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GastkommentarDie Idee vom Wandel durch Handel ist gescheitert – Plädoyer für eine neue China-Politik

Die Bundesregierung sollte den bisherigen Kurs gegenüber Peking aufgeben und die Volksrepublik vor allem als Wettbewerber betrachten, rät Sebastian Biba. 04.01.2022 - 04:00 Uhr Artikel anhören

Chinas Präsident bei seiner Neujahrsansprache.

Foto: dpa

Noch bevor die neue Bundesregierung Anfang Dezember ihre Arbeit aufnahm, wurde sie schon vielfach aufgefordert, ihre Chinapolitik zu ändern. Die Forderungen erscheinen durchaus berechtigt, denn wie sich gezeigt hat, ist die Idee von demokratischem Wandel durch Handel mit Blick auf die Volksrepublik längst gescheitert. Staats- und Parteichef Xi Jinping verwandelt das Riesenreich stattdessen seit seinem Amtsantritt 2012 zunehmend in ein Regime, geprägt von umfassender digitaler Überwachung der Bevölkerung.

Nur: Wie müsste eine sinnvolle Neuausrichtung aussehen, damit sie deutsche und europäische Interessen tatsächlich schützt beziehungsweise fördert? Offiziell betrachten Deutschland und die Europäische Union China zugleich als Partner, Wettbewerber und Systemrivalen. Diese Dreiteilung erschwert allerdings eine kohärente Chinapolitik „aus einem Guss“ und erhöht die Gefahr, dass verschiedene Bundesministerien getrennt voneinander ihre jeweils eigene politische Linie verfolgen.

China hat außerdem klargemacht, als Systemrivale wolle und werde man nicht zugleich Partner sein. Mit anderen Worten: Man täte hierzulande gut daran, sich zu fokussieren. Aber worauf?

Für die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel stand der Aspekt pragmatischer Partnerschaft immer deutlich im Vordergrund ihrer Chinapolitik. Doch während man in Peking noch auf eine Fortführung dieses Ansatzes hofft, stößt er zusehends an seine Grenzen.

Auch wenn Xi Jinping Olaf Scholz demonstrativ als erstes ausländisches Staatsoberhaupt zur Kanzlerschaft gratulierte, erscheint es kaum vorstellbar, dass die Ampelkoalition mit der grünen Außenministerin Annalena Baerbock wirtschaftlichen Interessen etwa der deutschen Automobilindustrie weiterhin nahezu uneingeschränkt Vorrang vor wertegeleiteten Zielen einräumen wird – zumal sich inzwischen selbst Teile der deutschen Wirtschaft, namentlich der Bundesverband der Deutschen Industrie, bei Umweltschutz und Menschenrechten zu roten Linien im Umgang mit autoritären Staaten bekannt haben.

Kann Deutschland an seinem Sonderweg festhalten?

Hinzu kommt: Deutschlands wichtigste Verbündete haben sich faktisch bereits recht deutlich von der Vorstellung einer Partnerschaft mit China verabschiedet. Innerhalb der EU und insbesondere im Europäischen Parlament ist das Verhältnis zu China merklich abgekühlt, seit Brüssel und Peking im Frühjahr 2021 gegenseitige Sanktionen verhängt haben.

Die USA – zuerst unter Präsident Donald Trump, nun auch unter seinem Nachfolger Joe Biden – setzen schon länger auf einen eher konfrontativen Kurs gegenüber China. Kann Deutschland vor diesem Hintergrund überhaupt noch an seinem Sonderweg festhalten?

Foto: Handelsblatt

Nicht zuletzt tut Chinas eigenes Verhalten sein Übriges – von anhaltenden Menschenrechtsverletzungen vor allem gegenüber der muslimischen Minderheit der Uiguren im Inneren bis zum zunehmend aggressiven Auftreten nach außen, insbesondere den militärischen Drohungen gegenüber Taiwan und den massiven territorialen Ansprüchen im Südchinesischen Meer. Darüber hinaus stoßen im wirtschaftlichen Bereich, dem Herzstück der deutsch-chinesischen Beziehungen, hiesige Wünsche etwa nach Chancengleichheit bei Investitionen in der Volksrepublik seit Langem auf taube Ohren.

Tatsächlich scheint China inzwischen sogar eine gewisse wirtschaftliche Entkopplung vom Westen zu erwägen. Die Partnerschaftsidee gilt offiziell dennoch bis heute, besonders weil globale Herausforderungen wie Klimawandel, Pandemien und Nichtverbreitung von Atomwaffen ohne China nicht zu bewältigen sind. Dabei wird in Deutschland und der EU jedoch gern verkannt, dass Chinas Handeln auch in globalen Fragen ausschließlich von seinen eigenen nationalen Interessen geleitet ist.

Andererseits: Sind die immer lauter artikulierten Forderungen, Deutschland müsse mit Blick auf China eine scharfe Kehrtwende in Richtung ideologische Systemrivalität vollziehen, wirklich zielführend? Wohl kaum. Denn der Terminus „Systemrivale“ deutet letztlich darauf hin, Peking zum Feind zu stilisieren. Das aber widerspräche deutschen und europäischen Interessen. Denn so würde die Lösung globaler Probleme in noch weitere Ferne rücken.

Die Bundesrepublik sollte nicht zwischen alle Stühle geraten

Auch geopolitisch ergäbe diese Strategie wenig Sinn. In Zeiten, in denen Russland wieder intensiv mit dem Säbel rasselt und Amerikas Verlässlichkeit als Sicherheitsgarant ziemlich unsicher erscheint – man denke nur an eine mögliche Wiederwahl Donald Trumps –, können sich Deutschland und die gesamte EU keine Feindschaft mit China erlauben, wollen sie nicht zwischen alle Stühle geraten.

Bliebe neben Partner und Systemrivale also als Mittelweg der derzeit kaum diskutierte Ansatz des Wettbewerbers, wobei der Begriff breit gefasst sein müsste: Er sollte einerseits eine klare wertebasierte Abgrenzung von China erlauben, andererseits aber im eigenen Interesse auch die Tür für bi- und multilaterale Kooperation mit der Volksrepublik offen halten.

So betrachtet, wäre „Wettbewerb“ weder naiv noch allzu konfrontativ besetzt. Stattdessen böte dieser Mittelweg eine solide Basis für eine sachliche und inhaltliche Auseinandersetzung mit den Chancen und Risiken unseres Umgangs mit Peking.

Während in der Einschätzung Chinas als Systemrivale überdies eine gehörige Portion Angst mitschwingt, impliziert der Begriff Wettbewerb Vertrauen in die eigene Stärke Deutschlands und der Europäischen Union. Deutschland könnte so der in der Bevölkerung verbreiteten Stimmung Rechnung tragen, gegenüber China künftig härter aufzutreten, als es in der Ära Merkel der Fall war.

Gleichzeitig könnte die Bundesrepublik einen wichtigen Schritt auf ihre europäischen Partner und die USA zugehen, die Merkels wohlwollender Chinapolitik mit immer größerem Befremden begegneten. Womöglich würde Deutschland mit einer solchen Neuausrichtung seiner Chinapolitik sogar einen einheitlicheren gesamteuropäischen Ansatz ermöglichen, der wiederum auch in den USA auf mehr Interesse stoßen könnte. In jedem Fall würden die Brücken zu Peking nicht eingerissen, was angesichts der wachsenden geoökonomischen und geopolitischen Rolle Chinas auch unangemessen wäre.

Leitprinzip einer neuen Chinapolitik

Mit dem „Build Back Better World“-Plan der US-Regierung, der „Clean Green Initiative“ Großbritanniens und dem „Global Gateway“ der Europäischen Union werden derzeit gleich drei verschiedene globale Infrastrukturprogramme auf den Weg gebracht, um Chinas gigantischer Initiative „Neue Seidenstraße“ etwas entgegenzusetzen. Hier scheint sich der Grundsatz von mehr Wettbewerb mit China bereits durchgesetzt zu haben.

Verwandte Themen Deutschland Außenpolitik Wirtschaftspolitik

Entsprechend sollte sich auch die neue Bundesregierung besser heute als morgen von dem Dreiklang Partner, Wettbewerber, Systemrivale lösen. Sie sollte insbesondere die Vorstellung von China als Wettbewerber über den bisherigen Fokus auf den wirtschaftlichen Bereich hinaus ausweiten – und den Gedanken zum Leitprinzip ihrer neuen deutschen Chinapolitik erheben.

Der Autor: Sebastian Biba ist China-Wissenschaftler am Institut für Politikwissenschaft der Goethe-Universität Frankfurt.

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