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  4. Wie Auktionatorin Katrin Stoll Alte Kunst, Haute Couture und KI-Kunst unter den Hammer bringt

Frauen im Auktionshaus – Teil 4Katrin Stoll – Den Staub des Altbackenen weggeblasen

Beim Münchener Auktionshaus Neumeister zeigt Geschäftsführerin Katrin Stoll, wie man an der Kernkompetenz der Alten Kunst festhalten kann und zugleich ein Unternehmen ins 21. Jahrhundert führt.Sabine Spindler 05.04.2023 - 10:57 Uhr Artikel anhören

„Wir unterliegen betriebswirtschaftlichen Forderungen. Die Frage ist immer: Was sind die Kosten, was ist der Ertrag?“

Foto: Astrid Eckert

München. Das Auktionshaus Neumeister versteigert Gemälde von Lucas Cranach, aber auch die Garderobe der verstorbenen Hannelore Elsner. Wer im Auktionsmarkt bestehen will, braucht nicht nur Kunstverstand. Katrin Stoll, die seit 15 Jahren das Münchener Auktionshaus Neumeister leitet, wird diesen Satz ohne Wenn und Aber unterschreiben.

Der Wind auf dem Kunstmarkt bläst ihr heute härter ins Gesicht als vor fünfzig, sechzig Jahren ihrem Vater, dem Firmengründer Rudolf Neumeister. Millionenzuschläge erzielt der Markt derzeit mit Werken von Ernst Wilhelm Nay, Albert Oehlen oder Gemälden von Ernst Ludwig Kirchner. Der Neumeister-Schwerpunkt ist aber seit 65 Jahren die Alte Kunst.

Katrin Stoll, die mit 61 Jahren ihre unternehmerische Energie nicht verloren hat und am Auktionspult stets ein strahlendes Lächeln und Bella Figura zeigt, hält an dieser Sammelsparte aus Überzeugung fest: „Ich handle nicht mit Aktien, sondern mit Kulturgut“, sagt sie im Gespräch mit dem Handelsblatt.

Wie der Handel mit Alter Kunst im 21. Jahrhundert erfolgreich sein kann, beschäftigt sie seit Jahren. „Anders als in Frankreich oder Österreich gilt Tradition bei uns als unsexy“, bemerkt sie bedauernd. Aber: „Inhaltlich würde ich nie mit der Tradition des Hauses brechen.“ Die Alte Kunst ist ein Wertesystem, das nur noch wenige Sammler würdigen. Sie ist Neumeisters Basis und Kompetenz. Erfolg ist da eine Frage der Akquise und der potenziellen Kunden, die man erreicht.

Deshalb hat Neumeister die Alte Kunst schon vor zehn Jahren auf die wichtigsten Online-Bieterplattformen gebracht. Die neuen Kunden aus Asien, USA und Neuseeland haben nie einen Fuß in die Barerstraße in München gesetzt. Aber sie kaufen. Neumeister könnte mit Leichtigkeit viel mehr Werke von Heinrich von Zügel oder Eduard von Grützner oder Biedermeierkommoden akquirieren. Aber der Geschmack hat sich gewandelt.

„Ich handle nicht mit Aktien, sondern mit Kulturgut“, sagt die Tochter des Firmengründers, die seit 15 Jahren das Auktionshaus leitet.

Foto: Markus Brönner

Lucas Cranach, Carl Spitzweg, Kunsthandwerk von Weltrang – damit fährt Neumeister heute Erfolge ein. Für eine 800 Jahre alte bunte Glasscheibe aus der Kirche St. Thomas in Straßburg erzielte sie 95.000 Euro. Nicht Heinrich Bürkels Genreszenen brechen die Rekorde, sondern das romantisierende 19. Jahrhundert. August Kopischs rot glühender Sonnenuntergang über den „Pontinischen Sümpfen“ von 1845 stieg von taxierten 15.000 auf 170.000 Euro.

Von Kuratieren will Katrin Stoll nicht sprechen. „Wir unterliegen betriebswirtschaftlichen Forderungen. Die Frage ist immer: Was sind die Kosten, was ist der Ertrag?“ Die Varia-Auktion wurde schon vor Jahren abgeschafft. Denn Lose mit einem Schätzwert unter 600 Euro rentieren sich nicht.

Ein Magazin voller Geschichten ersetzt die Kataloge

Bei Möbeln etwa, deren Markt ohnehin geschrumpft ist, schlägt der logistische Aufwand besonders zu Buche. Die Konsequenz nicht nur bei Neumeister ist Konzentration auf hochwertige Stücke. Erst wenn ein Mainzer Schreibschrank von circa 1750 auf einen Bruttopreis von 127.000 Euro klettert, stimmt auch die Gewinnmarge für den Auktionator.

Der bewusste Aufbruch zu einer modernen Marke Neumeister bedeutete für Katrin Stoll auch die Einstellung des herkömmlichen Katalogs. Er kostete zudem viel Papier. Seit drei Jahren gibt das Haus stattdessen ein Magazin voller Geschichten um und über die Höhepunkte der Auktion heraus. Der Rest ist im Netz zu finden.

„Die Pontinischen Sümpfe bei Sonnenuntergang“ von 1845 haben ihren Preis: 169.000 Euro inklusive Aufgeld.

Foto: Neumeister

Stoll ist überzeugt, dass die Digitalisierung den Kunstmarkt auf eine Art umkrempeln wird, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen können. Das erste mit KI erzeugte Gemälde ist bei ihr schon versteigert worden.

Von anderen überholt wurde sie jedoch auf dem Gebiet der Klassischen Moderne und der Gegenwartskunst. „Wenn ich in diesem Bereich expandieren wollte, müsste ich eine völlig neue Abteilung aufbauen“, entgegnet sie. In diesem Moment schleicht sich ein Ton von Verdrossenheit in ihre Stimme. Es bleibt ihr schwacher Punkt, auch wenn gerade vor ein paar Tagen ein Gemälde Lovis Corinths für über 220.000 Euro verkauft wurde.

Geschätzt von aristokratischen Einlieferern

Katrin Stoll hinterfragt permanent eingefahrene Wege. „Brauchen wir wirklich noch eine Vorbesichtigung, die eine Woche Aufbau kostet? Oder könnte man sich auch ein Schaulager von einer Modernität wie das neue Depot des Museums Boijmans van Beuningen in Rotterdam vorstellen?“, fragt sie rein rhetorisch. Aber das ist Zukunftsmusik.

Realität hingegen ist, dass Neumeister sich als Drehscheibe für aristokratische Sammlungen etabliert hat. „Aus wittelsbachischen und habsburgischen Nachlässen“, hieß es vor neun Jahren. Diese Auktionen begeistern nicht nur Königstreue. Sie bringen immer wieder kulturhistorisch Interessantes ans Licht. Museen aus Polen und Deutschland interessierten sich 2022 für ein Konvolut von raren Landkarten, die sich unter den „Hidden Treasures aus dem Hause Württemberg“ verbargen.

Um in diese Kreise vorzustoßen, braucht es gute Kontakte. „Die Marke Neumeister wird von den aristokratischen Einlieferern sehr geschätzt“, lautet lapidar der Kommentar der gebürtigen Münchnerin, die Herzog Franz von Bayern mitunter in die Münchner Oper begleitet und auch sonst gesellschaftlich bestens vernetzt ist.

Auktion

Werden bei Neumeister versteigert: Fragile Schätze aus dem Haus Württemberg

Zurückblickend war 2008, das Jahr der Geschäftsübernahme, für sie das härteste. Kurz zuvor hatte Rudolf Neumeister das Unternehmen seinen drei Töchtern überschrieben. Als Thronfolger stand damals sein Schwiegersohn Michael Scheublein bereit. „Mein Vater war ein Patriarch, der sich lange nicht vorstellen konnte, dass einmal eine Frau seine Nachfolge antritt“, beschreibt sie die Situation von damals. Streit lag in der Luft. Am Ende zahlte Katrin Stoll ihre Schwestern aus, ihr Privatvermögen schmolz dahin. Neumeister war finanziell angeschlagen.

Als Partner trat der Münchener Rechtsanwalt Wolf-Rüdiger Bub ins Unternehmen ein und blieb doch im Hintergrund. Als der Jurist im Herbst verstarb, prophezeiten manche einen neuen Aderlass für Neumeister. Aber Katrin Stoll wehrt ab: „Bub ging es immer um Kontinuität. Und es sieht so aus, dass seine Erben den Part des Gesellschafters fortsetzen werden.“ Aber als Unternehmerin ist ihr eine alte Businessweisheit sehr wohl bewusst: Man darf nie davon ausgehen, dass alles so bleibt.

Schnelle Autos und steile Skipisten

Das gilt auch für die eigenen Visionen. Sie war in Deutschland die Erste, die einen offenen Umgang mit der NS-Vergangenheit des Kunsthandels im eigenen Haus wagte. Sie ließ die brisanten Geschäftsbücher der Kunsthandlung Weinmüller, die Rudolf Neumeister 1958 übernommen hatte, wissenschaftlich aufarbeiten. Stoll rüttelte damit an einem Tabu. Heute sieht sie darin auch den Vollzug des Generationswechsels im eigenen Haus.

Bernhard Maaz, Generaldirektor der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, bewundert Stolls Leidenschaft für große Kunstwerke und meisterliches Kunsthandwerk, aber auch ihre Passion in dieser Frage: „Sie hat die Unterlagen des Firmenarchivs nicht nur von einer der besten Forscherinnen im deutschsprachigen Bereich aufarbeiten und auswerten lassen sowie dafür eine hohe finanzielle Beteiligung beigesteuert, sondern diese Firmenakten auch an das Zentralinstitut für Kunstgeschichte geschenkt.“

Auktion bei Neumeister

Begeisterung für Venedig hebt den Preis

Das Feedback an Einlieferungen blieb überschaubar. Der Fall von Carl Spitzwegs „Justitia“ hat 2020, mitten im Corona-Lockdown, die Gemüter bewegt. Viele Jahre hing das anspielungsreiche Gemälde von 1857 im Bundeskanzleramt in Bonn, bevor es an die Erben zurückgegeben wurde. Der Erlös von 698.000 Euro ist ein Top-Preis für den Maler ironischer Szenen.

Neben der Kunst liebt Katrin Stoll spritzige Autofahrten und steile Skipisten. Stillstand ist ihr weder privat noch beruflich geheuer. Als Deutschland im Designfieber war, hat sie mit Sonderauktionen wie „Plastic Fantastic“ und „Shape“ eine neue Klientel ins Haus geholt. Als andere Häuser Luxushandtaschen ins Programm nahmen, startete sie ihre ersten Vintage-Auktionen mit Haute Couture und Prêt-à-porter-Mode.

Das nächste Fashion-Ereignis war die Versteigerung der Garderobe der Schauspielerin Hannelore Elsner. Eine feste Größe im Neumeister-Repertoire sind beide Sparten nicht geworden. Aufmerksamkeit haben sie allemal gebracht und den Staub des Altbackenen vom Image des Hauses weggeblasen.

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Manche in der Branche behaupten, dass die Neumeister-Chefin mehr gute Ideen als Ausdauer besäße. Zu ihren unternehmerischen Stärken gehört zweifellos ein unumstößlicher Optimismus. Und wer schnelle Autos liebt, will eben auch schnell am Ziel sein.

Lesen Sie mehr aus der Serie „Frauen im Auktionshaus“:

Teil 5 der Serie erscheint am 14. April: Gudrun Ketterer

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