Lieferdienst Bei Delivery Hero sind weiter keine Gewinne in Sicht – der Dax-Konzern im Bilanzcheck

Zehn Jahre nach der Gründung wächst der inzwischen weltweit aktive Konzern weiter rasant.
Hamburg Es ist ein Plan, der nicht recht zur Strategie passen will: Der Lieferkonzern Delivery Hero kehrt zurück auf den deutschen Markt, nachdem er sein Heimatgeschäft vor gut zwei Jahren veräußerte. Damals trat er die Flucht an vor einer Werbeschlacht gegen den Rivalen Just Eat Takeaway.
Die Rückkehr kommentierte Delivery-Hero-Chef Niklas Östberg vor wenigen Tagen in einem Tweet: „Es ehrt uns zu hören, dass die Investoren denken, wir würden Just Eat Takeway in Deutschland herausfordern. Aber um ehrlich zu sein, sind sie uns 15 Jahre Startvorsprung und 15 Millionen monatliche Bestellungen voraus.“
Ziel sei es – anders als in den 50 anderen Konzern-Ländern – nicht, Marktführer in Deutschland zu werden, sondern dort aktiv zu sein, wo die Hälfte der Mitarbeiter arbeitet. Nur so könne die Mannschaft den weltbesten Lieferdienst entwickeln.
Das Wirken von Delivery Hero bleibt gegenüber den Investoren erklärungsbedürftig. Die Berliner sind der einzige Konzern im Leitindex Dax, der operativ noch nie Geld verdient hat. Zehn Jahre nach der Gründung wächst der inzwischen weltweit aktive Konzern allerdings rasant: 2020 verdoppelte Östberg den Umsatz. Entsprechend tat sich viel – im Unternehmen und in der Bilanz.
Östberg konnte zeigen, dass mit steigendem Umsatz die Gewinnschwelle näher rückt. Allerdings fiel der Beweis nicht ganz so deutlich aus wie von ihm zum Jahresbeginn 2020 erhofft. Der bereinigte Verlust vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) lag höher als im Vorjahr, obwohl der Konzern einen geringeren Verlust prognostiziert hatte. Grund sind die unerwartet hohen Ausgaben.
Auf der virtuellen Hauptversammlung am 16. Juni wird Östberg den Aktionären erläutern müssen, wieso er sich nicht auf einen Stichtag für den Break-even festlegen will. Für 2021 warnt der Konzern schon einmal, die neue Prognose sei mit erheblichen Unsicherheiten behaftet. Dabei sieht Delivery Hero bereits hier eine Ebitda-Marge von minus 1,5 bis minus 2 Prozent, gemessen am Ordervolumen.
Auf eine Dividende dürfen die Aktionäre angesichts der anhaltenden Verluste nicht hoffen. Stattdessen soll die Hauptversammlung den Weg frei machen für weitere Kapitalerhöhungen. Zuletzt sammelte der Konzern so im Januar 1,3 Milliarden Euro ein.
Der Verlust je Euro Umsatz sinkt
Östbergs Argument für den aggressiven Wachstumskurs: Mit ihm sinkt der operative Verlust je umgesetzten Euro. Theoretisch könnte Delivery Hero so in die Gewinnzone wachsen, wie das abgelaufene Geschäftsjahr zeigte.
Während der Umsatz um 99,7 Prozent auf 2,47 Milliarden Euro zulegte, stieg der operative Verlust nur um 38 Prozent. Der Größeneffekt hilft insbesondere bei den Werbeausgaben: Die Umsatzverdopplung‧ gelang mit nur gut einem Viertel mehr Marketingaufwendungen.
Schon zu Jahresbeginn 2020, also vor Ausbruch der Pandemie, hatte der Konzern mit der Umsatzverdopplung geplant. Das Wachstum ist damit kein Resultat des pandemiebedingten Trends zu Lieferdiensten. Der Konzern meldete vielmehr zwei gegenläufige Corona-Effekte: Zwar entdeckten neue Kunden während der Ausgangssperren die Liefer-Apps. Andererseits hatten viele Restaurants, die nebenbei auch über die Delivery-Hero-Plattformen verkaufen, zeitweise geschlossen.
Die präzise Punktlandung beim Verdopplungsziel zeigt zudem, dass der Konzern die Nachfrage steuern kann – etwa über die Ausgabe von Gutscheinen. Die Pandemie half dabei, dieses teure Mittel zu begrenzen: Die Gutscheinquote sank von 15,5 Prozent im Vorjahr auf 12,8 Prozent.
Dass im Vorjahr unterm Strich noch ein Konzerngewinn stand, während man 2020 ins Minus rutschte, ist keineswegs ein Zeichen rückläufiger Ertragsstärke. Der Vorjahresgewinn resultierte allein aus dem Verkauf des Deutschlandgeschäfts, der 797 Millionen Euro sonstige betriebliche Erträge einbrachte – ein einmaliger Effekt.
Konzernumbau belastet Bilanz
Deutlich angestiegen sind 2020 die Abschreibungen – von 160 Millionen Euro im Vorjahr auf 640 Millionen Euro 2020. In Nahost verursachten die Tochtergesellschaften höhere Abschreibungen: 106 Millionen Euro nach nur 15 Millionen Euro im Vorjahr. In Südamerika stiegen die Abschreibungen sogar um den Faktor 4,7 auf 395 Millionen Euro.
Das dürfte mit dem Konzernumbau zusammenhängen: Delivery Hero hat 2020 das Südamerikageschäft des Konkurrenten Glovo gekauft. In Nahost kam InstaShop hinzu. Insgesamt gab der Konzern 483,5 Millionen Euro für Zukäufe aus. Komplett eingestellt – nicht verkauft – wurde das Geschäft in Kanada.
Noch deutlicher zeigen sich die Vorbereitungen auf die bereits Ende 2019 vereinbarte Übernahme des großen koreanischen Konkurrenten Woowa. Während des gesamten Jahres prüften die Seouler Kartellwächter, weshalb der Deal erst im März 2021 für 5,7 Milliarden Euro wirksam wurde. Allerdings besorgte Delivery Hero bereits 2020 das Geld dafür. Neben neuen Aktien wurden 1,7 Milliarden Euro Barmittel nötig.
Das spiegelt sich auch in der Kapitalflussrechnung wider. Hier steigen nicht nur die Investitionen in die Zukäufe und für den weiteren Ausbau des Geschäfts. Die größte Veränderung gibt es beim Cashflow aus Finanzierungstätigkeit: 3,76 Milliarden Euro flossen dem Unternehmen zu. Das Geld stammt vor allem aus zwei Wandelschuldverschreibungen und einer Kapitalerhöhung. Das belegt: Delivery Hero ist am Kapitalmarkt gut gelitten und kann sich problemlos weiteres Geld besorgen.
Damit ist der Hauptzweck des Börsengangs aus dem Jahr 2017 erfüllt. Allerdings sinkt durch die Wandelschuldanleihen die Eigenkapitalquote zunächst deutlich: Ende 2019 lag sie bei knapp 70 Prozent, ein Jahr später bei gut 20 Prozent.
Die Zukäufe zeigen sich auch im Goodwill, den immateriellen Werten von übernommenen Unternehmen. Die Kennzahl stieg auf 1,1 Milliarden Euro und erreichte damit annähernd die Höhe des Eigenkapitals. Zum Problem könnte das werden, falls das Geschäft nicht so gut läuft wie bei der Übernahme erhofft: Dann drohen Goodwill-Abschreibungen, die das Eigenkapital aufzehren.
Nur in der Region Nahost arbeitet Delivery Hero profitabel
Delivery Hero ist ein Konzern aus etlichen selbst gegründeten oder zugekauften Landesgesellschaften. Dabei sind die Kontinente in unterschiedlichen Wachstumsstufen. Der Großteil des Umsatzplus kommt aus Asien, wo das Woowa-Management in Singapur eine neue Asien-Zentrale für den Konzern aufbaut. Auf dem Kontinent verdreifachte sich die Zahl der Bestellungen.
Da allerdings der durchschnittliche Bestellwert sinkt – das größte Plus liegt in Ländern mit niedrigen Preisen –, stieg der Umsatz hier nicht im Gleichschritt.
Das geringste Wachstum stammt aus Nahost, dennoch war die Region 2020 als einzige operativ vor Abschreibungen (Ebitda) profitabel. In Europa verfehlte Delivery Hero die Ebitda-Gewinnschwelle knapp. Im laufenden Jahr sind dort Veränderungen zu erwarten: Delivery Hero hat gerade das Balkan-Geschäft verkauft, was die Marge stärken dürfte. Andererseits kostet der Wiederaufbau in Deutschland Geld.
2020 näherte sich Östberg allerdings nur dank einer Bilanzierungsumstellung in Europa der Gewinnschwelle: Er verschob einen Teil des Geschäfts in den neu ausgewiesenen Bereich „Integrated Verticals“. Ohne diese Operation hätte das Europageschäft 8,1 Millionen Euro Ebitda-Verlust ausgewiesen.
Neugeschäftsfeld Supermarkt
Der neu ausgewiesene Bereich umfasst ein Geschäftsfeld, in dem sich Östberg Chancen verspricht. Er steigt in den schnellen Lieferdienst mit Supermarktartikeln aus eigenen Lagern ein. Damit wird Delivery Hero vom reinen Logistiker zum Einzelhändler auf eigene Rechnung. Er kann damit in dem Segment mit Liefergebühren und einer zusätzlichen Handelsmarge rechnen, muss aber mehr Kapital für Vorräte und Lagerinfrastruktur einplanen sowie einen eigenen Einkauf aufbauen.
In der Bilanz zeigt sich das an den um 329 Prozent gestiegenen Vorräten. Allerdings belegt der niedrige absolute Wert von 36,1 Millionen Euro, dass der Geschäftszweig dünn ist. Knapp 184 Millionen Euro Umsatz kamen hier zusammen – und 65 Millionen Euro negatives bereinigtes Ebitda. Dieses Jahr dürften Anlaufverluste aus Deutschland hinzukommen.
Das Deutschland-Engagement widerspricht dem sonstigen Bestreben, nur dort aktiv zu sein, wo man Marktführer sein kann. Delivery Hero wirft sich dennoch in die neu entbrannte Schlacht um den Liefersupermarkt der Zukunft. Der Konzern will seine Heimat nicht den Start-ups Gorillas und Flink überlassen, die mit dem Versprechen antreten, Lebensmittel innerhalb von zehn Minuten auszuliefern.
Delivery Hero setzt dem werbewirksam sieben Minuten entgegen. Dabei hilft, dass Delivery Hero beim Start auf seine erprobte Software-Lösung setzen kann – anders als bei Gorillas, dessen zugekaufte App und interne Software ausbaufähig sind.
Warnhinweis der Prüfer
Die Anmerkungen der Wirtschaftsprüfer von KPMG sind umfangreich. Unter anderem weisen sie darauf hin, dass Delivery Hero in 50 Ländern mit seinem Marktplatzgeschäft aktiv ist – und dabei mit unterschiedlicher Software zur Abrechnung arbeitet.
„Es besteht das Risiko für den Abschluss, dass Umsatzerlöse in den Hauptumsatzströmen Online-Marktplatzdienste sowie Lieferdienste ohne zugrunde liegende Lieferungen oder Leistungen erfasst werden“, warnen die Prüfer. Allerdings hätten Stichproben und Untersuchungen keine Unregelmäßigkeiten gezeigt.
Finanzchef Emmanuel Thomassin will die Finanzsoftware auf SAP und Salesforce vereinheitlichen. Insgesamt steuern vier Hubs die Finanzen: Berlin, Singapur, Dubai und Buenos Aires.
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