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Georg Baselitz„Ich bin gegen Wände gelaufen“

Kunst ist für Georg Baselitz, sich nicht an Regeln zu halten – seine Position sei „asozial“. Mit dem Handelsblatt sprach er über seine frühen Jahre in der DDR und West-Berlin, über den Kunstmarkt und Provokation. 06.02.2015 - 13:51 Uhr Artikel anhören

Der Maler und Bildhauer Georg Baselitz in seinem Archiv.

Foto: Thomas Einberger für Handelsblatt

Ein Rückgebäude im Hinterhof des Münchener Bahnhofviertels. Georg Baselitz empfängt mit Hut. Hier, mitten in der Stadt, hat der Maler sein Archiv; das Schaffen liegt in Regalwänden. Kreativ ist er in seinem Haus am Ammersee, mit meterhoher Bibliothek. Baselitz hat gerade eine erfolgreiche Ausstellung in München hinter sich, und so ist seine Laune: wohltemperiert.

Herr Baselitz, Sie sind bekannt geworden mit Bildern, die Sie selbst, Ihre Frau Elke oder einen herabstürzenden Adler zeigen. Kürzlich stellten Sie in München schwarze Bilder aus, auf denen die Motive nur schwer zu erkennen sind. War das ein Ausdruck Ihrer Freiheit, die Sie demonstrieren wollten?
Baselitz: Falsch, ganz weit weg. Freiheit ist das Wort, das am meisten missbraucht wird. In Zeitungstiteln, bei Parteinamen, in Reden von Chefideologen oder Diktatoren. In der DDR gab es den Begriff der „inneren Freiheit“. Ich habe damals in Weißensee für meine Klausurarbeit über den Freiheitsbegriff im Marxismus und Leninismus sogar eine Eins bekommen …

… also kennen Sie sich mit Freiheit aus, theoretisch jedenfalls.
Nachdem ich rausgeflogen war von dieser Schule – wegen meiner Arbeiten –, wurde die Klausur nachträglich als „Lüge“ und „Verrat“ bewertet und heruntergestuft. Philosophisch kann man über Freiheit viel erzählen, über den Gebrauch des Begriffes jedoch nur Negatives. Der einzige Begriff, der in der Kunst für mich zählt, ist Subjektivität oder Individualismus.

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2015

Das zu leben bedeutet: frei zu sein.
Es ist etwas Persönliches, es gibt keine Gültigkeit für andere. Man setzt etwas in die Welt, und keiner kann folgen. Subjektivität isoliert.

Isoliert? Bilder sind doch ein Angebot an die Welt, sich Gedanken zu machen und zu kommunizieren. Das soll bei Ihnen anders sein?
Diese Näherung findet im Nachhinein statt. Meine Position in der Gesellschaft ist außerhalb, ist asozial. Auf das Mitgehen des Publikums und sein Harmoniebedürfnis muss der Künstler im Grunde verzichten. Jeder, der neu auftritt, muss stören – weil er sich selbst voranbringen will. Freiheit ist ein Zustand, den man empfindet. Freiheit lässt sich nicht allgemeingültig definieren.

Ihre neuen, schwarzen Bilder sind durchweg sehr positiv aufgenommen worden. Diese Harmonie muss Sie demnach irritiert haben.
Ich empfinde Kritik nicht sportlich, sondern immer als unfair. Deshalb freue ich mich, wenn Kritik ausbleibt. Fast keiner hat über die schwarzen Bilder gemeckert. Auf ihnen ist nicht erkennbar, was sich sonst so widerborstig in meinem Werk bemerkbar macht. Das Expressive fehlt, das inhaltlich oft Zweifelhafte. Bei meinen Skulpturen ist das anders, die bekommen immer ihr Fett ab. Einmal sagte einer, das sei „pagan“, also heidnisch, und das klingt wirklich gut. Also habe ich im Lexikon nachgeschaut und die nächste Serie „Paganismus“ genannt.

In Ihrer Karriere haben Sie sich nie von Moden beeinflussen lassen. Ging es Ihnen um äußerste Subjektivität?
Meine ganze Biografie besteht aus Ecken und Kanten. Ich bin gegen Wände gelaufen und gegen geschlossene Türen. Regeln haben ihren Sinn, sie verbieten das meiste. Für einen Künstler aber ist nur der Regelbruch interessant.

Georg Baselitz

Exklusives Kunstwerk für Handelsblatt-Leser

Welche Fehler haben Sie in Ihrer Regellosigkeit gemacht?
Indem ich bis 18-jährig an das System der DDR geglaubt habe. Ich war von der sozialistischen Erziehung so beeinflusst, ich hatte keine Wahl. Vom alternativlosen Weg zur besseren Gesellschaft war ich fest überzeugt.

1958 sind Sie nach West-Berlin gezogen. Was hat zum Bruch mit der DDR geführt?
Man hat mir ständig auf den Kopf geschlagen oder auf die Finger geklopft. Die haben gemerkt, dass ich nicht ganz richtig bin. In West-Berlin hat mir mein Lehrer Hann Trier sehr geholfen. Ich begann, das zu machen, was ich wirklich wollte. Und von da an gab es die unüberbrückbare Differenz zwischen dem modernen Menschen und dem Anachronisten. Ich war der Anachronist. Der moderne Mensch liebte abstrakte Malerei.

Sind Sie bis heute Anachronist“?
Ich habe mich immer als Avantgardist eingeschätzt (lacht). Der wahre Fortschritt ist der Rückwärtsgang.

Der 81 Jahre alte Deutsche Gerhard Richter war im vergangenen Jahr auf dem weltweiten Kunstmarkt der teuerste noch lebende Maler. Dies geht aus einer Bilanz hervor, die die französische Gesellschaft zur Bewertung des Kunstmarktes, Artprice, zusammen mit ihrem chinesischen Partner Artron mitteilte.

Foto: AFP

Richters Gemälde „Abstraktes Bild“ kam demnach für 30,4 Millionen Dollar (rund 23,4 Millionen Euro) unter den Hammer - laut Artprice der höchste Preis, den das Werk eines Künstlers je zu dessen Lebzeiten erzielte.

Insgesamt wurden 2012 der Bilanz zufolge Werke des 1932 in Dresden geborenen Richter im Gesamtwert von 262 Millionen Dollar (rund 201,4 Millionen Euro) versteigert - dies war mehr als das Volumen des gesamten deutschen Kunstmarktes, das sich 2012 auf rund 144,5 Millionen Euro belief.

Bildausschnitt: „Abstraktes Bild (809-4)“, Gerhard Richter 1994.

Foto: Reuters

Gerhard Richters Werk „Seestück (leicht bewölkt)“ von 1969 erbrachte 14.896.805 Euro - der Höchstpreis für ein fotorealistisches Bild von Richter.

Weitere Bilder aus seiner Reihe „Abstraktes Bild“ (798-3, 768-2, 840-2) sowie das Bild „Struktur (2)“ von 1989 verkauften sich sehr erfolgreich. Mit ihnen erzielte der Künstler einen Erlös, der pro Bild zwischen 16,8 Millionen Euro und 2,4 Millionen Euro lag.

(Bildausschnitt)

Foto: picture-alliance

Der amerikanische Künstler Jeff Koons. Sein Werk „Tulips“ verkaufte sich im vergangenen Jahr für 26.272.350 Euro und erreichte damit einen Weltauktionsrekord für den Künstler ein.

Foto: dpa

Koons teures Werk „Tulips“ von 1995 bis 2004 aus hochpoliertem, rostfreien Stahl mit einer transparenten Farbschicht.

Die Kunstwerke des 58-jährigen US-amerikanischen Künstlers haben stets eine ironisierende Wirkung und lassen sich demzufolge zwischen Kitsch und Kunst ansiedeln.

Foto: Reuters

Der britische Künstler David Hockney gilt als einer der einflussreichsten Künstler des 20. Jahrhunderts. In den 1960er Jahren ließ sich Hockney in Kalifornien nieder und malte mit Ölfarben eine Serie von Swimmingpools in Los Angeles.

Foto: Reuters

So auch dieses „Swimming Pool“-Ölgemälde von 1965. Das Kunstwerk wurde vergangenes Jahr im Sotheby's für 3.133.070 Euro verkauft.

(Bildausschnitt)

Foto: Sotheby's

Der Künstler Georg Baselitz erhielt für sein Kunstwerk „Der Soldat“ (1965) auf der Art Cologne bei David Zwirner 2.300.000 Euro - damit ist das Ölgemälde seine teuerste verkaufte Arbeit. Ab 1960 prägte der in der Oberlausitz geborene Künstler mit seinen Werken die moderne Malerei - und scheute nicht vor Provokationen. Da er lieber Bilder nach Picasso malte, musste er 1957 die DDR wegen „staatsbürgerlicher Unreife“ verlassen.

Foto: dpa

Der britisch-indische Künstler Anish Kapoor...

Foto: Reuters

Der britische Bildhauer, Maler und Konzeptkünstler Damien Hirst ist einer der bekanntesten Vertreter der Young British Artists. Sein Werk „The Twelve Disciples“ (1994) - ein gehäuteter Bullenkopf - erzielte im Sotheby's vergangenes Jahr einen Erlös von 730.611 Euro.

Der Künstler wurde vor allem durch provozierende Plastiken bekannt. Mehrere seiner Werke zeigen in Formaldehyd eingelegte Tierkörper und befassen sich mit den Themen Tod, Religion, Leben und Konsumkultur.

Foto: ap

Fernando Botero gehört zu den bekanntesten bildenden Künstlern Lateinamerikas. In seinen Arbeiten zeigt Botero den menschlichen Körper in überzeichneten Proportionen: Alle seine Figuren sind übergewichtig, denn für den Künstler macht genau das die Ästhetik des Menschen aus.

Foto: Reuters

So auch hier: Sein Werk „Mrs. Rubens #3“ (1964) wurde von einem amerikanischen Käufer für 843.489 Dollar gekauft.

(Bildausschnitt)

Foto: Koller Auktionen

Der Künstler Anselm Kiefer zählt zu den bedeutendsten Künstlern nach dem zweiten Weltkrieg. Der 1945 in Donaueschingen geborene Maler und Bildhauer erzielte mit seinem Werk „Dein Haus ritt die finstere Welle“ (2006) 577.250 Pfund. Seine Arbeiten sind in renommierten Museen Europas, Japans und der USA ausgestellt.

Foto: dpa

Albert Oehlens Werk „Untitled (1989)“ erbrachte im Londoner Sotheby's einen Rekord für den Künstler von 445.250 Pfund. Oehlen beschreibt seine Werk selbst als „postungegenständlich“.

Foto (hier der Künstler mit anderem Werk): Reni Hansen/Kunstmuseum Bonn

Foto: Handelsblatt

Sterling Rubys Werk „SP 17“ (2008) wurde für 626.500 Dollar vergangenes Jahr in New York verkauft. Seine Arbeiten werden als aufrufender Minimalismus verstanden, da er mit ihnen gesellschaftliche und soziale Machtstrukturen aufzudecken versucht.

Foto: Joeyode12/Wikipedia

Foto: Handelsblatt
Kunsthandel

Neue Sammler treiben die Preise

Für die Wirtschaft zählt Vorwärtsentwicklung, der Name dafür ist: Wachstum.
Ja, auch in der Wissenschaft wird so additiv gedacht. Aber in der Kunst ist es anders. Das würde ja sonst bedeuten, dass die Fotografie gesiegt hat. Realistischer geht es nicht. Tatsächlich zählt in der Kunst eine Ästhetik, die mit solchen Regeln bricht. Die Faszination liegt in ähnlichen Porträts, nicht in realistischen. Wunderbar sind die Werke von Giotto, die Höhlenmalerei oder Mumienporträts aus Ägypten. Ähnlichere Porträts hat es nie gegeben.

Viele Ihrer Arbeiten sind sehr groß. Das schließt bestimmte Ausstellungsräume oder eine Privatsammlung aus. Ein Nachteil?
Ich habe meistens große Bilder gemalt und bin doch sehr erfolgreich als Künstler. 1958 habe ich in der Hochschule für bildende Künste in West-Berlin die Schau „New American Painting“ mit ihren riesigen Formaten gesehen, mit unter anderem Jackson Pollock und Willem de Kooning. Seitdem weiß ich: Groß gewinnt. Und heute gewinnt nicht nur „Groß“, sondern auch „Schwer“.

Das große Format übernahmen Sie, nicht aber die abstrakte Malerei der Amerikaner?
Die Abstraktion ist auch nicht eindeutig. De Kooning, der Europäer, begann gegenständlich mit Porträts seiner Frau – vielleicht ein bisschen von Picasso beeinflusst – und wurde dann immer abstrakter, ungegenständlicher und expressiver. Bei Pollock war es umgekehrt. Er hat früh so fantastisch-surreale Geschichten gemacht, im Stil des Mexikaners Orozco. Dann die Drip Paintings und zum Schluss wieder unter starkem Einfluss von Picasso. Ich sehe, dieses gegenständlich Fassbare ist eigentlich überall geblieben. Selbst wenn man vor einem monochromen Bild von Mark Rothko sitzt, empfindet man etwas, was im Vergleich zur Welt oder zur Nacht Bestand hat. Das ist auch eine Art von Gegenständlichkeit.

Wann ist für Sie ein Bild so gelungen, dass Sie es einem Galeristen geben?
Meine Arbeit ist seit Jahrzehnten beständig. Ich kann mich nur mit mir selbst vergleichen. Das führt dazu, dass ich für Porträts meiner Frau immer noch dasselbe Foto benutze, es ist 40 Jahre alt. Und für Selbstporträts muss ich nicht mehr in den Spiegel schauen. Inzwischen kann ich innerhalb von zwei Stunden ein Bild malen – ein Ergebnis von Selbstdisziplin.

Im Kaufhaus der Weltwirtschaft

Kunstmarkt dubios – die Affäre Achenbach

Wollen Sie damit sagen, dass Sie sich permanent selbst herausfordern? Ein Kampf mit dem eigenen Ich?
Es hat damit zu tun, dass sich körperliche Zustände verschlechtern. Ich habe mir den Film „Gerhard Richter Painting“ angeschaut und festgestellt, dass Richter Methoden entwickelt hat, schneller zum Ergebnis zu kommen – mit Assistenten allerdings. Seine früheren Bilder waren grüblerischer und schwieriger in der Herstellung. Ein Maler hat die Chance, sich hier zu verbessern. Das andere ist die Korrespondenz mit anderen Künstlern: Das machte ich früher heimlich, jetzt mache ich es offen. Ich habe Lichtenstein-Bilder gemalt, De-Kooning-Bilder, Auerbach-Bilder, Dix-Bilder.

Warum diese Zitationen?
Ich bin dabei immer der Sieger. Ich erhöhe niemanden und mache auch niemanden kaputt, sondern es ist eine Verbeugung vor den Künstlern.

Vor einigen Jahren haben Sie Ihr Werk neu erfunden. Waren die „Remix“-Bilder eher ein künstlerischer oder ein geschäftlicher Erfolg?
Ich wollte, dass man meine Bilder und biografische Dinge nicht vergisst. Schaut man eine Fotokiste durch, bekommt man viel Nahrung. Früher habe ich gehofft, durch das Schlüsselloch der Zukunft blicken zu können. Futurismus zählte. Heute weiß ich: Man muss zurückschauen, man muss sich gut erinnern. Das betrifft die ganze Kunstgeschichte. Plötzlich sagen die Leute: „Baselitz, haben wir lange nicht gesehen, aber das ist ja überwältigend.“ Schauen Sie, in meinem Atelier in Imperia habe ich, nur mit einer Badehose bekleidet, die „Große Nacht im Eimer“ noch mal gemalt. Alles war anders. Ich bin nicht, wie 1963, ein Hänfling, sondern ein Faltenwurf. Doch es funktionierte. Es ist eine Art Karikatur – und doch wesentlich mehr.

Was sind die letzten Arbeiten, die Sie gemacht haben?
Ich habe wieder Frida Kahlos Füße gemalt, sie bilden so eine Art Windmühle. Meine ersten Füße habe ich übrigens vor 50 Jahren gemalt, hässliche Jedermannsfüße. Daraus habe ich die Idee entwickelt, nichts mit dem lieben Gott zu tun zu haben, sondern mit Erdgeistern. Um letztes Weihnachten herum wollte ich Mariä Verkündigung ganz neu malen und musste an Courbets Bild „Der Ursprung der Welt“ denken. Wo in den Verkündigungsbildern in der Mitte nichts ist, da sind jetzt eben diese Füße. Und ich habe zehn Selbstporträts gemalt, 4,80 Meter auf drei Meter, ich nackt und gespalten. Lucian Freud hat mich dazu inspiriert.

Wie bedeutend sind Ihnen Graphiken?
Sie sind für mich ganz wichtig. Graphik ist eine Manifestation im Vergleich zur Unsicherheit von Bildern und Zeichnungen. Sie ist unveränderlich, wie ein Geldschein (lacht). Es ist etwas Gültiges. Ich sammle ja selbst Graphik. Von Bartholomäus Spranger zum Beispiel habe ich zwei seiner drei wunderbaren Radierungen aus dem 16. Jahrhundert.

Im Kaufhaus der Weltwirtschaft

Die Kunst, Geld zu machen

Der schöne Nebeneffekt ist, dass Menschen Baselitz-Graphiken kaufen, die sich die meterhohen Bilder nicht leisten können.
Am Anfang, 1964/65, hat meine Graphik 20 Mark gekostet. Ich hätte sie auch für zehn Mark abgegeben. Aber keiner wollte sie. Heute ist das anders. Nein, die Leute, die Bilder kaufen, kaufen auch Graphik. Schon Rembrandt hat sich als Unternehmer so verhalten, zusätzlich auch Graphik anzubieten.

Hören Sie auf die Signale des Marktes?
Als ich anfing, gab es weder einen offenen noch einen geschlossenen Markt. Berlin hatte zwei Galerien. 1966 machte Rudolf Springer die erste Ausstellung mit mir. Ohne Verkauf. Nichts. Erst 1970 wurde es besser. Langsam konnte ich von der Kunst leben.

Aber doch so, dass Sie 1975 Schloss Derneburg im Niedersächsischen kaufen konnten?
Zum Preis eines kleinen Einfamilienhauses.

Der Erfolg kam durch den Einsatz Ihrer Galeristen?
Ich habe lange Zeit mit Michael Werner zusammengearbeitet. Werner hat seine Künstler an andere Galerien delegiert. Zu Rudolf Zwirner, Hans Neuendorf, Heiner Friedrich. In München kaufte Herzog Franz von Bayern Bilder in der Galerie Friedrich. Heute gibt es den Auktionsmarkt. Für mich ist der immer noch jungfräulich. Der ist durchsichtig und so dominant geworden, dass er große Unruhe und große Unsicherheit verbreitet, aber auch das Gegenteil davon.

Foto: Handelsblatt

Heute kosten Ihre Werke schon mal sieben Millionen Euro.
Ich kann mich noch erinnern, wie ein van Gogh eine Million Dollar kostete. Ich bin ja noch ein Kleiner auf diesem Markt. Es ist enorm, dass das so einen Stellenwert bekommen hat.

Erfreulich für Sie – aber auch nachvollziehbar?
Ja, bei Rembrandt war es doch auch so. Auch damals gab es schon Auktionen. Wenn Sie Erbscheine analysieren, stellen Sie fest: Neben Immobilien und Gold war Kunst immer dabei.

Sie sehen in dem überhitzten Kunstmarkt keine Verwerfungen?
Ich habe die Zeit erlebt, als Ideologien versandeten. Plötzlich war Amerika maßgebend, nicht mehr Frankreich. Inzwischen ist Asien dazugekommen. Fontana war zu Lebzeiten ein hochpotenter, wichtiger Künstler. Danach war mit seinen Arbeiten kommerziell nichts anzufangen. Heute kostet jeder einzelne Schlitz eine Million. Das Kunstgeschäft hat seine Wellen.

Der Markt hat recht?
Absolut. Wir haben keine Wirtschaftssysteme ohne Markt. Wie sollte das klappen? Ich müsste barfuß gehen.

Einen Crash kann es auch im Kunstmarkt geben so wie bei der Pleite der New Yorker Lehman-Bank im Finanzgeschäft.
Sicher, dieses Finstermachen, Gespenstermalen, dieses Streuen von Unsicherheit existiert. Es gibt ja auch politische Zusammenbrüche. Es gibt Unsolidität und keine Heilung. Man kann nicht davon ausgehen, dass der Finanzmarkt gesund ist. Er ist so gesund wie krank.

Wie sieht aus Ihrer Sicht ein gutes Zusammenspiel zwischen Künstler und Galerist aus?
Ich habe dem Händler immer vollständig vertraut. Schon seit langem mische ich mich nicht mehr ein.

Geht der Galerist durchs Atelier oder definieren Sie, was frei ist für den Verkauf?
Es ist leider immer schon alles weg. Damit nicht alles weg ist, muss ich etwas zur Seite stellen. Ich haushalte (lacht).

Ihre beiden Söhne sind Galeristen. Was haben Sie ihnen mitgegeben?
Der ältere Sohn, Daniel, hat sich auf ein Gebiet gewagt, von dem ich vorher nichts verstand: Fotografie. Das ging mir nicht ans Herz, selbst wenn ich im Museum zeitgenössische Fotografie sah. Anton stellt in New York Zeitgenossen aus. Und ist damit sehr erfolgreich – doch nebenan in Chelsea gibt es die Galerie Gagosian, mit der ich arbeite, die – im Gegensatz zu ihm – Millionen, ja Milliarden umsetzt. Dann sage ich: „Anton, steig doch mal ein! Mach Secondary Market!“ Er weigert sich. Und er macht es gut.

Zurückblickend: Wie wichtig war Provokation für Ihren Erfolg?
Wenn man die bewusst herbeiführen will, scheitert man. Provokation muss einfach von selbst entstehen. Dazu braucht es Öffentlichkeit. Als meine Biennale-Skulptur 1980 im deutschen Fernsehen gezeigt wurde, spielten die das Horst-Wessel-Lied dazu. Ziemlich haarig, aber was soll’s.

Die liegende Holzskulptur reckte die Hand nach oben.
Aber nicht zum Hitler-Gruß, sondern mit der Handinnenseite nach oben. Das Publikum hat mir beigebracht, dass Provokation in Deutschland nur funktioniert, indem man Bärtchen malt oder Hakenkreuze. Paul McCarthy mit seinen Schweinereien lockte kaum einen. Und die Tiere in Formaldehyd bei Damien Hirst auch nicht.

Ihnen ging es nie um die Inszenierung des Anstößigen?
Nur am Anfang wollte ich richtig böse Bilder malen und tat es auch. Ich hatte aber nicht mit der Öffentlichkeit gerechnet. Man muss sich dort ja durchsetzen. Und dann wächst man und wird erwachsen. Kunst muss Irritation und Störung bei den anderen hervorrufen. Wenn mein Vater in der DDR verbotenerweise im Sender Rias das Kabarett „Die Insulaner“ hörte, setzte garantiert der Störsender ein. Das ist Provokation.

Herr Baselitz, zum Schluss: Wie war das wirklich mit den schwarzen Bildern? Wie kam es dazu?
Irgendwann habe ich bemerkt, dass meine Bilder so wunderschön sind, weil jede Farbe mit Weiß vermischt ist. Das ergibt einen Harmoniebrei. Für ein effizientes Bild darf man aber nicht Weiß dazumischen. Die schwarzen Bilder sind seit 2012 entstanden, weil ich Grenzen immer weiter verschieben wollte. Wie weit kann man verdunkeln, dass noch ein kleines Glimmern zu spüren ist? Dass noch etwas zu erkennen ist? Ich mischte alle Buntfarben mit Schwarz.

Und vom Ergebnis waren Sie sofort überzeugt?
Die Formate sind groß, und die Leinwände liegen während des Malens ja auf dem Boden. Einen ganzen Tag brauchen die Ventilatoren, bis sie endlich trocken sind. Am nächsten Morgen sah ich, dass es gelungen war.

Was wir als neue Freiheit des Künstlers Baselitz interpretierten, war …
… eine schlaflose Nacht.

Vielen Dank für das Gespräch!

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sds, jj
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