Kommentar: Putin ist Faschist, aber kein Nazi: Warum wir den ideologischen Kern des Kreml-Regimes verstehen müssen

Ist Russlands Präsident ein Faschist?
Darf man Russland „faschistisch“ nennen? Muss man es vielleicht sogar? Nimmt man die gängigen Kriterien für faschistische Regime, erfüllt Russland unter Präsident Wladimir Putin die allermeisten von ihnen:
Die Abwertung politischer und militärischer Gegner, denen elementare Menschenrechte abgesprochen werden … Sie ahnen es. Und die Liste ließe sich fortsetzen.
Es gibt Experten für Faschismus, die diesen Begriff historisch gebunden sehen an die Regime der 30er-Jahre, insbesondere in Italien und Deutschland. Die meisten Wissenschaftler verstehen darunter jedoch eine zeitlose Herrschaftsform.
Wir tun uns in Deutschland allerdings schwer, Russland unter Putin als das zu bezeichnen, was es gemäß Lehrbuchdefinition ist – ein faschistischer Staat. Wir assoziieren mit dem Wort sofort den Nationalsozialismus und denken: Putin ist aber doch kein zweiter Hitler, oder?
Das ist er ganz sicher nicht. Weshalb es zum Beispiel auch verfehlt ist, die Morde russischer Soldaten an ukrainischen Zivilisten vorschnell als „Völkermord“ zu titulieren. Anders als beim Vernichtungskrieg der Deutschen Wehrmacht im Osten mordet Russland in der Ukraine nicht, um eine als minderwertig eingestufte Bevölkerung zu vernichten, sondern wahrscheinlich aus taktischen Motiven: Man verbreitet Angst und Schrecken, um die Zivilbevölkerung gefügig zu machen.
Dieses Mordmotiv wird allerdings nur möglich, weil Moskau die ukrainischen Gegner zuvor zu Verbrechern gestempelt hat, gegen die jedes Mittel recht ist. Dass der Faschist Putin seine ukrainischen Gegner ausgerechnet als „Nazis“ diskreditiert, zählt dabei zu den besonders bitteren Volten der Geschichte.
Militärische Aggression als Wesenskern
Auch das Maß an Führerkult, Gleichschaltung und internem Terror ist in Russland weit entfernt von den Auswüchsen des Nationalsozialismus. Die von Deutschen in dieser Zeit begangenen Verbrechen sind und bleiben historisch einmalig und sollten nicht leichtfertig für historische Vergleiche herangezogen werden – gerade von Deutschen nicht.
Aber Faschismus fängt eben nicht erst bei der Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten an. In der Einordnung der russischen Eroberungspolitik kann es zum Beispiel durchaus helfen, sich klarzumachen: Militärische Aggression gehört zum Wesenskern faschistischer Regime, denn sie benötigen sie zur Legitimation ihrer Herrschaft nach innen.
Wer das versteht, erahnt, dass Russland unter Putin wahrscheinlich nicht plötzlich zu einem friedlichen Land wird, wenn der Westen den vermeintlich berechtigten territorialen Sicherheitsinteressen Russlands Rechnung trägt.




Umgekehrt kann man skeptisch sein, ob die westlichen Wirtschaftssanktionen einen schnellen Effekt haben, denn zum Wesen faschistischer Herrschaft gehört auch die Geringschätzung von materieller Wohlstandsmehrung: Zumindest in der offiziellen Propaganda ist es der Dienst an der Nation, der glücklich macht, nicht das Netflix-Abo.
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