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Koalitionsverhandlungen Höhere Beiträge, Cannabis, Krankenhausfinanzierung: Das plant die Ampel im Bereich Gesundheit und Pflege

Auf sechs Seiten haben die Verhandler von SPD, Grünen und FDP ihre Vorstellungen für den Gesundheits- und Pflegebereich zusammengefasst. Sie lassen höhere Belastungen erwarten.
21.11.2021 - 13:58 Uhr Kommentieren
SPD, Grüne & FDP: Ampelpläne für Gesundheit und Pflege Quelle: dpa
Intensivstation

Die Coronakrise stellt das Gesundheitssystem vor ungeahnte Herausforderungen.

(Foto: dpa)

Berlin Rund zwei Wochen hatten die Arbeitsgruppen der Ampelparteien Zeit, ihre Vorschläge für den Koalitionsvertrag einer möglichen Regierung zu erarbeiten. Im Bereich Gesundheit und Pflege ist daraus ein sechsseitiges Papier entstanden, das weitgehende Reformen etwa im Bereich Pflege, Krankenhausversorgung und Apotheken beinhaltet.

Zur Stunde befassen sich die Hauptverhandler mit den Vorschlägen. Eine Einigung gibt es nicht. Welche Vorschläge es in den für kommende Woche geplanten Koalitionsvertrag schaffen, lassen die Verhandler offen.

So oder so geben die Forderungen die gesundheits- und pflegepolitische Richtung einer möglichen Ampelregierung vor. Eine Übersicht über die wichtigsten Punkte:

Höhere Beiträge in der Pflege

SPD, Grüne und FDP gehen davon aus, dass die Pflegekosten künftig nur mit höheren Belastungen der Beitragszahler zu stemmen sein werden. Den Beitrag zur Pflegeversicherung „heben wir moderat an“, heißt es in dem Papier der Arbeitsgruppe. Damit dürfte die 40-Prozent-Grenze bei den Sozialversicherungsbeiträgen endgültig passé sein, da auch bei den Krankenkassen Beitragssteigerungen absehbar sind.

Entlasten wollen die Ampelfraktionen die Beitragszahler, indem versicherungsfremde Leistungen wie die Rentenbeiträge für pflegende Angehörige oder pandemiebedingte Zusatzkosten aus Steuermitteln finanziert werden.

Pflegebedürftige sollen auch nicht mehr über die Eigenanteile zur Pflegeausbildung beitragen müssen, sondern auch diese sollen vom Steuerzahler übernommen werden. Die Behandlungspflege in der stationären Versorgung soll der gesetzlichen Krankenversicherung übertragen und pauschal ausgeglichen werden.

Damit zeichnet sich eine stärkere Steuerfinanzierung der Pflegeleistungen ab. Die im Juni von der schwarz-roten Koalition beschlossene Pflegereform sieht ab 2022 einen jährlichen Steuerzuschuss in Höhe von einer Milliarde Euro vor.

Nach Berechnungen des Spitzenverbands der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) stehen aber schon im kommenden Jahr Einnahmen der Pflegeversicherung von 52,62 Milliarden Euro Ausgaben von 54,48 Milliarden Euro gegenüber. Daraus ergibt sich ein Defizit von 1,86 Milliarden Euro, in dem allerdings noch keine Coronaausgaben berücksichtigt sind.

Unklar ist, wie eine Ampelregierung mit den Eigenanteilen umgehen will. Nach der schwarz-roten Pflegereform werden Pflegebedürftige durch eine Deckelung der Eigenanteile nach mehr als 24 Monaten Pflege durchschnittlich um rund 410 Euro im Monat und nach mehr als 36 Monaten Pflege um rund 638 Euro im Monat entlastet.

In dem Papier der Arbeitsgruppe heißt es: „Die derzeitige Regelung zu prozentualen Zuschüssen zu den Eigenanteilen werden wir beobachten.“ Allerdings steht der Satz noch in eckigen Klammern, hier gibt es also noch kein Einvernehmen.

Stärken wollen die Ampelparteien auch die häusliche Pflege, zum Beispiel, indem es mehr Zeitsouveränität für pflegende Angehörige und einen stärkeren finanziellen Ausgleich für pflegebedingte berufliche Auszeiten geben soll.

Die Ampelfraktionen wollen auch die Situation der Angehörigen von Pflegebedürftigen verbessern. Quelle: Imago/Westend61
Häusliche Pflege

Die Ampelfraktionen wollen auch die Situation der Angehörigen von Pflegebedürftigen verbessern.

(Foto: Imago/Westend61)

Auch versprechen SPD, Grüne und FDP eine rechtssichere Lösung für die sogenannte 24-Stunden-Pflege, die meist von Frauen aus Osteuropa ausgeübt wird. Das Bundesarbeitsgericht hatte entschieden, dass Bereitschaftszeit der Haushaltshelferinnen wie Arbeitszeit zu werten und zu vergüten ist, was die 24-Stunden-Pflege für viele Familien unbezahlbar macht.

Dem dramatischen Mangel an Pflegekräften wollen die Ampelfraktionen mit Maßnahmen begegnen, „die schnell und spürbar die Arbeitsbedingungen verbessern“. So sollen die Personalbemessungsverfahren in der stationären Langzeitpflege beschleunigt werden. Bei der Bezahlung sollen Altenpflegekräfte zu den Kolleginnen und Kollegen in der Krankenpflege aufschließen, wo deutlich besser verdient wird.

Allerdings lassen die Parteien offen, wie das gelingen soll. Durch die Steuerbefreiung von Zuschlägen, die Abschaffung geteilter Dienste, die flächendeckende Zahlung von Ausbildungsvergütungen oder familienfreundlichere Arbeitszeiten soll der Pflegeberuf insgesamt attraktiver werden.

Steuermittel auch für die gesetzliche Krankenversicherung

Angesichts der dramatischen Finanzlage der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sind Reformen für die Ampelparteien eigentlich unumgänglich. Allein für das kommende Jahr musste die geschäftsführende Bundesregierung die Kassen mit einer Rekordsumme von 28,5 Milliarden Euro stützen, um die Zusatzbeiträge für die Versicherten bei 1,3 Prozent stabil zu halten – die möglicherweise steigenden Coronaausgaben noch gar nicht eingerechnet.

Von dieser steigenden Steuerfinanzierung will die Ampel offenbar im Kern nicht abrücken. „Den Bundeszuschuss zur GKV dynamisieren wir regelhaft“, heißt es in dem Papier. Gleichzeitig aber sollen die Kassen auch entlastet werden, insbesondere über geringe Arzneimittelpreise.

Dafür soll der Mehrwertsteuersatz auf Medikamente auf sieben Prozent sinken. Die Kassen erhoffen sich davon eine „wirksame Sofortmaßnahme”, wie der Chef der Techniker Krankenkasse, Jens Baas, vor Kurzem im Handelsblatt sagte.
Die Senkung des Mehrwertsteuersatzes ist darüber hinaus eine der wenigen Maßnahmen, die private wie gesetzliche Krankenversicherungen gleichermaßen forderten. Rückhalt gibt es auch in der Bevölkerung. Laut einer noch nicht veröffentlichten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts INSA im Auftrag des Spitzenverbands der privaten Krankenversicherung (PKV), die dem Handelsblatt vorliegt, sprechen sich 79 Prozent für diese Maßnahme aus.

Außerdem soll das Preisfindungsverfahren nach dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (Anmog) weiterentwickelt werden, bei dem Kassen und Hersteller die Erstattungshöhe für Medikamente verhandeln. Diese sollen nicht erst ein Jahr nach Markteintritt gelten, sondern schon nach sieben Monaten.

Der GKV-Spitzenverband äußerte sich in einer ersten Stellungnahme vorsichtig optimistisch. Zwar wolle man den fertigen Koalitionsvertrag abwarten, sagte ein Sprecher dem Handelsblatt. In dem bekannt gewordenen Papier würden aber „sowohl unter Versorgungs- als auch unter Finanzierungsgesichtspunkten wichtige Themen und Aufgaben angesprochen”.

Mehr Geld und weniger Belastung für das Pflegepersonal. Quelle: imago images/Future Image
Protest von Klinikbeschäftigten

Mehr Geld und weniger Belastung für das Pflegepersonal.

(Foto: imago images/Future Image)

Reform der ambulanten und stationären Versorgung

Eine zentrale Baustelle der Ampelparteien ist auch die Krankenhausversorgung und -finanzierung. Fast 2000 Krankenhäuser mit knapp 500.000 Betten und insgesamt 1,3 Millionen Beschäftigten gibt es in Deutschland. Die Zahl der Kliniken sinkt seit Jahren, da auch die Zahl der Behandlungen sinkt.

Insbesondere die Krankenkassen drängen deswegen auf einen Umbau der als ineffizient und als zu teuer empfundenen Krankenhauslandschaft – hin zu spezialisierten Zentren. Die Ampelparteien planen nun offenbar einen Bund-Länder-Pakt mit dem Ziel einer „modernen und bedarfsgerechten“ Krankenhausversorgung.

Empfehlungen dafür soll eine Regierungskommission vorlegen – etwa für eine Krankenhausplanung nach Kriterien wie Erreichbarkeit und demografischer Entwicklung. Krankenhäuser sollen künftig außerdem Geld abhängig von ihrer Versorgungsstufe (Primär-, Grund-, Regel-, Maximalversorgung, Unikliniken) durch ein „differenziertes System erlösunabhängiger Vorhaltepauschalen“ erhalten. Darüber hinaus soll der Bund „einen Anteil der für eine bedarfsgerechte Investitionsförderung der Krankenhäuser anfallenden Ausgaben“ in den Bundesländern übernehmen.

Für eine bessere ambulante Versorgung in ländlichen Regionen streben die Parteien den Ausbau von Gesundheits- und Notfallzentren an. Unter anderem wollen sie die bislang liegengebliebene Reform der Notfallversorgung angehen, indem – vereinfacht gesagt – Krankenhäuser und Kassenärzte stärker zusammenarbeiten. „Die Gründung von kommunal getragenen Medizinischen Versorgungszentren und deren Zweigpraxen erleichtern wir und bauen bürokratische Hürden ab“, heißt es in dem Papier. Durch „flexiblere Vorgaben in der Apothekenbetriebsordnung“ soll außerdem die Versorgung mit Medikamenten in den Notfallzentren verbessert werden.

Die Digitalisierung des Gesundheitswesens soll weiter vorangetrieben werden. Quelle: dpa
Elektronische Patientenakte

Die Digitalisierung des Gesundheitswesens soll weiter vorangetrieben werden.

(Foto: dpa)

Cannabis „zu Genusszwecken“ wird legalisiert

Eine Legalisierung des Suchtmittels Cannabis gehörte von Anfang an zu den Punkten, auf die sich die drei Parteien voraussichtlich zügig würden einigen können. In dem Papier heißt es nun: „Wir führen die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften ein.“ Dadurch könnten die Qualität kontrolliert, die Weitergabe verunreinigter Substanzen verhindert und der Jugendschutz gewährleistet werden, so die drei Parteien. Nach vier Jahren soll das Gesetz überprüft werden.

Fortsetzung der Digitalisierung des Gesundheitswesens

In dieser Legislatur ist das Gesundheitswesen digitaler geworden als in den vergangenen Dekaden zusammen. Die elektronische Patientenakte (ePA) und das elektronische Rezept werden schrittweise eingeführt, die Krankenkassen erstatten die App auf Rezept und Krankenhäuser sowie Gesundheitsämter erhalten Milliarden für die Digitalisierung. Die Sorge ist groß, dass das Tempo durch die neue Regierung verloren geht.

Die Ampelparteien wollen immerhin eine „regelmäßig fortgeschriebene Digitalisierungsstrategie im Gesundheitswesen und in der Pflege“ verfolgen. Die digitale Kompetenz soll in Ausbildungen von Gesundheits- und Pflegeberufen eine stärkere Rolle spielen. Zudem soll die Einführung der ePA „beschleunigt“ werden. Sie steht bereits jetzt allen Versicherten zur Verfügung, ihre Funktionen sind allerdings noch stark eingeschränkt.

Außerdem soll ein Bürokratieabbaupaket Hürden in der Versorgung senken – etwa, indem das Sozialgesetzbuch auf nicht mehr zeitgemäße Dokumentationspflichten geprüft werden soll. „Regelhaft“ ermöglicht werden sollen telemedizinische Leistungen. Dazu zählen die Parteien „Arznei-, Heil- und Hilfsmittelverordnungen sowie Videosprechstunden, Telekonsile, Telemonitoring und die telenotärztliche Versorgung“. Die Gematik, an der der Bund die Mehrheit der Anteile hält, soll zu einer „digitalen Gesundheitsagentur“ ausgebaut werden.

Mehr: Finanzmarkt, Digitales, Rente, Wirtschaft: Das ist der neue Stand bei den Ampelverhandlungen

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