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AusstellungMalerei, scharf wie ein Messer

Die Mannheimer Kunsthalle erinnert an ihre epochale Ausstellung zur Neuen Sachlichkeit vor hundert Jahren. Zu besichtigen ist eine von Identitätskrisen, Kriegsangst und sozialen Konflikten getriebene Epoche in ihrer ganzen Bandbreite.Sabine Spindler 18.12.2024 - 15:43 Uhr Artikel anhören

Mannheim. Der Wahrheit ins Gesicht sehen. Diesen Leitgedanken nahmen die Maler der Neuen Sachlichkeit wörtlich. Emotionslos, schonungslos und mit unterkühltem Blick bildeten sie die Zwanzigerjahre des letzten Jahrhunderts zwischen sozialem Elend und gesellschaftlichem Aufbruch ab.

Grotesk überzogen malte Otto Dix das welke Fleisch verlebter Kaschemmen-Prostituierter. Anita Rée hingegen porträtierte die Fotografin Hildegard Heise in spröder Schönheit und mit feinmalerischem Duktus, wie die moderne Version eines frontalen Renaissance-Bildnisses porträtiert.

Die Kunsthalle Mannheim zeigt in ihrer Ausstellung „Die Neue Sachlichkeit. Ein Jahrhundertjubiläum“ die ganze Bandbreite dieser Richtung. Denn Mannheim gilt als deren Geburtsort. Wie das Publikum heute stand der damalige Kunsthallendirektor Gustav Friedrich Hartlaub (1884–1963) vor einem Stilgemenge und erkannte, dass es vor allem um eine künstlerische Haltung geht.

Das war die Klammer für die mit satirischer Verve gemalten pausbäckigen Geldsäcke und ausgemergelten Kriegsversehrten in George Grosz’ Gemälde „Grauer Tag“ von 1921 und dem vor lauter Entfremdung erstarrten Paar in dem bühnenbildartigen „Haus Nr. 9“. Um Haltung geht es auch in Georg Schrimpfs Gemälde „Stillleben mit Katze“ mit seiner sanft gerundeten, lyrischen Bildsprache.

Für Direktor Hartlaub gehörte damals auch Max Beckmann in diesen Kreis. Den Großmeister des mystischen Welttheaters zählt man heute jedoch nicht mehr zur Neuen Sachlichkeit. Und wenn er nun noch einmal dabei ist, dann wohl als historische Referenz. Hartlaub teilte die Strömung auf in die „Veristen“, die mit sozialkritischem Blick die Realität überzeichneten. Ihren Gegenpol erkannte er in den eher konservativen Malern, die wie Alexander Kanoldt die Plastizität der Formen betonten. Und auch der magische Realismus stellte eine Facette dar. Diese dritte Spielart betont durch überstreckte oder verzogene Raumperspektiven und Gliedmaßen das Metaphysische eines Motivs.

Blick in die Ausstellung „Die Neue Sachlichkeit – Ein Jahrhundertjubiläum“ in der Kunsthalle Mannheim Foto: Elmar Witt

Als „Neue Sachlichkeit“ fasste Gustav Hartlaub in seiner epochalen Ausstellung die gegensätzlichen Tendenzen zusammen. Sie liefert noch heute den Begriff für das Phänomen dieser messerscharfen Malerei während der Weimarer Republik.

Ihre Vertreter sahen im ekstatischen Expressionismus kein Gleichnis mehr für die menschlichen Verletzungen und sozialen Verwerfungen, die der Erste Weltkrieg hinterlassen hatte. Ebenso wenig ein Gleichnis für die Leere hinter der Maske wohlsituierter Bürgerlichkeit. Provokante und melancholische Porträts, Stadtlandschaften, Sittenbilder waren die Antwort.

Zu keiner Zeit gab es so viele Bildnisse von Arbeitern, Schiebern und Nutten sowie von prominenten Zeitgenossen wie Egon Erwin Kisch und der lasterhaften Tänzerin Anita Berber. In ihnen spiegelte sich der Tanz auf dem Vulkan ebenso wie tiefe Skepsis.

Christian Schad gehörte zu den vor 100 Jahren übersehenen Künstlern

Die Ordnung der Dinge, die dem Alltag abhandengekommen waren, suchten die Maler und Malerinnen in hyperrealistischen, eingefrorenen Stillleben. Hartlaubs Jahrhundertausstellung ist nur der gedankliche Kern der heutigen Ausstellung. Viele der 1925 gezeigten Werke wurden von den Nazis durch die Aktion „Entartete Kunst“ den Museen entzogen, sind heute verschollen oder zerstört. Aufgrund fehlender Fotodokumentationen sind manche Exponate von damals nicht mehr verifizierbar. Den Versuch einer Rekonstruktion liefert eine digitale Datenbank in der Ausstellung.

Kuratorin Inge Herold hingegen entschied sich für ein erweitertes Revival. Ergänzt um Künstler und Künstlerinnen, die Hartlaub nicht gekannt haben konnte, wie den sozialkritischen, politisch links stehenden Kurt Querner, der erst 1926 zu studieren begann. Andere Künstler übersah oder ignorierte er wie etwa den heute auf dem Kunstmarkt gefragtesten Maler Christan Schad. Sein Porträt „Anna Gabbioneta“ von 1927 erzielte bei Christie’s im November gerade 3,2 Millionen Dollar.

Arno Henschels „Dame mit Maske“ von 1928 hängt als Leihgabe der Kulturhistorischen Museen Görlitz in der Mannheimer Ausstellung. Foto: Görlitzer Sammlungen

Eine große Lücke schließen hingegen die zahlreichen Malerinnen, deren Werke erst in den letzten Jahrzehnten aus der Vergessenheit geholt wurden. Wie etwa die beiden Dix-Schülerinnen Gussy Hippold-Ahnert und Erika Streit, die sich ungeschönten, aber nicht veristischen Frauendarstellungen zuwandten, deren neusachliche Ambitionen in der Nazizeit keine Fortsetzung erfuhren. Bittere Erfahrung machten auch Edith Dettmann aus Stralsund und die Rostockerin Kate Diehn-Bitt, die sich radikal androgyn auf ihrem Selbstporträt aus den 1930er-Jahren zeigt. Die neusachliche Phase beider wurde in der DDR nie gewürdigt.

Wie ein Epochenbild der Zwanzigerjahre reihen sich in der Mannheimer Ausstellung die 233 Bilder der Neuen Sachlichkeit aneinander. Das Unromantische des modernen Bauens fasziniert Carl Grossberg in seinem wie am Reißbrett gemalten Gemälde „Stahlskelett“. Für Karl Völker ist der Bahnhof ein Ort gesichtsloser Menschenmassen. In einem Vacuum des Nirgendwo hat Carlo Mense sein abwesend erscheinendes Familienbildnis gesetzt, während Ernst Thoms die diversen Luken und Schrägen eines Dachbodens zu einem klaustrophobischen Labyrinth verdichtet.

Nach 1925 wird die Malerei der Neuen Sachlichkeit romantischer, weicher, unkritischer

Selbstbewusst, aber nicht immer selbstsicher wurden die modernen Frauen dargestellt. In diesen Bildern ist die Widersprüchlichkeit der Zwanzigerjahre nachdrücklich zu spüren, weil sie trotz ihrer Gegenständlichkeit den schwankenden Boden der Gesellschaft sichtbar machen. Wie etwa Wilhelm Lachnits Porträt seines salopp daherkommenden Bruders. Selbstbewusst im gelben Anzug überdeckt er die traumhaft-unheimliche Nachtszene im Hintergrund.

Die Mannheimer Schau von heute schaut anders als Hartlaub auf ein abgeschlossenes Kapitel der Kunst. Die sozialen Spannungen hatten sich 1925 gemildert. Die Malerei der Neuen Sachlichkeit verlor an Schärfe und wurde romantischer, weicher, unkritischer. Die Vereinnahmung dieser Facette durch die Nationalsozialisten war nur noch ein kleiner Schritt. Muskelgestählte, blonde junge Männer verherrlichen in Gerhard Keils Gemälde „Turner“ das neue Heroen-Ideal. Diese Perspektive zeigt deutlich, wie schnell gesellschaftliche Relevanz verloren geht.

Kuratorin Inge Herold versuchte allerdings auch, den Zirkel der Zugehörigkeit zu dieser Stilrichtung zu erweitern. Sind der Realismus von Lotte Laserstein und Xaver Fuhrmann, der Neoklassizismus des Bildhauers Ernesto de Fiori, der amerikanische Piktorialismus Georgia O’Keeffes oder der konstruktive Futurismus Louis Lozowicks wirklich neusachlich? Das ist die kleine Schwäche dieser Ausstellung. Sie feiert die malerische Schönheit und die Menschlichkeit dieser Kunst, spiegelt aber auch die von Identitätskrisen, Kriegsangst und sozialen Konflikten getriebene Epoche. Gleichwohl, all das ist heute aktueller denn je.

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„Die Neue Sachlichkeit. Ein Jahrhundertjubiläum“, bis 9.3.2025, Kunsthalle Mannheim. Katalog: Deutscher Kunstverlag, 56 Euro

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