Kommentar Gebt Gründern Aufträge statt Fördermittel

Künstliche Intelligenz im Einsatz in der Industrie: An einem Stand des Herstellers IBG auf der Hannover Messe gibt ein Mann einem Roboter die Hand.
Das Gejammer über fehlendes Wagniskapital in Deutschland und der ewige Vergleich mit Amerika ist müßig. Was die Menge des Finanzkapitals für Innovationen angeht, wird die Bundesrepublik den Vorsprung der USA noch lange Zeit und vielleicht nie einholen können. Jedenfalls werden Klagen der Industrie und hilflose Briefe der deutschen Regierungschefin nach Brüssel daran nichts ändern. Deutschland versucht, das Pferd – oder auch das Einhorn – immer noch von hinten aufzuzäumen.
Anders als oft postuliert wird, ist Wagniskapital keine Voraussetzung für Innovationskraft, sondern seine Folge. Es sind nicht die Millionen, die zum Aufbau großer Konzerne mobilisieren. Sondern der Glaube an große Unternehmen, der das Kapital mobilisiert. Doch genau daran fehlt es Deutschland.
Wenn in Deutschland über Start-ups gesprochen wird, könnte man oft meinen, es ginge um einen Schülerwettbewerb. Da wird das Wort Gründer synonym verwendet mit „junge Unternehmer“, als ginge es um eine Art Nachwuchskategorie. Während die etablierte Wirtschaft über Fachkräftemangel klagt, scheinen Start-ups immer nur auf der Suche nach „Talenten“ zu sein.
Vom Staat gibt es für Gründer „Stipendien“, vom Land „Förderprogramme", Unternehmen machen mit ihnen zusammen „Projekte“. Da grenzt es doch fast an ein Wunder, dass sich eine wachsende Anzahl von Start-up-Unternehmern in Deutschland selbst ernst nimmt.
Deutschland fehlt es an Ehrgeiz
Um es einmal klar zu sagen: Start-ups sind keine Frage des Alters, sondern der Ambition. Es geht um eine bestimmte Unternehmensform, bei der mit großer Risikobereitschaft eine starke Wachstumsstrategie verfolgt wird.
Was die USA tatsächlich beneidenswert besser machen als Deutschland, ist der Umgang mit ihren Start-ups. Sie sehen in ihnen schon die Konzerne von morgen und behandeln sie auch so. Das gilt für die etablierte Wirtschaft und den Finanzmarkt und auch für die Politik.
Wenn ein deutsches Software-Start-up heute seinen Hauptsitz oder seine Vertriebszentrale in die USA verlegt, ist das weniger eine Kapitalfrage als eine der Kunden: Amerikanische Konzerne sind für Unternehmen wie den Anbieter von Content-Management-Systemen Contentful und den Process-Mining-Spezialisten Celonis der wichtigste Absatzmarkt, während deutsche Unternehmen beim Thema Digitalisierung noch mit ihrer Grundskepsis ringen.
Wenn große Finanzierungsrunden nur mit US-Kapital gestemmt werden können, ist das in erster Linie kein Thema der Kapitalverfügbarkeit, sondern der Regulierung. Man kann Pensionsfonds, Versicherungen und auch Unternehmen den Zugang zu Start-up-Investments geben – wie in den USA. Oder diese lukrative Anlageklasse wie in Deutschland mit Warnhinweisen und Sicherheitsauflagen belegen, die Beteiligungen wieder unattraktiv machen.
Wenn US-Start-ups schließlich den Weltraum erobern, liegt das nicht allein an Superreichen wie Elon Musk, sondern an Millionen- und Milliardenaufträgen vom Staat, der sich verpflichtet, ihnen Großtaten zuzutrauen, statt bloß Spielgeld zum Üben zu gewähren. Von den Empfängern staatlicher Start-up-Förderungen in Deutschland hört man währenddessen, diese lägen weit unter dem Betrag, den sie im Jahr an Steuern zahlen müssen.
Ein Glück in diesem Unglück ist, dass eine neue Kategorie von Start-ups in Europa sich gegenseitig auf die Beine helfen kann. Die Anbieter von Software für kleine und mittelständische Unternehmen wachsen mit anderen Start-ups als Kunden – so erfolgreich, dass schließlich auch etablierte Unternehmen nachziehen. Das Milliarden-Start-up Mambu mit seiner Software für digitale Finanzdienstleister ist so ein Fall und auch das Münchener Einhorn Personio mit seiner HR-Software. Der Nächste könnte etwa der ERP-System-Spezialist Xentral sein.
Staat und Wirtschaft müssen Start-ups endlich ernst nehmen
Doch den so wichtigen Entwicklern von Schlüsseltechnologien hilft das alles nichts: Start-ups, die mit Anwendungen von Künstlicher Intelligenz (KI) in der Industrie groß werden wollen, Hersteller von autonomen Robotern und Drohnen, Entwickler von Quantencomputern sind darauf angewiesen, dass Konzerne und der Staat sie beauftragen, mit langfristigen Zusagen ihre Betriebsrisiken senken und als Referenzkunden helfen, das Vertrauen potenzieller Neukunden und auch von Finanzinvestoren zu gewinnen.
In der Praxis verweigern Unternehmen ihren Zulieferern aus dem Start-up-Sektor häufig sogar, sie in Pressemitteilungen zu nennen, als würden sie ihrer eigenen Entscheidung für diesen Geschäftspartner nicht trauen.
Ob Cybersecurity, KI-Technologie, Satellitennetzwerke – es gibt zahlreiche Anwendungen von Schlüsseltechnologien, bei denen auch der Staat erster Anwender sein kann. Für positive Beispiele muss man nicht bis in die USA schauen. Die Bundesverwaltung der mehrsprachigen Schweiz ist als einer der ersten Großkunden von DeepL aufgetreten, dessen Übersetzungssoftware durch maschinelles Lernen entwickelt wird. Das finnisch-deutsche Quanten-Start-up IQM baut im Rahmen eines 20-Millionen-Euro-Auftrags sogar einen Quantencomputer für Finnlands Regierung.
Damit deutsche Start-ups Konzerne werden, brauchen sie keine Fördermittelchen, sondern Aufträge. Wenn Staat und Industrie Vertrauensbeweise erteilen, statt Warnsignale zu setzen, dann wird auch das Finanzierungskapital folgen.
Mehr: KI in der Industrie: Europas große Chance auf die Weltspitze
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.
Was hier gefordert wird ist doch nur eine andere Art von Subvention, jedenfalls bei staatlichen Aufträgen. Startups mit einer echten marktgängigen Innovation brauchen das nicht. Wie am Ende des Artikels auch dargestellt. Wobei ich mich beim Beispiel Celonis frage ob sie Geld verdienen. Offengelegte Abschlüsse finde ich nach 2017 keine mehr – wie machen die das? Hohe Bewertungen trotz Verlusten gibt’s ja immer wieder. Das ist die Entscheidung der Investoren. Aber dass dann Steuern gezahlt würden, wie im Artikel zitiert, worauf denn?
Man sollte Startups dem Markt überlassen. Startup sein ist kein Wert an sich. Innovation gibt’s auch in größeren Unternehmen.