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KommentarMacron-Dämmerung: Das Rentenfiasko verdeutlicht den Machtverlust des Präsidenten

Das Gezerre um die Rentenreform hat Macron politisch schwer beschädigt. Dem Präsidenten drohen vier lähmende Jahre seiner verbleibenden Amtszeit. Die Frage lautet bereits: Was kommt danach?Gregor Waschinski 21.03.2023 - 15:24 Uhr
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Der französische Präsident ist durch das Gezerre um die Rente schwer beschädigt.

Foto: REUTERS

Es war einmal ein französischer Präsident, der stand für Aufbruch, für eine frische Alternative in einem festgefahrenen politischen System. Einer, dem die Menge zujubelte, als er zu den Klängen der Europahymne „Freude schöner Götterfunken“ am Louvre in Paris den Wahlsieg feierte. So begann im Mai 2017 das Märchen von Emmanuel Macron.

Im Ausland und vor allem in Deutschland hat diese verklärte Macron-Erzählung großen Anklang gefunden. Ein nicht zu vernachlässigender Teil der Franzosen, vor allem vom linken und rechten Rand, stand dagegen dem Präsidenten und seinem Hang zur Selbstdarstellung oder gar Selbstüberhöhung schon immer in großer Ablehnung gegenüber.

Diese Ablehnung wuchs stetig, brachte das Land während der Gelbwesten-Proteste in Aufruhr und erreicht mit dem Fiasko um die Rentenreform nun ihren vorläufigen Höhepunkt.

Die Macron-Dämmerung hat endgültig begonnen, ein Jahr nach seiner wenig glamourösen Wiederwahl als Präsident und neun Monate nach dem Verlust der Mehrheit für sein Mittebündnis im Parlament. Auch wenn das Misstrauensvotum gegen seine Regierung am Montagabend knapp scheiterte: Innenpolitisch drohen Macron vier lähmende Jahre seiner verbleibenden Amtszeit.

Die Hängepartie um die Rentenreform verdeutlicht das ganze Ausmaß von Macrons Machtverlust. Der Präsident steht beschädigt da. Dabei führt das umstrittene Gesetz keineswegs zu einem sozialen Kahlschlag, wie es Kritiker behaupten. Im Kern hat die Regierung die schrittweise Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters von 62 auf 64 Jahre vorgeschlagen – mit Ausnahmen für besonders langjährig Berufstätige.

Vor dem Hintergrund der alternden Gesellschaft gibt es sehr gute Gründe dafür. Man könnte Macron sogar anlasten, nicht weit genug gegangen zu sein. In Deutschland steigt das Renteneintrittsalter auf 67 Jahre. In Frankreich geht es allerdings um weit mehr als nur die Rente: Die heftigen Proteste sind Ventil für eine soziale Unzufriedenheit, deren Wurzeln in die Zeit vor Macron reichen.

>> Lesen Sie hier auch: Macrons Regierung übersteht Misstrauensvotum – doch die Proteste gegen die Rentenreform halten an

Am Ende peitschte der Präsident sein Rentengesetz ohne Votum in der Nationalversammlung mit einer Sondervollmacht der Exekutive durch. Den Verfassungsartikel 49.3, mit dem das Parlament faktisch ausgeschaltet wird, darf die Regierung außerhalb der Haushaltsgesetzgebung maximal einmal pro Sitzungsjahr nutzen.

Für seine Entscheidung wird Macron angefeindet wie nie zuvor: Seine Gegner stellen ihn als Antidemokraten dar. Die politische Krise hat aber viele Verantwortliche: etwa die Linkspopulisten des Unbeugsamen Frankreich, die viel von Parlamentarismus reden und zugleich eine Konsensfindung mit Fundamentalopposition unmöglich machen.

Dann den Rassemblement National um Marine Le Pen, der dem linken Lager bei der Ablehnung von Macron in nichts nachsteht, aber ein bürgerliches Image vorgaukelt. Schließlich die konservativen Republikaner, die aus ihrem traditionellen wirtschaftspolitischen Verständnis heraus die Rentenpläne von Macron eigentlich mittragen müssten, sich intern aber zerstritten haben.

Vergiftetes politisches Klima

Wie soll Macron in diesem Klima noch Mehrheiten für künftige politische Projekte finden? Das Auswechseln der Regierungsmannschaft samt Premierministerin, in der französischen Politik ein beliebtes Mittel für einen Neustart, dürfte angesichts der vergifteten Stimmung nicht reichen.

Macron könnte eine Neuwahl des Parlaments wagen – bei seinen derzeitigen Beliebtheitswerten muss er aber befürchten, dass sein Bündnis am Ende mit noch weniger Abgeordneten dasteht. Eine Koalitionsregierung mit Koalitionsvertrag wie in Deutschland wäre vielleicht direkt nach Macrons Schlappe bei den Parlamentswahlen im Juni 2022 denkbar gewesen, jetzt ist es dafür zu spät.

>> Lesen Sie hier: Macron will sich in Fernsehansprache an die Franzosen wenden

Nach der Präsidentschaftswahl im vergangenen Jahr versprach Macron seinen Landsleuten einen neuen Politikstil. Mit dem durchgeboxten Rentengesetz hilft er seinen Gegnern nun bei der Beweisführung, dass die Franzosen es weiter mit dem alten Macron zu tun hätten. Einem abgehobenen und elitären Präsidenten ohne offenes Ohr für die Bürger.

Macron muss sich um eine erneute Wiederwahl keine Gedanken machen, er darf 2027 nicht mehr antreten. Doch längst stellt sich die Frage: Was kommt danach? Einen eindeutigen Nachfolgekandidaten aus dem Mittebündnis des Präsidenten gibt es nicht. Die beiden einstigen Volksparteien, die Sozialisten und die in der Tradition der Gaullisten stehenden Republikaner, sind derzeit weit von der Macht entfernt.

Populisten im Aufwind

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Der Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon wird von seinen Anhängern als Heilsbringer zwar verehrt, polarisiert die Franzosen aber außerhalb seiner Blase noch stärker als Marine Le Pen. Die Rechtsaußenpolitikerin hat sich dagegen in den vergangenen Jahren systematisch ein gemäßigtes Image aufgebaut.

Die Umfragen deuten jedenfalls darauf hin, dass nicht die den Gewerkschaften nahestehenden linken Parteien vom Rentenstreit profitieren – sondern der Rassemblement National. Es wäre bittere Ironie: Macron als unfreiwilliger Wegbereiter der Anti-EU-Ikone Le Pen. Dann hätte nicht nur Frankreich ein Problem, sondern auch Europa.

Mehr: Marine Le Pen profitiert vom Streit um die Rentenreform

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