Gastkommentar – Homo oeconomicus Für den ökologischen Umbau braucht es einen risikofreudigen und steuernden Staat

Moritz Schularick ist Ökonomieprofessor an der Universität Bonn und Direktor des MacroFinance Lab.
In der Corona-Pandemie haben wir viel gelernt. Etwa wie wichtig ein funktionierender Staat ist, der auf der Höhe der technischen und organisatorischen Möglichkeiten eine Pandemie managen kann. Aber auch, wie weit Deutschland davon entfernt ist und wie sehr Bürokratisierung und Regelungswut einen großen Staat zu einem schwachen Staat gemacht haben.
Das Land hat in den letzten Jahren der Ära von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) irgendwie den Anschluss verpasst: bei der Digitalisierung und den Mobilfunknetzen, in der Verwaltung, bei der Bahn und der öffentlichen Infrastruktur sowieso. Es ächzt gewaltig im Gebälk des Staatswesens.
Der Zeitpunkt der schwindenden staatlichen Leistungsfähigkeit ist denkbar ungünstig. Denn die Entzauberung des Staates kommt in einem Moment, in dem wir ihn für die ökologische Transformation mehr brauchen als je zuvor.
Wir brauchen ihn nicht als großen und bevormundenden Fürsorgestaat, aber sehr wohl als vorausschauenden, steuernden und risikofreudigen Staat, der den komplexen ökologischen Umbau der Volkswirtschaft lenkt und die sozialen Konsequenzen abfedert.
Wir brauchen einen Staat, der als Wagniskapitalist Risiken eingeht und neue Technologien fördert, mit denen wir die Erderwärmung und ihre Konsequenzen bekämpfen können. Zurzeit scheitern wir bekanntlich schon am Einbau von Lüftern in Klassenzimmern oder an Warn-SMS im Katastrophenschutz.
Rund 2,4 Billionen Euro will Europa für den grünen Umbau der Wirtschaft im nächsten Jahrzehnt in die Hand nehmen. Das ist eine Menge Geld, das man besser oder schlechter ausgeben kann. Länder, die diesen Umbau effizienter hinbekommen, werden Wettbewerbsvorteile in der Ökonomie von morgen haben.
Lernen aus dem 19. Jahrhundert
Das war auch schon in der ersten großen Transformation so. In der industriellen Revolution des 19. Jahrhunderts waren Länder erfolgreicher, die über eine höhere „Staatskapazität“ verfügten. Sie schafften es, den Aufbau der Infrastruktur für die neuen Industrien voranzutreiben und für die Wachstumsbranchen Ingenieure und Techniker auszubilden.
Die großen Erfolge der deutschen Industrie im 19. Jahrhundert wären ohne die komplementären Investitionen in die schulische und technische Ausbildung unmöglich gewesen. Aber auch Grundlagenforschung, Städtebau und Verkehrsplanung gehörten zum Industrialisierungspaket.
Im 19. Jahrhundert schaute die Welt mit Bewunderung darauf, wie die Verwaltung in Preußen und anderen deutschen Staaten diese Aufgaben meisterte. Damals war staatliche Leistungsfähigkeit ein Wettbewerbsvorteil im Rennen um den industriellen Erfolg.
In der kommenden ökologischen Transformation wird es nicht anders sein. Investitionen in Staatskapazität versprechen auch heute eine hohe soziale Rendite.
Mehr: Chefökonom über den Klimaplan der EU: Es geht nur mit der Industrie.
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Wunderbar! Funktioniert aber nur, wenn der Staat auch eine kompetente Führung besitzt, die den Bürger auf dem Weg mitnehmen kann. Das ist die Voraussetzung, die ich aktuell nicht sehe. Ich sehe leider zu viel durch innerparteiliche Anhängigkeiten in Spitzenpositionen gehiefte Inkompetenz. Parteikarriere zählt mehr als Kompetenz bei der aktuellen Besetzung der Ämter. Das ist ein riesiger Fehler. Die wirklich Kompetenten haben in aller Regel wenig Lust, sich innerhalb der Machtränke von Parteien nach oben wählen zu lassen. Das fängt in der Lokalpolitik an und endet in Berlin und Brüssel.
Schade...