Günstige Kunst: Entdeckungen vor der Auktion bei Irene Lehr

Düsseldorf. Kunst muss nicht teuer sein. Das bemerkt, wer sich durch den 61. Katalog der Dr. Irene Lehr Kunstauktionen blättert. Unter den 391 Losen mit Gemälden, Skulpturen und Grafik, die am 26. Oktober 2024 in Berlin zum Aufruf kommen, gibt es zahlreiche Überraschungen. Viele Werke werden zu Preisen im vierstelligen Bereich aufgerufen, nicht viel in der Kunstbranche.
Ein Schwerpunkt sind die bei Sammlern beliebten Künstlerselbstporträts. Für Max Beckmanns Kaltnadelradierung „Großes Selbstbildnis“ mit skeptischem Blick und Fluppe im Mundwinkel werden 7000 Euro erwartet.
Erich Buchholz‘ Selbstbildnis aus demselben Zeitraum 1918/19 ist auf 5000 Euro geschätzt. Das Ölbild gibt das Gesicht des Malers ansatzweise wieder, nur ein Viertel ist deutlich ausgeführt. Es wirkt, als könnte Buchholz das Grauen des zurückliegenden Ersten Weltkriegs nur mit geschlossenen Augen ertragen.
Markante Zeitstudie von 1928
Die Mischtechnik „Im Atelier“ von Ferdinand Dorsch geht dagegen schon mit 1500 Euro ins Rennen. Franz Xaver Fuhrs „Selbstporträt“ von 1928 gibt den kritisch blickenden Kopf des Malers giftgrün vor dunklem Hintergrund wieder. Auktionatorin Irene Lehr veranschlagt für die markante Zeitstudie von 1928 12.000 Euro.
Hein Steiauf war ein Schüler von Max Beckmann und verlor nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten seine Position in der Kunstszene. Sein neusachlich gehaltenes Selbstbildnis mit Aktmodell von 1932 bewertet Lehr als ein Hauptwerk. Es soll 4000 Euro kosten.
Auch Max Liebermann hat sich immer wieder selbst gemalt, sein Befinden und zugleich seine Zeit befragt. Für das Bildnis des reifen Malers im Anzug nach rechts aus dem Jahr 1923 werden 28.000 Euro erwartet.
Mit halbierter Taxe kehren die „Auswanderer (in der vierten Klasse)“ von Hans Baluschek zurück. Die detailliert erzählte, sozialkritische Mischtechnik, die im Frühjahr 2024 bei Lehr zurückging, soll nun 15.000 Euro einbringen.
Zu den Entdeckungen in diesem Katalog zählen auch vier Gemälde von Horst Strempel, der nach der Gefangenschaft nach Ostberlin zurückkehrte und Professor in Weißensee wurde. Die vielfach ausgestellten „Söldner“ malte er 1948 als gebrochene Gestalten, die dem Tod geweiht sind (8000 Euro). „Die Sucher“ tauchte er im Jahr zuvor in hartes Hell-Dunkel, sodass bei ihnen an Menschen zu denken ist, die nach Verschütteten suchen und zugleich nach einer Zukunft ohne Massenmorde (9000 Euro).
Zum zweiten Mal ruft Irene Lehr Werke des westfälischen Expressionismus aus der Sammlung des Bielefelder Rechtsanwalts Hermann-Josef Bunte auf. Mit dabei sind vier Arbeiten von Hermann Stenner, unter anderem eine „Frau mit Ziege“. Das Ölbild auf Malpappe von 1911 soll 7000 Euro erlösen.
Auch in der Nachkriegskunst und der Gegenwart gibt es Positionen, die auffallen. Ursula Bluhm war mit Bernard Schultze verheiratet und signierte nur mit ihrem Vornamen. Die Malerin des Fantastischen stand lange im Schatten ihres berühmten Künstler-Ehemanns. Wie überraschend und humorvoll Ursulas Oeuvre ist, offenbarte 2023 eine Soloausstellung im Museum Ludwig in Köln, das ihren Nachlass zum Teil geerbt hatte. Im Ölbild „Blumenfest des Lirad“ schuf Ursula das Fabeltier Lirad aus winzigen, glühend farbigen Pinselstrichen (8000 Euro).

Von Rainer Fettings berühmter Willy-Brandt-Skulpturen-Serie von 1996 steht die größte Version in der SPD-Parteizentrale in Berlin. Ein oft genutzter Hintergrund für Medienbilder. Eine kleine, 83 Zentimeter hohe Bronze des nachdenklichen Politikers mit erhobener Hand soll nun für 30.000 Euro den Besitzer wechseln.
Diesmal fehlt der Offerte, deren Gesamtschätzung sich auf 1,5 Millionen Euro beläuft, ein sechsstellig taxiertes Los. Doch auch ohne solch schwergewichtige Einlieferungen richtet sich die Kohlezeichnung „Eltern mit Kind“ von Käthe Kollwitz aus Sotheby’s „Menuhin Sale“ von 2004 an Kenner. Die ausgezehrten Hoffnungslosen von 1919 warten bei 50.000 Euro auf ein Gebot.

Internationales Interesse dürfte Sean Scullys Querformat „Light in December“ von 1997 erregen. Auf dunklen Untergrund hat der Ire schmutzig weiße und schwarze Blockstreifen ge- und versetzt. Das veranlasst den Betrachter, genau hinzuschauen, um die Feinheiten dieser nur farblich reduzierten Malerei zu erkennen. Mit einem Schätzpreis von 80.000 Euro ist es das am höchsten taxierte Werk der Auktion. Es könnte gut sein, dass das Dezemberlicht für eine sechsstellige Summe in neue Hände gelangt.
Vorbesichtigung in der Sybelstraße 68, Berlin: 14. bis 24. Oktober 2024






