Ausstellung der Hall Art Foundation Baselitz und Beuys in niedersächsischem Märchenschloss zur Schau gestellt

Das weitläufige Anwesen aus der Vogelperspektive.
Derneburg Vielfalt und Unterschiedlichkeit sind Stärken deutscher Kultur. Diese Stärken sind nicht nur in den Ballungszentren anzutreffen. Gerade die häufig belächelte Provinz bietet einen nicht zu unterschätzenden Fundus an kultureller Vielfalt, wenn er nur wachgeküsst wird. So wie jetzt im niedersächsischen Derneburg.
Die Grafen Münster hatten hier eine aus dem 12. Jahrhundert stammende Klosteranlage als Donation von König Georg IV. erhalten. Dem Niedergang der Grafenfamilie geschuldet war 1950 der Verkauf des Anwesens an das Land Niedersachsen, das wiederum das marode Schloss an den Künstler Georg Baselitz veräußerte. Baselitz blieb dort über 32 Jahre, um im Schloss und im neu gebauten Atelier zu arbeiten.
Legenden umrankten den Künstlerort seitdem. Baselitz verkaufte schließlich das Schloss an einen seiner wichtigsten Sammler, den Anglo-Amerikaner Andrew Hall. Die Restaurierung zog sich über zehn Jahre hin, bis alles gerichtet war. Jetzt ist das Schloss in nahezu perfektem Zustand.
Andrew Hall hatte nicht nur als Spekulant an der Wall Street das richtige Händchen, auch im Sammeln von Kunst bewies er zusammen mit seiner Frau Geschick. Er hat die mittlerweile größte Sammlung zeitgenössischer deutscher Kunst in den USA aufgebaut. Derneburg wurde für ihn eine ausgelagerte Schatzkammer, die er und seine Stiftung neben zwei anderen Standorten in den USA bespielen. „Seit vergangenem Juni haben wir ungefähr 3.000 Besucher gehabt“, resümiert Hall faktenbezogen die bisherige Resonanz zum neuen Ausstellungsort. Dann schlägt er eine Sehnsuchtssaite an. „Wenn ich an Derneburg denke, dann sehe ich es als eine Art Gesamtkunstwerk.“ Trotz der Größe der Schlossanlage empfindet er die historische Anlage als geradezu intim, zumindest im Vergleich zu einem Museum, denn in Derneburg kommen für ihn „Kunst, Architektur, Geschichte und Landschaft auf einmalige Weise zusammen.“
Bisherige Schwerpunkte seiner gut 5.500 Objekte umfassenden Sammlung sind Baselitz, Beuys, Immendorff, Kiefer, Lüpertz, Nitsch, Penck und West, wie auch amerikanische und englische Künstler, beispielsweise André, Artschwager, Eisenman, Fischl, Golub, Gormley, Morley, Ruscha, Schnabel und Warhol. Auf die Frage, wie er beim Sammeln vorgeht, ob er intuitiv oder systematisch kauft, kommt eine klare Antwort: :„Das Großhirn folgt gewissermaßen der Intuition“. Das klingt nach einer guten Kombination, die Sammlung beweist es.
Neue Kunst und Künstler entdeckt das Sammlerpaar „normalerweise über Publikationen, Galeriebesuche und über Empfehlungen von Freunden aus der Kunstwelt, besonders von Künstlern.“ Instagram zählt für Hall ebenfalls zu den bewährten Kommunikationskanälen, um neue Kunst zu entdecken.

Andy and Christine Hall posieren vor ihrem Anwesen Schloss Derneburg.
Die erste große Ausstellung auf Schloss Derneburg nach der Renovierung sollte eigentlich eine umfassende Schau von Baselitz sein, 450 Werke aus der eignen Sammlung, kuratiert von Sir Norman Rosenthal. „Wir mussten diese Ausstellung verschieben, weil wir die durch das neue Kulturgutschutzgesetz notwendigen Genehmigungen nicht mehr in einem angemessenen Zeitrahmen erhalten konnten.“ Das Kulturgutschutzgesetz „hat alles nicht einfacher gemacht. Aber wir hoffen, dass wir letztlich unsere Baselitzsammlung zeigen können, vorausgesetzt, wir erhalten die notwenigen Dokumente von den entsprechenden staatlichen Stellen, die für das Kulturgutschutzgesetzt zuständig sind.“ Optimismus klingt anders.
Statt Baselitz zeigen Halls dieses Jahr deswegen eine Ausstellung mit Arbeiten von Jonathan Meese, Albert Oehlen und Daniel Richter, die im Juni eröffnet wird, ergänzt um weitere Ausstellungen mit Werken von Isa Genzken, einem zwölfteiligen Hauptwerk von Jenny Holzer und Wall Drawings von Sol LeWitt. Die Außenskulpturen stammen von Jeppe Hein. Im nächsten Jahr geht das Feuerwerk an Highlight-Ausstellungen in Derneburg weiter. Dann dominieren kalifornische Minimalisten, Neonskulpturen von Keith Sonnier und Arbeiten von Robert Longo. Wenn Andrew Hall in die nähere Zukunft Blickt, dann sieht er Jörg Immendorff, Anselm Kiefer, A.R. Penck und Andy Warhol als die Protagonisten der nächsten großen Ausstellungen, alles gespeist aus der eigenen Sammlung.
Aktuell stehen die Hallen, die langen Flure und Zimmer, Raumfluchten und angrenzenden Gebäude natürlich nicht leer, so weit wollte man sich dann doch nicht von dem Kulturgutschutzgesetz einengen lassen. Der Bildhauer Antony Gormley wurde gebeten, seine eigene kleine Retrospektive zu kuratieren. Das ist ihm auf das Beste gelungen. In einem Stall hat Gormley sein „European Field“ von 1993 installiert. Beklemmende 35.000, ungefähr acht bis 26 Zentimeter hohe Terrakottawesen drängen Lemmingen gleich aus dem Stall auf den Besucher zu. Viele unterschiedliche Hände haben diese Figuren geformt, deswegen variieren sie in der Größe. Danach geht es zum Wiener Mysterientheater. Hermann Nitsch hat die Räume mit seinen blutüberströmten Werken eingerichtet, gefolgt von einer weiteren vorzüglichen Ausstellung mit Videoarbeiten.

Der Wiener Aktionist und Mysterientheater-Künstler hat seine Werke in der Hall Art Foundation selbst installiert.
Und noch eine weitere separate Ausstellung im Schloss ist hervorzuheben, sie heißt „Für Barbara“ und ist von dem Galeristen Leo König kuratiert. Er hat sie als Andenken an seine verstorbene Stiefmutter, die Galeristin Barbara Weiss und Ehefrau von Kasper König eingerichtet. Barbara Weiss fragte Hall bei einem Abendessen einst, wie viele Künstlerinnen er denn in seiner Sammlung habe. Die Antwort war beschämend. Danach sammelte Hall mehr Werke von Künstlerinnen, die jetzt in einer der Schloss-Enfiladen zu sehen sind.
In der Bibliothek des Schlosses hängt in einer Ecke eine Kippenberger-Skulptur, der berühmte gekreuzigte Frosch, der Auskunft gibt über die Sammelhaltung der Halls: Gefällige Kunst gefällt ihnen definitiv nicht, Ironie schon, Absurdes auch und Tiefgründiges schätzen sie sehr. Bei einem erfolgreichen Spekulanten schwebt natürlich immer die Frage im Raum, ob die Werke wohl eines Tages wieder im Handel auftauchen werden sofern sie nicht der Stiftung gehören. Für diese Option gibt es aktuell allerdings keine Anhaltspunkte.
Das ausgerufene Ziel des geradezu kämpferisch engagierten Direktors Kai Heinze ist es, eines der wichtigsten, gar das wichtigste deutsche Privatmuseum zu werden, das größte an Quadratmetern dürfte es jetzt schon sein. Und es soll auf lange Sicht in der Topliga Europas spielen.
Top ist Derneburg zumindest schon bei den Eintrittspreisen. Für eine Führung im Kreis von bis zu 20 Teilnehmern müssen nach rechtzeitiger Voranmeldung zwischen 30 Euro (für zwei Stunden) und 75 Euro pro Person (für fünf Stunden) gezahlt werden. Der Haken: Eine Besichtigung der Sammlung ist grundsätzlich nur mit Führung möglich.
Es geht auf der Führung durch labyrinthische Gänge. Erste Station zum Sitzen ist nach einigen Stunden oder am Ende der Führung die Schlossküche, deren Wände mit Zeichnungen von Baselitz geradezu übersät sind. Bei einer Suppe, Käseauswahl und passendem Wein, alles im Preis inkludiert, lässt es sich vorzüglich weiterplaudern. Allerdings kommen meist banalere Fragen wie: „Woher hat er so viel Geld“ oder „Was macht man mit so vielen Bildern“. Das wird von den eloquenten Ausstellungsführern dann elegant überhört, denn es gilt: keine privaten Geschichten zu und über die Halls.
Auch an die Verankerung von Derneburg auf der intellektuellen Landkarte haben die Halls gedacht: „Wir haben eine große Bibliothek an Kunstbüchern im Schloss, die wir gern Forschern und Wissenschaftlern zugänglich machen möchten. Die Hall Art Foundation hat bereits ein gutes Dutzend Kataloge zu Ausstellungen veröffentlicht und wir planen weitere Publikationen.“ Ob daraus wirksame wissenschaftliche Impulse erwachsen, bleibt abzuwarten.
Aber natürlich menschelt es auch im Hause Hall. Beide bekommen, so berichtet der Schlossherr, stets viel positive Resonanz auf Ausstellungen und Führungen.
Das ist ihm abzunehmen, auch wenn die Halls nur sehr selten vor Ort sind und die Fragen nach dem Woher und Warum der Sammlung manchmal zu der einen oder anderen etwas unwirschen Reaktion des im Grunde öffentlichkeitsscheuen Schlossherren führen.
Hall Art Foundation | Schloss Derneburg Museum, Besuch nur nach Voranmeldung möglich, http://www.hallartfoundation.org/de/location/schloss-derneburg
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