Weekend-Briefing: Cyberangriff-Gefahr, Abgang des Bundesbank-Chefs, Aufruhr an den Rohstoffbörsen: Der Wochenrückblick des Chefredakteurs
Guten Morgen liebe Leserinnen und Leser,
seit Monaten hören meine Kolleginnen und Kollegen aus Unternehmen unterschiedlichster Größe von Cyber-Erpressungen. Mal sind es kleine Attacken, mal werden größere Teile des Betriebs lahmgelegt. Auch Zeitungsverlage, Uni-Kliniken und Pipeline-Betreiber hat es schon getroffen.
Der Schaden geht schnell in die Millionen – ebenso die Lösegelder. Doch statt darüber zu sprechen oder andere zu warnen, legen sich viele Firmen lieber Bitcoin zu, um im Fall der Fälle schnell und unauffällig das Lösegeld zahlen zu können und so hoffentlich wieder Zugang zu ihren blockierten Daten und Rechnern zu erlangen.
Dadurch entsteht ein gefährlicher Kreislauf aus Unwissenheit und Ignoranz. Das Thema Cybersicherheit ist ein bisschen wie Darmkrebsvorsorge: Man weiß, dass es existenziell werden kann, aber schiebt das Problem allzu oft weg, weil die Gefahr so abstrakt ist und die Prävention so lästig. Gerade im deutschen Mittelstand wird die IT-Sicherheit unterschätzt, zeigen Studien immer wieder aufs Neue.
Ein Handelsblatt-Team aus Unternehmens- und Investigativ-Reportern ist über mehrere Monate in das Thema eingestiegen.
Herausgekommen ist ein erschreckender Report, der zeigt, wie Unternehmer binnen Minuten die Kontrolle über ihr Unternehmen verloren haben und wie sie ihre Geschäftsgeheimnisse freikaufen mussten. Meine Kollegen sprachen mit Betroffenen, analysierten zahlreiche Erpressungsfälle und interviewten Polizisten und Staatsanwälte. Die Ermittler zeichnen das Bild einer globalen Epidemie, die gerade erst ihren Anfang nimmt – und bei deren Bekämpfung die Behörden erschreckend machtlos sind.
Der Direktor der US-Bundespolizei FBI, Christopher Wray, verglich die Bedrohung unlängst mit den Terroranschlägen vom 11. September. Nur dass der Behördenchef die Täter nicht im arabischen Raum vermutet – sondern größtenteils in Russland, wo der Kreml die Hacker angeblich gewähren lasse, solange sie nur im Ausland zuschlagen.
Deutschland ist übrigens besonders stark betroffen, wie diese Grafik zeigt:
Was uns diese Woche sonst noch beschäftigt hat:
1. Völlig überraschend gab Bundesbank-Präsident Jens Weidmann diese Woche sein Amt auf. „Ich bin zur Überzeugung gelangt, dass mehr als zehn Jahre ein gutes Zeitmaß sind, um ein neues Kapitel aufzuschlagen“, sagte er. Doch diese Amtsmüdigkeit hat natürlich Gründe. Weidmann fühlte sich mit seinem strikten Stabilitätskurs im EZB-Rat, dem Lenkungsgremium der Europäischen Zentralbank, zunehmend isoliert, berichten Insider. Seine Warnungen vor einem schleichenden Verlust der geldpolitischen Unabhängigkeit gegenüber Regierungen und Finanzmärkten verhallten. Und das frustrierte ihn.
Mit Weidmanns Abgang endet nun eine Ära. Und das ausgerechnet in einer Zeit, in der manche EZB-Vertreter das schwer bestreitbare Risiko steigender Inflationsraten immer noch als Hirngespinst sensationsgieriger Journalisten abtun.
2. Weidmanns Abgang fällt in eine Zeit, in der auch die europäischen Fiskalregeln zur Debatte stehen. Der Leiter unseres Brüssel-Büros, Moritz Koch, berichtete schon am Montag exklusiv über die Gedankenspiele der EU-Kommission, die für einen flexibleren Schuldenpakt wirbt: Der Abbau der in der Pandemie stark gestiegenen Verbindlichkeiten sei zwar eine „zentrale Herausforderung“, um „Puffer aufzubauen, bevor die nächste Krise zuschlägt“, findet die Kommission. Der Konsolidierungsprozess müsse aber „auf nachhaltige und wachstumsfreundliche Weise“ geschehen. Dahinter steht nichts weniger als ein leiser Abschied von den Maastricht-Kriterien. Schon kommenden Montag dürfte die Debatte weitergehen.
3. Auch in Berlin dreht sich der finanzpolitische Wind: Politiker von SPD und Grünen drängen auf einen kreativeren Umgang mit der Schuldenbremse. Sie beratschlagen über neue Berechnungsmethoden der Schuldenregel, über den Aufbau einer Mega-Rücklage in 2022 als Puffer für die Folgejahre, über die Gründung staatlicher Investitionsfonds, die nicht unter die Schuldenbremse fallen, oder die Absicherung privater Investitionen durch die Staatsbank KfW. Die Ideen sind also zahlreich.
Weniger ist derzeit darüber zu hören, wie sich die ohnehin schon eingeplanten Milliarden für digitale Bildung, Infrastruktur und Künstliche Intelligenz konkret schneller ausgeben lassen. Oder wo sich im Haushalt sparen ließe. Das alles zeigt: In der Geld- wie in der Fiskalpolitik hat ein neuer Mindset Einzug gehalten, der weltweit – aber auch in Deutschland – immer mehr zum Mainstream, zur dominanten ökonomischen Denkschule wird. Statt Haushaltskonsolidierung sind wieder Schulden angesagt, statt strikteren eher laxe Schuldenregeln, statt einer konservativen eine expansive Geldpolitik.

4. Der wahrscheinlich nächste Bundeskanzler Olaf Scholz hat eine Handvoll treuer Gefolgsleute um sich geschart. Mein Kollege Martin Greive erklärt, wer die Berater im Hintergrund sind und welche Posten sie im Kanzleramt übernehmen könnten. Ein Must-Read für alle, die verstehen wollen, wer im künftigen Machtzentrum der Republik wie viel zu sagen haben wird.
5. Es könnte der nächste Cum-Ex-Skandal werden: Rund 50 vermögende Bürger stehen im Verdacht, Hunderte Millionen Euro hinterzogen zu haben. Drei Staatsanwaltschaften ermitteln bereits. Deutschland ist, das zeigt der Fall, ein Eldorado für Trickser. Das liegt auch an den überkomplexen deutschen Steuergesetzen. Das Regeldickicht bietet ein ideales Biotop für Steueranwälte und -berater der Untergattungen findig bis windig.
6. An den Rohstoffbörsen herrscht derzeit Aufruhr. Die weltweiten Lagerbestände von Kupfer, Aluminium und Magnesium sinken rasant. Diese Entwicklung schürt Sorgen vor neuen Engpässen in der Industrie. Auslöser der jüngsten Rally sind übrigens die stark gestiegenen Energiepreise. Die hohen Gaspreise in Europa machen die Metallproduktion immer teurer.
7. Die Folgen der Metall-Engpässe bedrohen bereits die Lieferketten in der Autoindustrie. Gerade noch kämpfen die Supply-Chain-Manager dort gegen die Chipkrise, doch nun braut sich ein noch größeres Problem zusammen: Aluminium wird knapp, berichtet das Handelsblatt-Autoteam. Einkaufsmanager rechnen, so der Report, mit „massiven Produktionsunterbrechungen“.
8. Die Gründe für die Metall-Knappheit liegen auch in China. Das Regime in Peking kappt wegen der schrumpfender Vorräte an Kohle und Gas zunehmend die Stromversorgung von energieintensiven Industrien. Das bekommen auch deutsche Unternehmen zu spüren, wie unsere China-Korrespondentin Dana Heide in einem sehr lesenswerten Report beschreibt.
9. Zum Start ins Wochenende möchte ich Ihnen noch einen Podcast ans Herz legen: In der neuesten Ausgabe von Handelsblatt Green hat meine Kollegin Kathrin Witsch mit Marc Elsberg gesprochen, dem Autor der Thriller-Serie „Blackout“, in der es um einen Stromausfall geht, der ganz Europa lahmlegt. Wie realistisch ist das Szenario wirklich? Sitzt Europa womöglich im Dunkeln, wenn zu viele Elektroautos auf einmal am Netz hängen? Oder sind das nur Horrorvisionen eines Thriller-Autors? Das diskutiert Kathrin Witsch mit Marc Elsberg.
Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende.






Herzliche Grüße
Ihr
Sebastian Matthes
Chefredakteur Handelsblatt
Das Morning Briefing plus können Sie im Rahmen Ihres Handelsblatt-Digitalabonnements kostenfrei erhalten oder hier separat abonnieren.





