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Morning Briefing PlusZum Glück nur ein Zweckbündnis

Die Ampel startete mit Selfie und guter Stimmung, am Ende haben sich ihre Protagonisten auch menschlich überworfen. Gut, dass es die künftige Koalition erst gar nicht mit Emotion versucht.Martin Knobbe 22.03.2025 - 08:50 Uhr aktualisiert Artikel anhören
Stellvertretender Chefredakteur Martin Knobbe Foto: Handelsblatt

Liebe Leserinnen und Leser,

bislang ist es noch nicht aufgetaucht, ein gemeinsames Selfie, das Saskia Esken, Lars Klingbeil, Markus Söder und Friedrich Merz zeigt, das die Aufbruchstimmung unter den Verhandlern illustrieren würde, die Lust, miteinander etwas zu bewegen.

Ich wette, dass es dieses Selfie auch nie geben wird.

„Auf der Suche nach einer neuen Regierung loten wir Gemeinsamkeiten und Brücken über Trennendes aus. Und finden sogar welche. Spannende Zeiten“, so hatte am 28. September 2021 der spätere Verkehrsminister Volker Wissing ein Selfie betextet, das ihn mit FDP-Chef und Parteifreund Christian Lindner und den Grünenpolitikern Annalena Baerbock und Robert Habeck zeigte.

„Wir mögen und verstehen uns“, das war der Subtext des Bildes, ein Aufbruchssymbol der späteren Fortschrittskoalition, wie sie sich selbst nannte.

Die Ampelkoalitionäre verband anfangs gegenseitige Sympathie, vielleicht sogar politische Freundschaft, es gab eine stark emotionale Ebene.

Das war zu Beginn die große Stärke dieses Bündnisses, am Ende aber auch Ursache seines Scheiterns. Die drei Hauptprotagonisten Lindner, Habeck und Kanzler Olaf Scholz waren zuletzt nicht nur in einigen Sachthemen weit auseinander, viel mehr noch waren sie menschlich voneinander enttäuscht und zutiefst verletzt. Man muss sich nur die Wortwahl in Erinnerung rufen, mit der sie übereinander sprachen. Die Sympathie war gegenseitiger Abneigung gewichen, die Beziehung war irreparabel.

Es ist beruhigend, dass die emotionale Ebene in den derzeitigen Verhandlungen keine große Rolle spielt. Es ist kaum vorstellbar, dass sich zwischen Esken und Merz eine tiefe politische Freundschaft entwickeln würde.

Von einem Selfie noch weit entfernt: Merz, Esken, Klingbeil und Söder Foto: Kay Nietfeld/dpa

Klar wäre es schön, wenn eine Aufbruchstimmung aufkäme, wenn die Lust spürbar wäre, gemeinsam Großes zu vollbringen – dem Land fehlt ja derzeit dieses „Wir packen es an“-Gefühl. Doch weil zu große Emotion eben auch schnell ins Destruktive umschlagen kann, ist es gut, dass sich die wahrscheinlichen künftigen Koalitionäre vor allem auf der sachlichen Ebene begegnen.

Was in der Euphorie über die Einigung auf das Billionen-Finanzpaket unterging: Die Unterschiede in Themen wie Migration, Energie, Grundsicherung und Rente, in Fragen von Sparpotenzialen und Steuerlasten sind zwischen Union und SPD sehr groß, so groß, dass ein Scheitern der Verhandlungen noch immer nicht auszuschließen ist.

Das wird in diesen Stunden in mancher Arbeitsgruppe der Verhandler klar. Viele grundlegende Streitpunkte werden bis Montag, wenn die Gruppen ihre Ergebnisse abgeben sollen, ungelöst bleiben und an die Hauptverhandler zur Schlichtung weitergereicht werden –  an Esken, Klingbeil, Söder und Merz.

Gut, dass die Gefahr, voneinander menschlich enttäuscht zu werden, in dieser Konstellation so gering ist. Die künftige Koalition, so sie kommt, ist ein Zweckbündnis. Und das ist in diesen Zeiten genau das Richtige.

Was uns diese Woche noch beschäftigt hat:

1. Die Politökonomen: Das Billionen-Schuldenpaket ist durch. Ohne den Einfluss von vier Ökonomen wäre das Finanzpaket allerdings vielleicht gar nicht erst im Bundestag gelandet. Die entsprechende Anregung haben die Wirtschaftswissenschaftler Clemens Fuest, Jens Südekum, Moritz Schularick und Michael Hüther mit einem gemeinsamen Papier gegeben. Die Ökonomen sehen sich selbst als Berater: neutral, rational, wissenschaftlich fundiert, sie grenzen sich streng ab von Politikern. Doch ihr Einfluss wirft Fragen auf: An welchem Punkt endet Beratung? Und wo beginnt Einflussnahme? Mein Kollege Julian Olk ist diesen Fragen nachgegangen und hat auch mit Kritikern gesprochen, etwa der Ökonomin Veronika Grimm.

Veronika Grimm meint, Politiker hätten Ökonomen beim Schuldenpaket instrumentalisiert. Foto: IMAGO/IPON

2. Der Vileda-Hersteller Freudenberg verbietet sich Geschäfte mit Rüstungskonzernen, auch, weil er im Zweiten Weltkrieg mithilfe von Zwangsarbeitern Rüstungskomponenten produziert hat. „Wir stellen keine Produkte her, die dazu bestimmt sind, Menschen Schaden zuzufügen (zum Beispiel Waffen)“, heißt es in den internen Statuten. Nun überlegt die Unternehmensführung, trotzdem in die lukrativen Rüstungsgeschäfte einzusteigen. Mein Kollege Jens Koenen beschreibt ein Dilemma, in dem viele Familienunternehmen derzeit stecken.

3. Ola Källenius erwartet „drei bis sechs“ harte Jahre: Im Interview mit Franz Hubik erklärt der Mercedes-CEO, wie er den Konzern für eine „Jahrhunderttransformation“ wappnen möchte. Er sieht die Autoindustrie unter immensem Druck und fordert die Abschaffung von Autozöllen zwischen den USA und Europa.

Ola Källenius: Der Mercedes-Chef erwartet „drei bis sechs“ harte Jahre. Foto: Marijan Murat/dpa

4. Für Elon Musk ist ein Tesla kein Auto – sondern ein Computer auf Rädern. Doch im äußersten Fall, wenn es zum Beispiel zu tödlichen Unfällen kommt, ist Tesla häufig nicht bereit, die Daten für eine Aufklärung zu teilen. Meine Kollegen aus dem Investigativteam haben lange und tief recherchiert. Sie haben mit Witwen gesprochen, die sich bis heute fragen, wie es dazu gekommen ist, dass ihre Männer in einem Tesla verunglückten. Richter rügen eine „mangelnde Kooperationsbereitschaft“ des Unternehmens und seines mächtigen Chefs, Elon MuskUnser Freitagstitel.

Elon Musk: Ist der reichste Mensch der Welt auch für Behörden unantastbar? Foto: Michael Pleesz

5. ZF steckt weiterhin tief in der Krise: Der Zulieferer für die Autoindustrie bilanziert einen Verlust von einer Milliarde Euro für das vergangene Jahr, wie Martin Buchenau exklusiv berichtet hat. Pikant daran: Trotz der Verluste bleibt die Dividende. Die Belegschaft muss indessen auf Boni verzichten.

6. Der chinesische Autobauer BYD verspricht, was E-Auto-Besitzer nur schwer glauben dürften: Fünf Minuten und fertig – das Auto ist aufgeladen. Hat also das Warten an der trostlosen Autobahnraststätte endlich ein Ende? Die Aktionäre jedenfalls jubeln: BYD ist inzwischen drei Mal so viel an der Börse wert wie Volkswagen, schreiben unsere China-Korrespondentin Sabine Gusbeth und unser Teamleiter für Technologie, Thomas Jahn. Aber ist das Angebot wirklich so revolutionär, wie es klingt? Lesen Sie hier.

7. In Kambodscha liegt die wohl beliebteste Luxusunterkunft der Welt. Unser Südostasien-Korrespondent Matthias Peer hat sie besucht. Spoiler: Der dortige Hotelmanager hat eine Erfolgsformel gefunden, die ihm einen weltweiten Spitzenplatz bei Tripadvisor sichert. Aber was genau macht er anders als andere Manager von Luxushotels? Warum sind nahezu alle Gäste dort zufrieden? Ein exklusiver Einblick zum Wochenende.

Pool des Jaya House in Kambodscha Foto: Handelsblatt

8. Blau ist gut, gelb ist schlecht: SAP hat ein Bewertungssystem für Mitarbeiter eingeführt. Christof Kerkmann hatte bereits am Montag exklusiv darüber berichtet. Unsere Leiterin des Karriereressorts findet die Leistungskategorien albern: „Der Dax-Konzern macht Mitarbeiter zu Schulkindern“, kommentiert Julia Beil. Und was denken Sie? Meine Hausaufgabe für Sie am Wochenende.

9. Zum Schluss in eigener Sache: Zölle, Ukraine, Gaza, Panama – haben Sie noch den Überblick, was US-Präsident Donald Trump alles beschlossen, angekündigt und wieder verworfen hat? Als einen Kompass durch das Chaos der Macht hat unser Podcast-Team das neue wöchentliche Format Trump-Watch gestartet. Jeden Mittwoch analysieren meine Kollegin Nicole Bastian und Christian Lammert, Politik-Professor an der FU Berlin, mit einem Gast die wichtigsten Entwicklungen. Die erste Folge finden Sie hier. Es geht, no wonder, um Elon Musk. Und: Wir haben Grund zum Feiern: Das Handelsblatt ist Redaktion des Jahres! Intensive Recherchen, Lust auf Innovation und Teamgeist zahlen sich aus. Das hat offenbar auch das Fachmagazin Wirtschaftsjournalist:in so gesehen und unsere Redaktion in Hamburg ausgezeichnet. Viele Kolleginnen und Kollegen wurden außerdem in einzelnen Kategorien mit einem Preis bedacht. Herzlichen Glückwunsch!

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Preisträger „Redaktion des Jahres“, rechts das Handelsblatt-Team Foto: Jonas Walzberg

Ich wünsche Ihnen ein sonniges Wochenende. Bleiben Sie zuversichtlich!

Herzlichst,

Ihr Martin Knobbe

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