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KommentarTag des Scheiterns

Der Kanzler ist weniger an Christian Lindner als an sich selbst gescheitert. Sein Wahlprogramm macht wenig Hoffnung auf den notwendigen Richtungswechsel.Martin Greive 16.12.2024 - 04:00 Uhr
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Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD): Am Montag stellt er im Bundestag die Vertrauensfrage. Foto: AFP

An diesem Montag tritt ein gescheiterter Bundeskanzler vor die Abgeordneten des Deutschen Bundestags. Olaf Scholz stellt im Parlament die Vertrauensfrage. Wie bei Gerhard Schröder vor gut 20 Jahren handelt es sich um eine „unechte Vertrauensfrage“, Scholz will das Misstrauen ausgesprochen bekommen. Einen großen Unterschied zu 2005 gibt es aber: Im Gegensatz zu Schröder hat Scholz die Mehrheit im Bundestag schon vor der Abstimmung verloren.

Mit dem Stellen der Vertrauensfrage gesteht Scholz das Scheitern seiner eigenen Regierung ein. Für den Kanzler ist dieser historische Tag der vielleicht bitterste seiner Karriere, für die Deutschen hingegen eine frohe Botschaft kurz vor Weihnachten. Denn die Ampel ist mit diesem Tag endgültig Geschichte. Und damit eine Koalition, die schon vor ihrem Bruch am 6. November hätte beendet werden müssen.

Zu lange schon waren die drei Regierungsparteien keine Partner mehr, sondern Gegner. Zu lange hackten SPD, Grüne und FDP aufeinander ein und schadeten dem politischen Klima im Land. Nicht alles an der Ampel war schlecht, ihre Leistungsbilanz könnte im Rückspiegel der Geschichte wohlwollender ausfallen als im flüchtigen Blick der Zeitgenossen.

Christian Lindner (FDP), Robert Habeck (Grüne) und Olaf Scholz (SPD, von links): Mehr Gegner als Partner. Foto: picture alliance/dpa

Das Management der Energiekrise war fast ein Glanzstück, in der Migrations- und Energiepolitik brachte die Koalition einiges voran, die Zeitenwende war die angemessene Reaktion auf den Überfall Russlands auf die Ukraine, auch wenn Scholz dabei auf halber Strecke stehen blieb.

Nicht ansatzweise angemessen fiel aber die Reaktion auf die Wirtschaftskrise aus. Was Scholz hier abgeliefert hat, grenzt an unterlassene Hilfeleistung. Sollte es 2025 wieder kein Wachstum geben, wäre es das vierte Jahr in Folge. Das hat es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nicht gegeben.

Wirtschaftskrise zu lange ignoriert

Der Kanzler hat viel zu spät auf diese Strukturkrise reagiert, weil er den Ernst der Lage viel zu lange nicht wahrhaben wollte, von einem grünen Wirtschaftswunder fabulierte und spottete: Die Klage sei das Lied des Kaufmanns.

Erst als bei VW Zehntausende Industriearbeitsplätze auf dem Spiel standen, wachte er auf, erklärte Wirtschaftspolitik zur Chefsache. Auch wenn ohne Zweifel Lindner am Ende das Ampel-Aus betrieben und Scholz ihn dafür zu Recht vor die Tür gesetzt hat: Die Kernforderung des FDP-Chef war richtig: Die Ampel hätte viel mehr gegen die Wirtschaftskrise tun müssen.

» Lesen Sie auch: Mehr als jedes dritte deutsche Unternehmen plant 2025 Stellenabbau – vor allem ein Sektor ist betroffen

Die Bundesrepublik hat durch die immer dysfunktionaler werdende Regierung kostbare Zeit verloren. Zeit, die Deutschland in einer historischen Phase, in der ein Krieg auf europäischem Boden tobt, in der Donald Trump ins Weiße Haus zurückkehrt und in der Chinas Aufstieg zur Industriemacht die deutsche Exportwirtschaft in ihrer Existenz bedroht, nicht mehr hat.

Gleich zweimal wurde der Ampel in ihrer dreijährigen Regierungszeit die Geschäftsgrundlage entzogen. Einmal durch den Ausbruch des Ukrainekriegs, ein zweites Mal durch das Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts. Beide Male hat es der Kanzler verpasst, die Koalition auf eine neue Geschäftsgrundlage zu stellen.

Eine zweite Chance hat sich Scholz eigentlich nicht verdient

Beide Male tat er so, als müsste er nur an ein paar Stellschrauben Hand anlegen, ansonsten würden die Bürger von diesen Krisen nichts mitbekommen, was eine Illusion war. Dieses Versäumnis lässt sich nicht schönreden, die Schuld dafür kann Scholz auch nicht bei anderen abladen. Er ist der Bundeskanzler, er trägt dafür die Verantwortung.

Scholz dürfte bei der Vertrauensfrage im Bundestag um eine zweite Chance bitten. Dürfte versprechen, es beim nächsten Mal besser zu machen, ohne die FDP als Regierungsballast. Doch durch seine Arbeit in den vergangenen drei Jahren hat sich Scholz eine zweite Chance ehrlicherweise nicht verdient. Auch die bisher bekannten Umrisse seiner Agenda für die nächste Wahl machen wenig Hoffnung, dass Scholz grundsätzlich an seiner Wohlfühlpolitik etwas ändern will.

Als Wahlkämpfer ist Scholz besser als Regierungschef. Scholz mag die Wähler mit seiner hanseatisch-spröden Art emotional nicht erreichen, aber er weiß ziemlich genau, welche Stimmungen er bedienen muss, um die Wähler zu seinem Vorteil zu triggern. Sein Spiel mit der Kriegsangst ist genauso hart an der Grenze des politisch Vertretbaren; genau wie die Warnungen vor Rentenkürzungen, die mit einem Wahlsieg der Union angeblich einhergingen.

Wahlprogramm

SPD will „Made in Germany“-Prämie und Steuerbonus für deutsche E-Autos

Vor allem aber sagt Scholz den Bürgern wieder, sie müssten sich vor keinerlei Zumutungen sorgen. Stabile Renten, niedrigere Steuern auf Lebensmittel, Subventionen für die Wirtschaft: Scholz rollt ein Wohlfühlprogramm aus vielen kleinteiligen Maßnahmen aus, das möglichst vielen Wählern behaglich erscheinen soll. Zur Finanzierung reichen angeblich ein paar moderate Änderungen bei der Schuldenbremse.

Dabei betont Scholz selbst, die deutsche Wirtschaft stünde vor den größten Umwälzungen seit der industriellen Revolution. Gemessen daran ist sein Programm aber viel zu zaghaft. Was Deutschland braucht, ist eine Reformagenda, die Wachstum ankurbelt, die den Staat wieder funktionsfähiger macht und damit das Vertrauen der Bürger in die Politik restauriert. Eine Agenda, die die Psychologie des ganzen Landes dreht.

Verwandte Themen Olaf Scholz FDP Christian Lindner SPD Gerhard Schröder Deutschland

Die Zeit drängt. 2025 mögen die Wähler der demokratischen Mitte noch einmal mehrheitlich ihr Vertrauen schenken. Versemmelt aber auch die neue Regierung ihren Reformauftrag, könnte es 2029 ein böses populistisches Erwachen geben.

Mehr: „So ein Quatsch!” – Warum die Regierungspartner SPD und Grüne jetzt besonders hart kämpfen

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