Raumfahrt „Raumfahrtindustrie wird sich dramatisch verändern“ – Das sind die Weltraumpläne der großen Staaten

Von Cape Canaveral in den USA fliegt der deutsche Astronaut Matthias Maurer zur ISS-Weltraumstation.
Abu Dhabi, Peking, Düsseldorf, Tokio, Bangkok Wie härtet sich Beton aus? Die Kristallisation des Baustoffs ist eine komplexe Angelegenheit, doch es ist wichtig, sie zu verstehen. Denn Beton ist ein Klimakiller, daher gilt es, den CO2-Ausstoß bei seiner Herstellung zu verringern. Die Aushärtung spielt dabei eine zentrale Rolle – und am besten lässt sie sich ohne Schwerkrafteinflüsse erforschen.
Ein Experiment dazu wird deshalb zu den Aufgaben des Astronauten Matthias Maurer zählen, der voraussichtlich in der Nacht auf Donnerstag um drei Uhr deutscher Zeit mit der US-Raumfahrtbehörde Nasa zur Internationalen Space Station (ISS) abheben wird. Bislang ist der Start bereits dreimal an den Wetterbedingungen und einer Erkrankung eines Astronauten gescheitert.
Wenn Maurer die ISS endlich erreicht, wird er alle Hände voll zu tun haben: Insgesamt soll er 160 Experimente aus der Physik, Medizin oder Biologie durchführen, 36 davon stammen von deutschen Universitäten oder Unternehmen.
Die Zahl der Versuche zeigt, dass Raumfahrt längst nicht nur für die Astronomie wichtig ist – oder für militärische Zwecke. Für immer mehr Länder und Unternehmen gewinnt sie auch wirtschaftlich an Bedeutung. „In den nächsten drei bis fünf Jahren wird sich die Raumfahrtindustrie dramatisch verändern“, sagt der indische Telekommilliardär Sunil Mittal. Indien solle dabei mitmischen, so seine Forderung.
Derartige Ambitionen gibt es nicht nur in Indien: Auch Länder wie China, Japan oder die Vereinigten Arabischen Emirate arbeiten an immer ehrgeizigeren Weltraumprojekten, mit denen sie eine eigene private Weltraumindustrie entwickeln wollen. Denn Start-ups wie das von Tesla-Chef Elon Musk gegründete SpaceX lassen die Preise für Raketenstarts drastisch fallen.
Die Start-ups schrecken auch in Europa die Europäische Space Agency (Esa) und etablierte Raumfahrtunternehmen aus dem Dornröschenschlaf. Es winkt ein Wachstumsmarkt. Laut Morgan Stanley soll 2040 eine Billion Dollar mit Raumfahrt umgesetzt werden.
USA: Projekte wie aus einem Science-Fiction-Film
Der deutsche Astronaut Maurer erhält bei seinen vielen Versuchen Unterstützung von „Cimon“, einem fliegenden, runden Roboter mit weißem Gehäuse und Smiley-Gesicht. Das ist ein Novum in der Raumfahrt, die sich auch in anderen Bereichen immer mehr einem Science-Fiction-Film annähert. Mondstationen, bemannte Flüge zum Mars, Satellitenkolonien – die amerikanischen Projekte lesen sich wie aus einem Perry-Rhodan-Heft.
Bis 2024 will die Nasa wieder Astronauten auf den Mond schicken. Nur ein Vorspiel im sogenannten Artemis-Programm: Bis Ende des Jahrzehnts soll eine ständige Basisstation auf dem Südpol des Monds entstehen. Die Nasa verfügt mit mehr als 23 Milliarden Dollar über das größte Raumfahrtbudget der Welt.
Allerdings gibt es zahlreiche Probleme. Das von der Nasa entwickelte Space Launch System verzögert sich beispielsweise. Eigentlich sollte die Riesenrakete in diesem Jahr ihren Jungfernflug haben, viele Jahre nach Plan. Doch wird es auch dieses Jahr nichts, jetzt hoffen die Experten auf 2022.
Es ist die übliche Malaise von staatlich geführter Entwicklung: langsam, teuer und verspätet. Die Kosten für das Space Launch System werden sich nach Berechnung des Nasa-Generalinspekteurs auf 86 Milliarden Dollar belaufen – mehr als doppelt so viel wie zuvor veranschlagt.
Das Ende der US-Weltraumpläne wird das nicht bedeuten. Die Mondbasis soll als eine Art Zwischenstation für „Deep Space Exploration“ dienen. Das ist das eigentliche Ziel: bemannte Flüge zum Mars und anderen Planeten und Monden.
Auch machen Privatunternehmen Druck. So will Elon Musk mit seinem Raumfahrtunternehmen SpaceX bis 2026 eine Mars-Mission unternehmen, was aber zu den typischen, allzu optimistischen Ankündigungen des Amerikaners gehören dürfte.
Europa: „Europa muss im Weltraum aufholen“
Europäische Unternehmen und Institutionen sind an vielen Nasa-Projekten beteiligt. Für das US-Mondprojekt Artemis arbeitet die Esa beispielsweise an der Orion-Kapsel. Eine Airbus-Tochter baut das Versorgungsmodul, zuständig für Antrieb, Strom, Wasser oder Atemluft. Die Europäer hoffen, im Tauschgeschäft mit den Amerikanern zum ersten Mal einen Astronauten zum Mond schicken zu können.
Die Juniorrolle von Europa in der Raumfahrt erklärt sich vor allem durch Geld. Nach Auskunft der Esa beziffern sich die Raumfahrtausgaben in Europa auf nur etwa acht Prozent von denen in Amerika. Zum europäischen Budget gehören auch die zuletzt 6,5 Milliarden Euro Jahresbudget für die Raumfahrtbehörde.
Eigene Projekte sind selten, dafür aber umso erfolgreicher. So installierte die Esa 1990 das Hubble-Weltraumteleskop, 2005 das Satellitennavigationssystem Galileo und arbeitet zusammen mit den Amerikanern und Kanadiern an dem Webb-Weltraumteleskop, das in wenigen Wochen in 2,5 Millionen Kilometer Entfernung von der Erde platziert werden soll.
Allerdings mehrt sich die Kritik an der Esa. Bislang verlässt sich Europa auf die Raketen des multinationalen Unternehmens Arianespace. Die sind aber vergleichsweise teuer, auch verzögert sich die lange geplante Ariane 6. Ursprünglich war der Jungfernflug für 2020 geplant, doch er wurde mehrfach verschoben und ist jetzt für das zweite Quartal 2022 avisiert.

Das Teleskop ist eines der Erfolgsprojekte der Esa. Allerdings mehrt sich mittlerweile die Kritik an der Raumfahrtagentur.
Offizieller Grund ist die Coronapandemie, die die Esa und Arianespace besonders hart trifft. Dort gilt der „Geo-Schlüssel“, jedes Mitgliedsland der Esa darf Teile für die Rakete herstellen und zuliefern. Das macht die Produktion komplex und anfällig für Lieferverzögerungen.
Die Langsamkeit der etablierten Unternehmen steht im Kontrast zu zahlreichen Start-ups in Europa und Deutschland, die im Eiltempo Raketen und Satelliten entwickeln – zu viel besseren Konditionen. „In Europas Raumfahrt passiert aktuell Spannendes und Vielversprechendes“, sagt Stefan Tweraser, Chef des Raketen-Start-ups Rocket Factory Augsburg.
Die Esa schwenkt unter Führung des neuen Generaldirektors Josef Aschbacher um. Die Behörde soll „dynamischer und schneller“ werden. Aufträge an Unternehmen dürften nicht mehr Monate dauern, bis sie bearbeitet werden. „New Space Unternehmen warten nicht so lange“, sagte Aschbacher. Seine Forderung: „Europa muss im Weltraum aufholen, um nicht aus dem Rennen geworfen zu werden.“
China: Neun-Milliarden-Weltraumprogramm kann bereits einige Erfolge verzeichnen
Für Chinas Staatsführung hat die Raumfahrt eine hohe Priorität. Was auffällt: Das Land kooperiert wenig mit anderen Staaten, versucht es im Alleingang. Das liegt auch an einem amerikanischen Gesetz von 2011. Danach darf die Nasa nicht mit chinesischen Staatsorganisationen zusammenarbeiten. China soll technische Informationen von US-Satellitenfirmen für seine Interkontinentalraketen genutzt haben.
In jüngster Zeit konnte das mit knapp neun Milliarden Dollar ausgestattete Weltraumprogramm der Volksrepublik einige Erfolge verzeichnen. So landete im Januar 2019 China als erste Raumfahrtnation auf der erdabgewandten Seite des Mondes, die noch relativ unerforscht ist. Im Mai dieses Jahres schafften es die Raumfahrer der Volksrepublik, Landfahrzeuge auf dem Mars einzusetzen – das hatten zuvor nur die USA erreicht.
Mitte Oktober startete ein dreiköpfiges Team aus einer Astronautin und zwei Astronauten zu einem sechsmonatigen Aufenthalt in der noch im Bau befindlichen chinesischen Raumstation. Es ist die längste Mission des chinesischen Raumfahrtprogramms bislang.
Doch die Pläne sind weit größer: So will China 2033 seine erste bemannte Mission zum Mars schicken. Das Land baut zudem eine Raumstation, die bislang ungefähr ein Fünftel so groß ist wie die ISS. Aber China denkt größter: Laut einer Ausschreibung der National Natural Science Foundations arbeitet die Volksrepublik an einer kilometergroßen Raumstation, die aus neuartigen Verbundwerkstoffen gebaut werden soll. Zum Vergleich: Die ISS ist nur 80 Meter lang.
Die vom chinesischen Staats- und Parteichef Xi Jinping 2014 offiziell angestoßene Raumfahrtoffensive sorgt auch in der Wirtschaft für einen Boom. Experten schätzen, dass es mittlerweile rund 100 Unternehmen in der Branche gibt.
Laut einer Analyse des IDA Science and Technology Policy Institutes konzentriert sich der gesamte Sektor vor allem auf den Start und die Nutzung von Kleinsatelliten. 2019 gelang erstmals einem privaten chinesischen Raumfahrtunternehmen der Start einer Trägerrakete in die Erdumlaufbahn.
Japan: Die Nation will den Weltraum industrialisieren
Japanische Astronauten sind Stammgäste auf der ISS. Seit Jahrzehnten schickt das Land eigene Satelliten mit eigenen Raketen ins All. Die japanische Weltraumbehörde Jaxa holte bereits zweimal Staub von fernen Asteroiden zurück zur Erde. Nun plant die Jaxa eine Mission zum Mars-Mond Phobos.
Die Erschließung des Weltalls soll für Japan zu einem Pfeiler seiner Wirtschaft werden. Die Unternehmen sind bereits hochaktiv. Vorigen Monat kündigte der Autobauer Honda an, Transportmittel ins All zu bauen. Das Start-up Interstellar Technologies und das von Canon und anderen Großkonzernen unterstützte Unternehmen Space One entwickeln preiswerte kleine Raketen für den boomenden Satellitenmarkt.
Darüber hinaus gibt es bereits eine Reihe an Start-ups, die mit Satellitendiensten oder dem Aufräumen von Weltraumschrott Geld verdienen wollen.
Das Unternehmen iSpace will sich als eine Art globaler Weltraumspediteur für kommerzielle Mondmissionen etablieren. Das Start-up entwickelt dafür eigene Mondlandegeräte und bietet bereits Transportdienste mitsamt Datenkommunikation an. „Wir erwarten ein Mondtransportgeschäft im zweistelligen Milliarden-Dollar-Bereich“, sagt iSpace-Gründer Takeshi Hakamada.
Einen ersten Kunden hat iSpace schon angeworben. 2022 soll es einen Rover der Vereinten Arabischen Emirate (VAE) zum Mond transportieren, mit einem Flug von SpaceX.
Vereinigte Arabische Emirate: Venus-Mission geplant
Nur zehn Millionen Menschen leben in den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE). Aber der Golfstaat kann in der Raumfahrt einige Erfolge vorweisen. So schickten die Emirate 2019 den ersten arabischen Astronauten zur ISS. Ein Jahr später erreichte eine Sonde der VAE den Mars. So soll es weitergehen. 2028 ist eine Venus-Mission mit Erkundung des Asteroiden-Gürtels um den Planeten geplant.
Doch das Ziel der Forschungsreisen ist letztlich der Export von Weltallsystemen und -dienstleistungen. Mehr als 50 Firmen sind in den VAE bereits im Raumfahrtsektor tätig. „Mit unseren Mars- und Venus-Missionen schaffen wir einen Markt, helfen Start-ups, sich zu gründen“, sagt Sarah Al Amiri, Staatsministerin der VAE für Advanced Technologies und Chefin des Weltraumzentrums der Emirate. Das Ziel sei eine „lebendige Weltraumindustrie“, die bis 2025 eine Milliarde Dirham erlöst, umgerechnet 233 Millionen Euro.
Indien: Kostengünstige Raumfahrttechnik
Für gerade einmal 74 Millionen Dollar schickte Indien eine Sonde zum roten Planeten. Die Summe entspricht einem Drittel der VAE-Mission und einem Zehntel einer vergleichbaren Mission der Nasa.
Mit dem Ruf, Raumfahrt so günstig wie kein anderes Land betreiben zu können, will Indien auch den Markt für kommerzielle Missionen im All aufmischen. Derzeit liegt Indiens Marktanteil nach Angaben der lokalen Weltraumbehörde ISRO bei rund zwei Prozent. Bis 2030 hofft sie, den Anteil auf neun Prozent zu steigern.
Premierminister Narendra Modi setzt dabei auf eine deutlich engere Verzahnung von Staat und Privatwirtschaft. Mehr als 120 indische Start-ups arbeiten derzeit an Weltraumtechnik: Bellatrix Aerospace aus Bangalore ist eines der erfolgreichsten.
Das Unternehmen entwickelt Antriebssysteme für Satelliten und schloss vergangene Woche eine Kooperationsvereinbarung mit dem indischen Maschinenbaukonzern Larsen & Toubro ab, um seine Produkte auf den Weltmarkt zu bringen.
Und Bellatrix soll nicht das einzige bleiben. Jahrzehntelang hätten Regierungsinstitutionen Indiens Weltraumambitionen geprägt, sagte Ministerpräsident Narendra Mori vor wenigen Wochen bei der Gründung des indischen Weltraumkonsortiums: „Das Gebot der Stunde ist, Talenten in dem Bereich keine Beschränkungen aufzuerlegen, sei es im öffentlichen oder im privaten Sektor.“
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.