Museumsverkauf: Drei marktfrische Cézannes unter dem Hammer

Das heitere „Früchtestillleben mit Ingwertopf“ von Paul Cézanne (um 1891) erwarben Sidney und Jenny Brown 1933 in Luzern. Es kann nun frei von Restitutionsansprüchen versteigert werden.
Zürich. So fortschrittlich die 1891 gegründete Firma Brown Boveri & Cie für Elektrotechnik war, so mutig agierte der vermögende Bruder des Firmengründers als Kunstsammler. Sidney W. Brown (1865-1941) entschied sich zusammen mit seiner kunstsinnigen Frau Jenny Sulzer (1871-1968) für die französischen Impressionisten. Das Paar hinterließ eine der bedeutendsten Privatsammlungen dieser Epoche in Europa. In Baden im Schweizer Kanton Aargau sind rund 50 hochkarätige Bilder seit 1990 in einer einzigartigen Jugendstilvilla öffentlich zugänglich.
Seit Jahren ist die Stiftung Langmatt Sidney und Jenny Brown, zu der noch ein Park gehört, unterfinanziert. Markus Stegmann, Direktor des Museum Langmatt, entschied sich schweren Herzens für den Verkauf von Gemälden. Sein Ziel: Das kleine Restvermögen der Stiftung mit 40 Millionen Schweizer Franken so aufzustocken, dass die Rendite von etwa 1 Million Franken pro Jahr in Zukunft Programm und Unterhalt sichern kann.
Dieser außerordentliche Schritt steht im Kontext einer von der Badener Bevölkerung breit gestützten Gesamtsanierung der Villa Langmatt. Die dafür veranschlagten rund 20 Millionen Franken kommen zur Hälfte aus dem Haushalt der Stadt, vom Kanton, der Denkmalpflege und aus Drittmitteln – aber nicht aus dem Bilderverkauf.
Museumsverkäufe sind in den USA üblich; in Europa hingegen gelten sie als Sakrileg. Und so kritisierte dann auch Tobia Bezzola, Präsident der Schweizer Sektion im internationalen Museumsrat, den Präzedenzfall: „Das kulturelle Gut, der eigentliche Kern oder die Substanz einer Institution, ist kein verfügbares Kapital für den Betrieb dieser Institution, sondern bleibt unantastbar.“
Stegmann kontert: „Hier geht um die Rettung des Museums, um Sein oder Nicht-Sein“. Dem Handelsblatt erklärt er, die Stiftungsaufsicht im Kanton Aargau habe die „Ent-Sammlung“ nicht nur erlaubt, sondern als Pflicht gewertet, um auch in Zukunft den Stiftungszweck zu erfüllen: den Museumsbetrieb mit Ausstellungen und Veranstaltungen weiter zu ermöglichen.
Sechs weitere Cézanne-Gemälde bleiben dem Museum erhalten neben 22 Renoirs, Bildern von Gauguin, Degas, Boudin und Pissarro. Der Auswahl lagen laut Markus Stegmann zwei Kriterien zugrunde. Einerseits soll die benötigte Summe mit wenigen Bildern zustande kommen, und anderseits die Pionierleistung der Sammler bei den Ankäufen zwischen 1908 und 1919 nicht geschmälert werden.
So fiel die Wahl auf Werke, die erst in den 1930er-Jahren erworben wurden: die beiden Stillleben „Fruits et pot de gingembre“ und „Quatre pommes et un couteau“, ergänzt um das Seestück „La mer à l'Estaque“. Christie’s ruft das Trio am 9. November in New York in der Abendauktion auf. Mit einem Schätzpreis von 35 bis 55 Millionen Dollar liegt das „Früchtestilleben mit Ingwertopf“ weit vor den beiden anderen Bildern. Die „Vier Äpfel“ sollen 7 bis 10 Millionen bringen, „Estaque“ 3 bis 5 Millionen Dollar.
Die Einlieferung kam zu Christie’s über Jussi Pylkkänen, den obersten Präsidenten des Hauses, der dieses in Kürze verlässt, und Dirk Boll, Vorstand für die Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts von Europa bis Afrika. Dass am Ende der Suche nach einem Vermarkter Christie’s das Rennen um die marktfrischen, musealen Toppwerke machte, dürfte auch an eingeräumten Sonderkonditionen liegen.
Christie’s weist Interessenten darauf hin, dass nur dann das Apfel-Stillleben und die Küstenlandschaft zum Aufruf gelangen werden, wenn das zuerst ausgebotene „Früchtestillleben mit Ingwertopf“ ohne Kommission weniger als die erforderlichen 45 Millionen Dollar einspielt.
Die Hoffnung, dass Stiftungsrat und Museumsdirektor am Ende vielleicht mit nur einem schmerzlichen Gemälde-Verkauf die Zukunft des vitalen Museums sichern können, hat sich soeben zerschlagen.
Die Provenienzforschung bei Christie’s fand heraus, dass das „Früchtestillleben mit Ingwertopf“ am 5.11.1933 in Luzern in der Kunsthandlung L’Art Moderne von Brown angekauft worden war. Doch es befand sich seit 1929 in Gemeinschaftseigentum mit der Galerie M. Goldschmidt & Co. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten und dem Boykott jüdischer Geschäfte musste Jacob Goldschmidt seine Galerie 1934 aufgeben und nach der Entrichtung der ominösen „Reichsfluchtsteuer“ fliehen.


Im Geist der „Prinzipien von Washington“ erhalten die Erben nach Jacob Goldschmidt deshalb einen nicht veröffentlichten Anteil am Erlös des Gemäldes „Ingwertopf“. Nur frei von Restitutionsansprüchen kann ein millionenschweres museales Bild in neue Hände übergehen.
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