Provenienzforschung: Zürichs Last mit Sammlung Bührle

Pierre-Auguste Renoirs Gemälde „Irène Cahen d‘Anvers aus der Sammlung Bührle: Die Dargestellte schenkte das Bild 1933 ihrer Enkelin, die ermordet wurde.
Zürich. „Waffen lieferte er an jeden Käufer, die Gewinnmaximierung steht im Vordergrund.“ Dieser den Kriegsprofiteur entlarvende Satz steht in einem der Saaltexte in der Kunstsammlung, die der in Zürich einst hoch verehrte Mäzen Emil Bührle (1890–1956) aufbaute. Die Präsentation von Meisterwerken aus der Stiftung des deutschen Rüstungsindustriellen, der im Zweiten Weltkrieg zum reichsten Schweizer avancierte, ist im Kunsthaus Zürich grundlegend verändert worden.
Bei der Eröffnung vor zwei Jahren glich die Tonalität im stark kritisierten Info-Raum einer Heiligenlegende: „Hagiografie“ sagt dazu Vera Rottenberg Liatowitsch, eine ehemalige Bundesrichterin, die in einem der neuen Videos zu Wort kommt. Auf diesen Huldigungsgestus folgt nun das Prinzip der Multiperspektiven: Politik und Wirtschaftsgeschichte, Kunstgeschichte, Provenienzforschung sollen sich mit den Geschichten der Vorbesitzer verschränken.
Die neue Direktorin Ann Demeester entschied sich für die ungewöhnliche Präsentation nach Erwerbungsjahren. Im Neubau werden jetzt Alte Meister und Venedig-Ansichten von Canaletto neben Bildern von Paul Cézanne, Amedeo Modigliani oder Vincent van Gogh gezeigt. Dazwischen gestreut sind gotische Skulpturen und Wandtexte.
Letztere erklären einerseits, woher das sagenhafte Vermögen Bührles stammt: aus dem Rüstungsgeschäft mit allen Kriegsparteien und aus Zwangsarbeit. Andererseits beleuchten Texttafeln neben einigen ausgewählten Meisterwerken die Geschichte von deren jüdischen Vorbesitzern und ihr Schicksal unter den Nationalsozialisten.
Am deutlichsten ausgebreitet wird die Geschichte der Sammlerfamilie vor Bührle im ersten Saal mit Renoirs Porträt der jungen „Irène Cahen d’Anvers“ von 1880. 1941 raubt der „Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg“ das Auftragsbildnis aus dem Besitz der jüdischen Familie. Nach dem Krieg erhält es die Dargestellte wieder zurück. Doch ihre Tochter, ihr Schwiegersohn und deren Kinder sind im Holocaust ermordet worden. Sie verkauft das Bild 1949 über einen Schweizer Künstler an Emil Bührle.
Dem sechsköpfigen Beirat war der punktuelle Blick auf jüdische Vorbesitzer nicht genug. Er trat noch vor der Eröffnung geschlossen zurück. Auf der Eröffnungspressekonferenz sagte seine Sprecherin Stefanie Mahrer: „Emil Bührle ist zu dominant in der Präsentation. Die einstigen Eigentümer werden ein zweites Mal vergessen. Die genozidale Dimension fehlt.“
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Der Beirat hätte sich gewünscht, dass die früheren Sammlerinnen und Sammler in der Breite deutlicher aufscheinen. Auch hätte das Reinwaschen mit Kunst und der sensationelle Aufstieg von Emil Bührle in der Züricher Kunstgesellschaft sowie das Verhalten der Schweiz stärker reflektiert werden sollen.

Ann Demeester hält dagegen. Die Schau „Eine Zukunft für die Vergangenheit. Sammlung Bührle: Kunst, Kontext, Krieg und Konflikt“ sei Teil eins einer sich dynamisch verändernden Ausstellung in drei Teilen. Im Frühling 2024 folge ein Rahmenprogramm. Für Sommer 2024 werden neue Erkenntnisse zur Herkunftsgeschichte erwartet. Da will der Historiker Raphael Gross die Revision der Provenienzforschung vorlegen.





