fünf Meter breites, nacktes „Playmate“ mit Millionentaxe. Es verströmt heute gewiss keine Signale zeitgemäßer Firmenpolitik und wurde gar nicht beboten.
Dass auch hierzulande die erhofften Margen erzielt werden können, zeigte nicht nur das Jawlensky-Bild. Henry Moores schwere Bronze von 1971 veräußerte der Münchener für 1,1 Millionen Euro an einen bayerischen Saalbieter gegen Telefonkonkurrenz aus England und Benelux.
Robert Ketterer richtet sich mehr und mehr international aus. Aber er konnte sich ebenso auf viele deutsche Sammler aus mittelständischen Unternehmen verlassen. Einen Weltrekord für Renée Sintenis brachten die 584.000 Euro für die Bronze „Große Daphne“, die ein norddeutscher Sammler ersteigerte.
Frank Stellas abstrakt bemaltes Aluminium-Wandobjekt „The Pequod meets the Rosebud“ von 1991 übernahm für 330.000 Euro ein Privatinteressent aus Hessen. Immer noch gefragt sind die Wannseegarten-Motive Max Liebermanns. Die leuchtend, mit pastosem Strich fast abstrakt gemalten Blumenrabatten der Arbeit von 1926 waren einem Liebhaber 711.200 Euro wert.
Ketterer hat sich mit dieser Auktion im 70. Jahr des Unternehmens selbst übertrumpft. Platz eins im Ranking der deutschen Häuser ist ihm wiederum sicher.
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