Asia Techonomics: Milliardensummen erbeutet: Indiens Betrugsskandale erschüttern die Kryptowelt

In der wöchentlichen Kolumne schreiben Handelsblatt-Korrespondenten im Wechsel über Innovations- und Wirtschaftstrends in Asien.
Bangkok. Der Deal war ganz offensichtlich zu gut, um wahr zu sein. Trotzdem hatte Satish Kumbhani keine Probleme, gutgläubige Anleger zu finden. Durchschnittliche Renditen von einem Prozent pro Tag – oder 3700 Prozent jährlich – stellte der indische Kryptounternehmer auf seiner Plattform Bitconnect in Aussicht.
Am Höhepunkt des ersten großen Hypes um Digitalwährungen in den Jahren 2017 und 2018 sammelte er mit diesem Versprechen Bitcoin im Wert von 2,4 Milliarden US-Dollar ein. Es dauerte nur wenige Monate, bis das dahinterstehende Pyramidensystem kollabierte – und die Investoren ihr Geld verloren.
Ende Februar wurde Kumbhani, der Bitconnect wohl vom indischen Bundesstaat Gujarat aus lenkte, in den USA angeklagt. Ihm wird unter anderem Betrug, Preismanipulation und Geldwäsche vorgeworfen. Würde er in allen Punkten schuldig gesprochen werden, drohen ihm bis zu 70 Jahre Haft, teilte die US-Justiz mit.
Doch bei der juristischen Aufarbeitung gibt es ein Problem: Die Ermittler haben keine Ahnung, wo sich der 36-Jährige aufhält. Klar scheint aus Sicht der Wertpapieraufsicht SEC lediglich, dass Kumbhani seine Heimat Indien verlassen hat.
Der Fall wirft ein Schlaglicht auf den dunklen Teil von Indiens riesigem Tech-Sektor: Das Land, das für Konzerne rund um den Globus zum wichtigsten IT-Outsourcing-Partner geworden ist, nimmt auch eine Spitzenposition ein, wenn es um den weltweiten Onlinebetrug geht. Über Jahre dominierten dabei indische Callcenter-Betreiber, die mit diversen Betrugsmaschen am Telefon ihre Opfer dazu bringen, Geld zu überweisen.
Neues Betätigungsfeld für Kriminelle
Dabei hilft es, dass Verbraucher in vielen Ländern inzwischen gewohnt sind, bei Support-Hotlines mit indischen Callcenter-Mitarbeitern verbunden zu werden. Zwischen den vielen seriösen Anbietern können sich die unseriösen leicht verstecken.
Die Kryptoindustrie bietet den technisch versierten Kriminellen des Subkontinents nun ein neues Betätigungsfeld mit steigenden Gewinnchancen: Die 325.000 Bitcoins, die Kumbhani nach Angaben der US-Justiz eingesammelt hat, sind nach Kurs vom Mittwoch mehr als 13,5 Milliarden Dollar wert.

Immer wieder werden in Indien spektakuläre Betrugsfälle öffentlich.
Kumbhani hatte versprochen, die Einsätze vervielfachen zu können – mithilfe eines sogenannten Trading-Bots, der angeblich so programmiert gewesen sei, dass er bei den Schwankungen der Kryptomärkte zuverlässig Gewinne einfahren konnte. „Diese Behauptungen waren eine Täuschung“, kommentierten die US-Behörden trocken. Bisher konnte die Justiz aber erst einen kleinen Bruchteil der entwendeten Summe den Geschädigten zurückgeben.
Bitconnect war zwar der größte Kryptoskandal mit Ursprung in Indien, aber bei Weitem nicht der einzige. Unter dem Namen Gainbitcoin gelang es einem indischen Unternehmer nach Angaben der Justiz ebenfalls, Zehntausende Bitcoins mit einem heutigen Marktwert von mehreren Milliarden Dollar einzusammeln, indem er Anlegern außergewöhnlich hohe Renditen versprach.
Betrugsaffären untergraben das Vertrauen in Kryptowährungen
Der mutmaßliche Haupttäter, der sich auf Kaution in Freiheit befand, wurde vor wenigen Wochen als verstorben gemeldet. Anfang des Jahres führten indische Ermittler Razzien im Zusammenhang mit einem weiteren mutmaßlichen Kryptogroßbetrug durch, bei dem laut indischen Medien womöglich 1,1 Millionen Anleger hintergangen wurden. Sie wurden unter anderem mithilfe Prominenter angelockt, die auf Werbeevents auftraten.
Im Gegensatz zu Bitconnect trafen die jüngst bekannt gewordenen Betrugsfälle vor allem indische Anleger. Die Coronakrise hatte das Interesse an Kryptowährungen in Asiens drittgrößter Volkswirtschaft stark gesteigert. Vor allem junge Inder sahen in dem Versprechen schneller Gewinne mit Bitcoin und Co. eine Lösung für ihre wirtschaftlichen Probleme. Ihre Hoffnung machte sie für Kriminelle vielfach zu leichten Opfern.
Die Zunahme an Betrugsaffären untergräbt jedoch zunehmend das Vertrauen in die Branche. Dafür sorgen auch Indiens Behörden, die ihre Warnungen an die Verbraucher zuletzt verstärkten. Einer der wichtigsten Kryptowachstumsmärkte steht vor der Frage, wie viele Skandale er sich noch leisten kann.



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