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Raubkunst in der DDRWie der DDR-Staat seine Bürger um ihren Kunstbesitz brachte und ihn gegen Devisen in den Westen verkaufte

In deutschen Museen befindet sich weit mehr DDR- als NS-Raubkunst. Politik und Museen sind aufgerufen, nach gerechten Lösungen für die Opfer zu streben.Christiane Fricke 08.01.2021 - 19:46 Uhr aktualisiert Artikel anhören

Die in diesem Verkaufsraum arrangierten Antiquitäten waren für den Export in den Westen bestimmt.

Foto: Bundesarchiv

Düsseldorf. Der Kunstraub der Nationalsozialisten ist zwar längst nicht aufgearbeitet. Aber zumindest die öffentlichen Institutionen wissen, was sie zu tun haben. Denn sie bekamen es 1998 von der Politik in Form der „Washingtoner Erklärung“ ins Buch geschrieben. Die Selbstverpflichtung nämlich, dass sie Nazi-Raubkunst identifizieren und so rasch wie möglich restituieren.

Für die Profiteure der räuberischen Aktivitäten, die zwischen 1945 und 1989 die ostdeutschen Bürger um ihre Kunstbestände brachten, gilt das mitnichten. Noch ist wenig aufgearbeitet. Die Fristen für Anspruchsteller sind längst abgelaufen. Es ist gerade einmal die Grundlagenforschung angestoßen, die Museen, in die ein Teil des Raubguts gelangte, halten großenteils still, und im Westen ist das Thema noch gar nicht angekommen. Zu diesem Ergebnis kam das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste (DZK) in seiner Herbsttagung über den Kulturgutentzug und Handel in der DDR durch die sogenannten volkseigenen Betriebe (VEB).

Eine Vorstellung über den Handlungsbedarf gibt Ulrike Lorenz, Präsidentin der Klassik Stiftung Weimar. Sie kommt für die Zeit unter der Sowjetischen Militäradministration 1945 bis 1949 und für die DDR von 1949 bis 1990 auf „das Neunfache von Erwerbungen gegenüber der NS-Zeit“, die auf ihre Provenienz geprüft werden müssten. Das beträfe allein in der Stiftung 290.000 Kunstobjekte, Bücher und Archivalien.

Die Raubzüge beginnen bereits 1945/46 mit der Bodenreform. Im Rahmen der sogenannten „Schlossbergung“ werden alle Schlösser und Gutshäuser enteignet und geräumt, der Besitz Museen übergeben oder deponiert. Der Staat nimmt auch die Hinterlassenschaften der „Republikflüchtlinge“ an sich. Und er beginnt auch gleich mit den gehorteten Gegenständen zu handeln; in Dresden etwa von einem eigens an der Albertina eingerichteten Büro aus.

Um an harte Währung zu kommen, lässt sich das Regime einiges einfallen. Es schickt mit Bargeld ausgerüstete Aufkäufer auf die Straße, um den Menschen Kunst abzukaufen. Doch das reicht nicht.

1962 lässt das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) in der „Aktion Licht“ heimlich Panzerschränke, Wertpapierdepots oder Schließfächer in Banken, Behörden, Warenhäusern und auch Privathaushalten öffnen, um mit den Wertgegenständen Devisen zu erwirtschaften. Auf 4,1 Millionen DM taxiert die Stasi damals den Gesamtwert der Beute. In vielen Fällen waren die einstigen Besitzer jüdische Mitbürger.

Von hier gingen ganze Lkw-Ladungen voller Kunst und Kulturgut in den Westen.

Foto: Bundesarchiv

Wer nach dem Bau der Mauer einen Ausreiseantrag stellt, muss Wertvolles zurücklassen. Das Regime argumentiert mit dem DDR-Kulturgutschutzgesetz, verkauft die Sachen jedoch dann weiter in den Westen. Seit 1963 werden auch Museen in die Pflicht genommen. Sie sollen entbehrliche Gegenstände für den Verkauf durch den staatlichen Kunsthandel zur Verfügung stellen. Einige wehren sich, andere kooperieren wie die Moritzburg in Halle, wie der Kulturhistoriker Jan Scheunemann herausfand.

Professionalisiert wird das Devisengeschäft mit der Kunst erst 1973, als mit der „Kunst und Antiquitäten GmbH“ (KuA) ein zentraler Außenhandelsbetrieb den Export übernimmt. Er ist Teil des Firmenkonglomerats „Kommerzielle Koordinierung“ (KoKo) unter Alexander Schalck-Golodkowski. Rund 400 Millionen DM werden hier bis 1989 erwirtschaftet.

Abtransport per Lkw in den Westen

Bernd Isphording, der für das Bundesarchiv die Akten ausgewertet hat, schildert, wie ganze Lkw-Ladungen nun vom Depot in Mühlenbeck über die Grenze gehen, um im westlichen Kunsthandel dankbare Abnehmer zu finden, vor allem in der Bundesrepublik, Belgien und den Niederlanden.

Sehr wertvolle Kunstgegenstände werden von Strohmännern auch im internationalen Auktionshandel eingeliefert. Bei Koller soll etwa 1983 über die Tarnfirma Intrac ein Gemälde von Wilhelm Riefstahl eingeliefert werden, ein Deal, der jedoch nicht zustande kommt. Aus dem archivierten Schriftsatz geht auch hervor, dass das Gemälde zusammen mit einem weiteren Bild und Möbeln schließlich gegen zwei Volvo-Limousinen getauscht wurde. Ein sogenanntes Autotauschgeschäft.

Das von den französischen Behörden als Raubkunst deklarierte Stück wurde 1941 an die Reichsbank verkauft, 1952 dem Märkischen Museum in Berlin zugeteilt und schließlich bei Christie’s 1986 und 1997 versteigert.

Foto: Christie's Katalog

„Von Anfang an war die Beschaffung von Waren das Grundproblem der KuA“, beschreibt Isphording die Arbeitsbedingungen. Denn schon vor 1973 hatten die aufeinanderfolgenden Unternehmen des staatlichen Kunsthandels für westliche Händler „begleitete Einkaufstouren“ durch die Antiquitätengeschäfte der DDR organisiert. Kein Wunder, dass die Preise unter Druck geraten.

Da der Nachschub knapp wird, nehmen die Devisenjäger die Sammler in den Blick. Sie werden zu Steuerschuldnern gemacht, indem ihnen auf der Basis des stark gestiegenen Zeitwerts horrende Forderungen in Rechnung gestellt werden. Die Kunst geben sie dann an Zahlungs statt.

Langer Rechtsstreit im Fall Dietel

So geschehen in den Siebzigerjahren im Fall des Erfurter Sammlers Heinz Dietel, den der Berliner Rechtsanwalt Ulf Bischof vertrat. Eine Million Ostmarkt lautete die Forderung der Finanzbehörde. Über zehn Jahre kämpfte Bischof im Namen des Dietel-Sohnes, bis es 2014 zu einer Einigung mit dem Erfurter Anger Museum kam. Das hatte den Teil der nicht ins Ausland abgesetzten Sammlung einst übernommen.

Was ins Ausland verkauft wurde, gerät in den meisten Fällen aus dem Blick. So wie jene von Guillaume Beneman gestaltete Empire-Kommode, die 1941 von Paris an die Reichsbank verkauft und 1952 vom DDR Finanzministerium an das Märkische Museum überwiesen wurde. Danach verliert sich die Spur des Möbels, bis die Provenienzforscherin Margaux Dumas sie bei Christie’s entdeckt. Im Museum fand sich nur noch die stark beschädigte marmorne Abdeckplatte.

Die Kommode wurde zweimal versteigert, zuletzt im Oktober 1997 für 937.500 Dollar als Eigentum der amerikanischen Kunstsammlerin Nancy Richardson. Die Kunstwissenschaftlerin Xenia Schiemann vermutet die KuA hinter dem Verkauf. Aber bereits der Verkauf in Paris wirft Fragen auf, da die französischen Behörden das Möbelstück als Raubgut in ihre Listen eintrugen.

Die Unterseite der originalen Marmorplatte, die sich einst auf der Kommode befand. Die Platte wurde beschädigt und nicht mitverkauft. Das ist alles, was von der Beneman-Kommode im Märkischen Museum übrig geblieben ist. Die Abkürzung Rb rechts unten steht für die Reichsbank; einer der Vorbesitzer.

Foto: Xenia Schiemann

Nicht nur der Fall der Beneman-Kommode zeigt: Ohne westliche Marktteilnehmer hätte es keinen Handel mit Raubkunst gegen Devisen gegeben. Auch hier muss Forschung ansetzen.

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Schlechte Karten haben die Opfer, die es verpassten, bis 1993 Ansprüche zu stellen. Die Crux ist, dass sich die Politik bislang nicht dazu durchringen konnte, so etwas wie eine Washingtoner Erklärung auch für die DDR-Raubkunst zu beschließen. Das würde zumindest öffentliche Museen in die Pflicht nehmen.

„Ideal wäre jedoch, wenn sie aktiv von sich aus nach fairen und gerechten Lösungen streben und Provenienzforschung betreiben“, sagt Ulf Bischof. Danach sieht es aber nicht aus, wenn man einmal von den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden absieht, die ihre Provenienzforschung nicht nur auf die NS-Zeit beschränken. Die meisten Häuser warten, auf die Rechtslage verweisend, auf ein Zeichen aus der Politik.

Mehr: Raubkunst: Das Museum Georg Schäfer steht unter Druck

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