Nach den Anschlägen von Kabul „Offener Krieg zwischen Islamischem Staat und Taliban“ – Afghanistan droht noch größeres Chaos

Die Taliban-Gruppen müssen in Afghanistan nun für Ordnung sorgen – und werden dabei zum Teil noch von extremistischeren Kräften herausgefordert.
Berlin Die Anschläge vom Donnerstagabend könnten für Afghanistan erst der Auftakt zu einer Serie von Gewalt und Terror sein. Westliche Experten warnen vor einem eskalierenden Machtkampf rivalisierender Extremistengruppe und vor einem Export dieser Gewalt ins Ausland. Afghanistan war bereits vor dem Sturz der Taliban-Regierung 2001 durch eine Nato-Invasion Hort von Terrororganisationen.
Dass die Taliban, die vor knapp zwei Wochen die Macht im Land übernommen hatten, nicht die einzige Extremistengruppe mit Machtanspruch im Land ist, zeigt der Terror von Donnerstagabend in Kabul. Von den beiden Selbstmordanschlägen am Kabuler Flughafen und am gut gesicherten Baron Hotel hatten sich die radikalislamischen Taliban distanziert. Dagegen bekannte sich die Terrorgruppe Islamischer Staat Khorosan (ISK) dazu.
Diese schätzen Experten als brandgefährlich ein. Schon die Taliban mit ihrer erzkonservativen Auslegung des Islams sind eine Bedrohung für Frauenrechte, Pressefreiheit und jede Form nicht-religiöser Kultur. Der ISK indes legt den Islam noch rigoroser aus und will ein Kalifat aus Afghanistan, Pakistan und sogar Teilen Indiens errichten.
Der ISK bekämpft dabei die aus seiner Sicht zu laschen Taliban. Der ISK hatte schon die Verhandlungen der Taliban mit den USA über deren Abzug kritisiert als Zugeständnis gegenüber „den Ungläubigen“. Die Terrorgruppe wollte die westlichen Streitkräfte nicht abziehen lassen, sondern mit Bombenterror, Selbstmordattentätern und dem Locken in Hinterhalte so ausbluten lassen, dass sie geschlagen flüchten.
„Es wird jetzt zum Kampf zwischen ISK und Taliban kommen mit sehr, sehr vielen unschuldigen Afghanen als Opfer“, sagt Shkula Zadan, die frühere afghanische Repräsentantin bei der Jugendkonferenz der Vereinten Nationen.
„Der ISK tötet Afghanen, egal, welche, Hauptsache viele“
„Der ISK attackiert Westler wie jetzt auch US-Soldaten, aber er tötet auch Afghanen, egal, welche, Hauptsache, viele“, sagt auch David Desroches, Professor an der National Defense University im katarischen Doha. Ziel der jüngsten Attentate sei gewesen, „die Taliban zu diskreditieren“, die behaupteten, sie brächten dem Land Stabilität. Im Westen würden sie zudem die Fragen aufwerfen, ob den Zusagen der Taliban, Ausländer nicht anzugreifen, noch zu trauen sei, fügt der frühere ranghohe Pentagon-Mitarbeiter und Nato Operations Director hinzu, der selbst in Afghanistan diente.
Desroches schlimmste Prognose indes ist: „Der ISK ist in einem offenen Krieg mit den Taliban, und wir werden noch einige Anschläge sehen.“ Der ISK sei viel zentralistischer organisiert als die Taliban und bekomme seine Befehle von der global operierenden Führung des Islamischen Staates, der vor nur wenigen Jahren zeitweise mit seinem „Kalifen von Mossul“ weite Teile des Iraks und Syriens kontrolliert hat.
Die Anschläge des ISK seien „eine grundlegende Herausforderung für die Kontrolle der Taliban über Afghanistan und unterstreichen die anhaltende Bedrohung durch Afghanistan nach dem Abzug der Amerikaner“, ist auch James Jeffrey überzeugt, der ehemalige Sondergesandte der globalen Koalition zur Bekämpfung des Islamischen Staates (IS) im Irak und in Syrien. Für den Westen seien die Anschläge „ein politisches Signal des IS-Khorasan-Zweiges, dass er im Gegensatz zu den Taliban weiterhin amerikanische und westliche Ziele angreifen wird“, sagt der heutige Direktor des Nahostprogramms des Woodrow Wilson International Centers in Washington.
Dass der jetzt immer schlimmer werdende innerafghanische Bürgerkrieg in Anschläge auch im Ausland münden wird, lasse sich kaum abwenden. Davon ist der seit über einem Jahrzehnt als Afghanistan-Experte anerkannte, pakistanisch-britische Bestseller-Autor Ahmed Rashid überzeugt: „Die Taliban können islamistische Terrorgruppen, die ja zusammen mit ihnen gegen die als westliche Besatzer angesehenen Kräfte gekämpft haben, nicht eliminieren.“ Und diese Gruppen, allen voran der ISK, wollen nicht nur die Herrschaft über Afghanistan, sondern auch über die Nachbarstaaten.
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Die Taliban haben dabei eine verwundbare Stelle, sagt der Terrorexperte Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), die die Bundesregierung berät: Die Führung habe kaum die Kontrolle über den kleinen radikalen Taliban-Flügel, etwa das berüchtigte und vom US-Geheimdienst FBI besonders gesuchte Haqqani-Netzwerk. Dieser radikale Teil, der weiter ein „intaktes Verhältnis zum Terrornetzwerk al-Qaida und vielleicht sogar ein Bündnis mit den Resten der Terrororganisation Islamischer Staat“ habe, „hat erheblich an Gewicht gewonnen“. Und: „Sie wollen den in Afghanistan gewonnenen Krieg in die Nachbarschaft tragen“, meint Steinberg.
Das stellt laut Desroches den Westen vor eine furchtbare politische Zwickmühle: jetzt tatsächlich abzuziehen – oder über den Flughafen hinaus ganz Kabul zu kontrollieren und den ISK zu bekämpfen.
Anschläge zunächst vor allem in Pakistan und Usbekistan befürchtet
Erste Opfer möglicher Anschläge im Ausland dürften laut Experten Pakistan sowie die frühere Sowjetrepublik Usbekistan werden. Die Nuklearmacht Pakistan hatte die Taliban in den 1990er-Jahren aufgebaut. Damit wollte Islamabad den entscheidenden Einfluss auf das Nachbarland sichern, auch als wichtiges Unterpfand im Kampf gegen seinen Erzfeind Indien. Inzwischen bekämpft der Taliban-Ableger in Pakistan die dortige Regierung.

Die weibliche Bevölkerung im Land trifft die Taliban-Herrschaft am härtesten.
In Usbekistan werden seit Jahren brutal alle islamischen Bewegungen abseits der strikt kontrollierten staatlichen religiösen Linie unterdrückt. Es bildete sich mit der Hisb-ut-Tahrir-Bewegung eine Terrororganisation, die in Usbekistan, aber auch in Kooperation mit anderen Gruppen in Russland und zentralasiatischen Republiken Anschläge verübte. Aus Zentralasien kamen auch immer wieder Bombenattentäter, wie die beiden Brüder, die beim Boston-Marathon mit ihren Anschlägen Todesopfer forderten.
Der ISK hat sich seit Mitte 2014 in Afghanistan etabliert und den Taliban, die Afghanistan von 1996 bis zum US-Einmarsch nach dem 11. September 2001 regierten, den Kampf angesagt. Aus Sicht der „Hardcore“-Islamisten sind die „Korankrieger“ genannten Taliban nicht nur in der aktiven terroristischen Bekämpfung der als „gottlos“ verunglimpften Westler zu lasch.
Sie wollen nicht nur, wie die Taliban, die Macht am Hindukusch, sie wollen den Dschihad weit über Afghanistan hinaustragen. Sie sehen sich als „Terror-Internationale“ und wollen ein pannationales islamisches Kalifat. Und wer nicht mitzieht, wird hingerichtet. Wer aus ihrer Sicht als Spalter („Schirk“) der Kalifat-Idee agiert, begeht eine Todsünde.
Vor allem für Afghaninnen seien dies katastrophale Aussichten, meint die Jugendaktivistin Shkula Zadran: Hätten die Taliban sich in einigen Teilen des Landes schon mit Mädchenschulen und Frauen an Universitäten angefreundet, so verüben vor allem Gruppen des ISK immer wieder Anschläge vor Schulen und Unis. Allein im ersten Halbjahr waren 390 Mädchen und Frauen Opfer dieses Bombenterrors geworden.
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Hauptsache keine "Flüchtlinge" mehr nach Deutschland. Es sind genug da. Wenn ich verschiedene Meldungen in der heutigen Presse lese hat jeder deutsche Soldat an die hundert Bedienstete in Afghanistan. Die müssen jetzt nicht alle hier weiter dienen. Als ich 1984 aus Nigeria weg bin habe ich meinen Fahrer, meine Gartenboys und die Putzfrau/en auch nicht mitgenommen.
Es wird sicher Kaempfe zwischen den Taliban und dem IS und anderen Fraktionen geben
und diese werden sich auch nach Pakistan ausbreiten. Es ist schwer vorauszusagen, ueber
welche Kraefte die einzelnen Gruppen verfuegen, aber wahrscheinlich ist dass sich diese
Kaempfe in bestimmten Provinzen jahrelang hinziehen werden. Sie Libyen.