Zehn Jahresjubiläum Programmaufbau, Sammlerpflege, Künstlerförderung: So stellt eine Galeristin die Weichen für die Zukunft

Das Gemälde erinnert an lichtgetränkte universelle Formen (Ausschnitt aus einem Hochformat).
Berlin Es ist schon etwas Besonderes, eine zehnjährige Galeriearbeit mit einer Ausstellung zu krönen, in der sich Rückblick und Ausblick ergänzen. Wo andere Galerien fluktuierende Künstlertreue dokumentieren, beweist Tanja Wagner Kontinuität. Die Berliner Galeristin kann mit ihrer Jubiläumsschau alle zehn Exponenten ihres Programms mit neuen Werken Revue passieren lassen: neun international erfolgreiche Künstlerinnen und ein Künstler. Der Titel „How to Human“ beschreibt die Problematik, Mensch zu sein in einer Welt, die verstört und entpersönlicht.
Der hohe weibliche Anteil ist keinem feministischen Ansatz geschuldet. Der Galeristin geht es darum, „mit einer anderen Sichtweise, die ich brauche, gesellschaftlich relevante Themen anzusprechen. Themen, die sich durch eine bestimmte Ästhetik ausdrücken, Sensibilität und Intimität ausstrahlen“.
Wagner hatte nach Praktika in Paris und New York fünf Jahre lang in der Galerie Hetzler Sammler betreut und Praxis als Ausstellungsmacherin gewonnen, bevor sie sich 2011 selbständig machte.
Im Fenster der Galerie hängt zum Jubiläum ein Werk der Bosnierin Sejla Kameric, mit der die Galerie eröffnet wurde und von der damals gleich eine Arbeit von der Tate Modern angekauft wurde. „Refugees will come“ steht da in Großlettern mit blinkendem „ill“: Ein knapper und schlagkräftiger Kommentar zur Flüchtlingspolitik, der schon viel Aufmerksamkeit von Passanten weckte.
Fast elegant wirkt dagegen eine Wandarbeit der in Kanada geborenen Kapwani Kiwanga. Die ausgebildete Anthropologin setzt sich mit der afrikanischen Unabhängigkeit auseinander. Dafür hängt sie Sisalschnüre in Stahlschlaufen. Was graphisch wirkt, ist politisch aufgeladen. Die Naturfasern aus Agaven wurden illegal aus Tansania ausgeführt, um den staatlichen Export zu umgehen.

„Refugees will Come“ ist ein knapper und schlagkräftiger Kommentar zur Flüchtlingspolitik. Das Werk weckte schon viel Aufmerksamkeit von Passanten.
Mit der Bildpräsenz des Wortes arbeitet die Libanesin Annabel Daou. Sie zeigt in einem ausgestanzten Wortbild Kraftausdrücke, die einen an Aktionen gekoppelten Sprachverlust geißeln. Jede von Wagners Stammkünstlerinnen ist ein Solitär. Sie packen den Betrachter aus formalen oder inhaltlichen Gründen.
So bieten die Fotoarbeiten der in London lebenden Schwedin Lina Scheynius intime Ansichten ihres während des Lockdowns zerwühlten Bettes. Relikt einer Perfomance ist hingegen das Foto eines Sehnsuchtsorts, auf das die Texanerin Laurel Nakadate mit Fingerprints und Lippenstiftabdruck Spuren einer nostalgischen Attacke gesetzt hat.
Hommage an die Gastarbeiter
Die Polin Angelika J. Trojnarski wiederum pflegt in ihren abstrakt anmutenden Gemälden das Transitorische: in den zwei ausgestellten Arbeiten, die isländische Naturphänomene rekapitulieren, werden und schwinden Formen zugleich. Mit glühenden Farben arbeitet Grit Richter, deren Gemälde lichtgetränkte universelle Formen in abstrahierender Figuration zeigen. Die Bilder lassen erahnen, dass sich die Künstlerin auch mit experimenteller elektronischer Musik befasst.
Der Berliner Ulf Aminde, der einzige Mann im Galerieprogramm, ist mit einer Videoarbeit vertreten. Sie ist eine Hommage an die Gastarbeiter der sechziger Jahre, die für die deutsche Wirtschaft unverzichtbar waren.
Auf den Kunststandort Berlin angesprochen, betont die Galeristin, dass sie die Weite der Stadt schätzt, aber: „Es gibt viel Kollegen und wenig Markt“. Immerhin hat sie es in zehn Jahren, in denen es wie bei vielen Junggaleristen nach den ersten drei Jahren auch eine Durststrecke gab, geschafft, zum Club der wichtigsten fünfzig bis sechzig Berliner Galerien zu gehören. Sie richten das Gallery Weekend aus und erscheinen in der gemeinsamen Werbung.
„Ins Risiko gehen“ war Teil der Galeriearbeit. Bei Messebeteiligungen hat sie am meisten von der Londoner Frieze profitiert, die ihr neue internationale Kunden zugeführt haben und einen breiten Verkaufserfolg bescherten. Eine vernünftige Preispolitik, die auch die Exponate der Jubiläumsschau mit einem Spektrum von 7500 bis 19.000 Euro erfasst, fördert den Absatz.
Strategisches Umdenken in der Pandemie
Die Pandemie war eine Herausforderung und hat die Galeristin zu marktstrategischem Umdenken motiviert: „Ich vermisse den physischen Kontakt zu Sammlern, die intensive Betreuung“. Jetzt lässt sich die Ausstellung in einem Viewing Room durchwandern. Die Präsenz auf Facebook und Instagram weckt das Interesse neuer Sammler.
Als Antwort auf den ersten Lockdown im Frühjahr initiierte Tanja Wagner ein Online-Programm mit Performance und Interviews ihrer Künstlerinnen. Zusätzlich realisierte sie eine Editionsreihe, in der Pigment-Prints ihrer Künstler*innen in jeweils gleichem Format, zu gleichem Preis (500 Euro) und in gleich hoher Auflage (50 Exemplare) angeboten werden. So sind die Weichen gestellt, auch in einer kontaktarmen Zeit die Ziele authentischer Galeriearbeit zu erfüllen: Programmaufbau, Sammlerpflege, Künstlerförderung.
Die Ausstellung über die entmenschlichte Welt ist unter Einhaltung der Hygiene-Regeln bis 14. Februar zu besichtigen.
Mehr: Kunsthandlung J.P. Schneider: Was eine fast 200 Jahre alte Galerie im Programm hat
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.