Zeitgenössische Kunst: Kaufrausch in Torschlusspanik: Rückblick auf die Auktionen in London

Das Los, das Sotheby’s in seiner „Now“-Auktion anbot, schnellte in wenigen Minuten von geschätzten 60.000 bis 80.000 Pfund auf 529.000 Pfund hoch (Ausschnitt aus einem Hochformat).
London. Die Ergebnisse der Auktionen für zeitgenössische Kunst in London in der letzten Woche waren so gut, dass man dachte, die Welt wäre heil; niemand müsste sich um irgend etwas Sorgen machen. Sie erinnerten an eines der Paralleluniversen, die jetzt in Kinofilmen so häufig vorkommen.
Christie’s legte eine Abendauktion vor, in der alle 47 Lose verkauft wurden. Der Umsatz lag bei 72,5 Millionen Pfund. Sotheby’s spielte mit nur 48 Losen knapp 100 Millionen Pfund ein und erzielte das beste Ergebnis in einer Auktion dieser Kategorie im Londoner Herbst seit 2015.
Mindestens ebenso beindruckend waren die Ergebnisse der Tagesauktionen, die tendenziell den Markt besser repräsentieren. Hier lag die Verkaufsrate bei beiden Häusern um die 90 Prozent, mit Ergebnissen über den Vorabschätzungen.
Exemplarisch für das auch finanzielle Interesse an einer heilen Welt mag die Leinwand der jungen Caroline Walker stehen. „Indoor Outdoor“ (2015) zeigt den Blick in ein gepflegtes Wohnzimmer in Anklang an Palm Springs, in dem sich eine Frau auf dem Sofa ausruht – komplettiert mit Kunst an den Wänden. Der Andrang auf das Los, das Sotheby’s in seiner „Now“-Auktion anbot, war so groß, dass die Arbeit von geschätzten 60.000 bis 80.000 Pfund in wenigen Minuten auf 529.000 Pfund hochschnellte.
Vorbei ist die Zeit der auch mal kritischen Porträts vor allem von schwarzamerikanischen Künstlern. Sammler holen sich entweder die heile Welt oder semi-abstrakte Landschaften in ihre Häuser. Das konnte man ebenso bei Christie’s und Phillips sehen.
Arbeiten von Künstlerinnen wie Flora Yukhnovich und Jadé Fadojutimi, aber auch neue Favoriten wie Julien Nguyen, Louise Giovanelli und Charlene von Heyl spielten in allen Häusern gute und teilweise Weltrekord-Preise ein. Die Atmosphäre war durchweg hektisch, als gäbe es eine große Dringlichkeit, diese neue Kunst zu besitzen. Wer weiß, vielleicht ist es morgen schon zu spät? Entweder weil die Kunst vergeben ist, oder niemand mehr Geld oder Muße hat.

Erwartet waren für das Werk der angesagten jungen Künstlerin bereits bis zu 400.000 Pfund, erlöst wurden 554.400 Pfund.
Aber auch im hochpreisigen Segment der Spitzenwerke wurden gute Preise erzielt, wenn die Arbeiten ausgezeichnete Provenienz und Marktfrische mitbrachten. Dann gingen auch nicht nur Trophäen gut weg, wie David Hockney oder Francis Bacon, sondern auch schwierigere, aber kunstgeschichtlich bedeutsame Arbeiten, wie eine frühe Fotoarbeit von Cindy Sherman oder eine sperrige Skulptur von Isa Genzken – beide bei Sotheby‘s.
Dieser Markt wurde vor allem von Bietern aus Europa und den Vereinigten Staaten gestützt. Asiaten boten zwar mit, aber waren weniger aktiv. Christie’s berichtet, dass 62 Prozent der Arbeiten nach Europa, dem Mittleren Osten und Afrika (EMEA) verkauft wurden. 15 Prozent gingen nach Amerika und 23 Prozent in den asiatisch-pazifischen Raum.
Tessa Lord von Christie’s nennt auf Nachfrage den Grund: London sei nicht nur ein globaler, sondern immer noch ein europäischer Knotenpunkt. Vor allem die Frieze-Woche ziehe Sammler an, die in London präsent sind.
Sotheby’s hatte das Glück, mit dem Launch der Joel und Sherry Mallin-Sammlung den Auftakt eines Verkaufsmarathons von über 1000 Objekten zu machen. Sie werden in den nächsten Jahren vor allem in den USA auf den Markt kommen.
Die ersten zehn angebotenen Lose brachten 12,4 Millionen Pfund, darunter gute Preise für Skulpturen von Louise Bourgeois und Juan Munoz. Bei Christie’s wie auch bei Sotheby’s stand wieder Gerhard Richter im Rampenlicht. „192 Farben“ von 1966, das erste abstrakte Bild Richters, kam für 13 bis 18 Millionen Pfund auf den Markt und spielte 18,3 Millionen Pfund bei Sotheby’s ein. Die „Kleine Wolkenstudie (grün-blau)“ von 1971 brachte bei Christie’s 11,2 Millionen Pfund. Geschätzt war sie auf 6 bis 8 Millionen Pfund.

Das Gemälde von 1971 brachte bei Christie’s 11,2 Millionen Pfund. Geschätzt war es auf 6 bis 8 Millionen Pfund.
Aber es gab auch negative Trends. Die Zeit für Banksy ist wohl vorbei. Keines der angebotenen Bilder erzielte mehr als das Minimumgebot.
Christie’s nahm das Risiko auf sich, 78 Werke zeitgenössischer afrikanischer Kunst aus einer einzigen Sammlung anzubieten. Die Sina Jina Sammlung von Robert Devereux sollte von dem Londoner Interesse profitieren, lag die Auktion doch zeitgleich zur Spezialmesse 1:54. Aber 38 Prozent der Arbeiten blieben unverkauft. Das war doch einfach zu viel für einen Markt, der sich zwar etabliert hat, aber der noch nicht genug Breite bietet, um ganze Auktionen zu stützen. Viele Künstler sind dem breiteren Publikum nicht bekannt.
Christie’s und auch Sotheby’s haben genug Vertrauen in die Wiederaufnahme „normaler“ Abläufe, dass sie die parallelen Live-Verbindungen zu Büros in New York und Hongkong aufgegeben haben. Alle Kundenvertreter waren in London anwesend und an den Telefonen aktiv.
Online-Gebote waren vorhanden; aber nur bei Phillips waren sie signifikant. Die Rechnung ging auf, wieder auf persönliche Kontakte zu setzen. Der Londoner Direktor von Skarstedt, Martin Klosterfelde, bewertet den Markt dem Handelsblatt gegenüber. „Die Auktionsergebnisse der Woche sind sehr beeindruckend, wenn wir bedenken, was gerade in der Welt passiert. Qualität setzt sich immer durch und findet den richtigen Käufer der globalen Käuferschaft“.

In den nächsten Monaten wird man jedoch genau verfolgen müssen, ob hier lediglich reiche Sammler aktiv sind, die unbeeindruckt von Krieg und Krisen kaufen, solange es nur genug attraktive Kunst als Anlageobjekte gibt.







