IAA Mobility „Dramatische Situation“ – VW-Chef Diess präsentiert sich als Vorkämpfer für die Umwelt

„Wir haben in der Vergangenheit nicht konsistent gehandelt. Es ist nicht alles gemacht worden, was eigentlich möglich gewesen wäre.“
München Während Klimaaktivisten rund um München Autobahnkreuze blockieren, ruft der Volkswagen-Vorstandsvorsitzende Herbert Diess auf der IAA zur Dekarbonisierung der Wirtschaft und zur weitgehenden Elektrifizierung der Industrie auf. Nicht nur die Autohersteller müssten ihren Beitrag zum Klimaschutz leisten, sondern auch viele andere Wirtschaftssektoren.
„Der Klimawandel ist die größte Herausforderung für die kommenden Jahre“, sagte der VW-Chef am Dienstag auf dem Münchener Messegelände. Der Klimawandel werde sich in nächster Zeit noch beschleunigen, Diess sprach wörtlich von einer „dramatischen Situation“. Viele Menschen forderten deshalb immer öfter schnelle Veränderungen.
Dabei sind Diess und VW selbst in der Defensive. Greenpeace und Deutsche Umwelthilfe drohen mit Klagen, sollten die Autohersteller sich nicht schriftlich verpflichten, bis 2030 aus der Verbrennertechnik auszusteigen. In der vergangenen Woche hatten die Ökoverbände angekündigt, an Volkswagen, Mercedes-Benz und BMW sogenannte „klimaschützende Unterlassungsansprüche“ zu verschicken. In den Schreiben geben die Verbände den Autobauern ein paar Wochen Zeit, um sich zu verpflichten, ab 2030 keine „Pkw und leichten Nutzfahrzeuge“ mit Verbrennungsmotor mehr in den Markt zu bringen. BMW und Daimler weisen das Ultimatum der Umweltschützer zurück, Volkswagen will es zunächst prüfen.
„Wir haben in der Vergangenheit nicht konsistent gehandelt. Es ist nicht alles gemacht worden, was eigentlich möglich gewesen wäre“, räumte Diess ein. Zugleich warnte er aber vor zu viel Pessimismus: Wenn die Kohlendioxidemissionen in nächster Zeit reduziert würden, dann werde sich die Lebensqualität sogar verbessern.
Bei Volkswagen will Diess dafür sorgen, dass der Transportsektor einen wesentlichen Anteil zur CO2-Reduzierung leistet. Rund 16 Prozent der weltweiten Kohlendioxidemissionen entfallen auf Autos, Busse, Lastwagen, Flugzeuge und Schiffe. Der VW-Chef will die Minderung der Treibhausgasemissionen im Transportsektor erreichen, „ohne die Weltökonomie zu schädigen“.
Auch in einer Welt mit weniger Kohlendioxid bleibe Platz für das eigene Auto – dann eben mit Elektroantrieb. „Persönliche und individuelle Mobilität ist ein Grundbedürfnis“, sagte der VW-Chef. Das hätten die vergangenen eineinhalb Jahre mit ihren Corona-Beschränkungen mit allem Nachdruck unter Beweis gestellt. Volkswagen wolle seinen Beitrag zur CO2-Reduzierung durch einen „möglichst schnellen“ Aufbau der Elektromobilität leisten. Auch bei Schiffsdieseln werde etwas passieren. Die Konzerntochter MAN Energy Solutions (MAN ES) gehört weltweit zu den wichtigsten Anbietern von Schiffsmotoren.
VW-Fonds soll CO2-Minderung unterstützen
Bis zum Jahr 2030 will Diess die CO2-Belastung von Volkswagen-Fahrzeugen um 30 Prozent senken, gemessen am Startjahr 2018. Ebenfalls für 2030 peilt der VW-Konzern bei seinen Neuzulassungen in Europa einen Elektroanteil von 70 Prozent an. Auf dem für Volkswagen besonders wichtigen chinesischen Markt wird die Elektrifizierung etwas langsamer verlaufen, ebenso in den USA.
Für den umwelt- und klimapolitischen Erfolg ist es aus Sicht von Diess unverzichtbar, dass es parallel zum Wechsel der Antriebsart beim Auto einen steten Ausbau der erneuerbaren Energieformen wie Wind- und Solarkraft gibt. Nur bei der Verwendung erneuerbaren Stroms seien die Elektroautos wirklich sauber.
„Dann muss die Politik dafür sorgen, dass der Strom bis 2030 nicht mehr aus Kohlekraftwerken kommt. Nur dann ist es sinnvoll, dass die Automobilindustrie auf Elektro umstellt. Sonst könnte ich nicht hinter dem stehen, was ich persönlich bei Volkswagen umzusetzen versuche“, hatte Diess zuvor in einem Gespräch mit dem Handelsblatt gesagt.
In der Automobilindustrie sei der Wechsel auf den Elektroantrieb noch vergleichsweise einfach möglich. Andere Branchen wie die Stahl-, Zement- und Aluminiumindustrie täten sich damit wesentlich schwerer. Auch bei der CO2-Speicherung („Carbon Capturing“) seien die Fortschritte klein. „Die Technik ist immer noch zu teuer. Es ist schwer, sie wirtschaftlich zu betreiben“, so Diess auf der Münchener IAA.
Volkswagen wolle selbst einen eigenen Venture-Capital-Fonds mit einem Volumen von 300 Millionen Euro auflegen. Der Fonds solle Projekte für Kohlendioxidminderung und -speicherung unterstützen. Die Finanzierungsbedingungen für solche Projekte hätten sich in letzter Zeit entscheidend verbessert, weil sich Finanzinvestoren immer stärker dafür interessierten. „Die Finanzbranche beschleunigt die Veränderungen“, hob Diess lobend hervor.
Merkel: „Die Autoindustrie ist auch ein zentraler Teil der Lösung des Klimaproblems“
Zum wiederholten Male sprach sich der Volkswagen-Chef für eine verschärfte CO2-Besteuerung aus. Beispielhaft ist nach Meinung von Diess Schweden vorgegangen, wo eine Tonne Kohlendioxid mit 100 Euro Steuer belastet wird. In Deutschland ist erst eine schrittweise Anhebung von 25 auf 50 Euro geplant. Schweden sei eine deutliche CO2-Minderung gelungen, ohne eine Veränderung des Wohlstands. „Wir können weiterhin in den Urlaub fliegen, auch wenn es etwas teurer wird“, so Diess.
Diess kritisiert Subventionen für fossile Kraftstoffe
Er kritisierte die Politik dafür, dass die Subventionierung fossiler Kraftstoffe unverändert fortgesetzt werde. Als Beispiele nannte der VW-Chef die reduzierte Diesel-Steuerlast in Deutschland und die weltweite Steuerbefreiung für den Flugzeug-Kraftstoff Kerosin.
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Der Volkswagen-Vorstandsvorsitzende gehört zusammen mit anderen Konzernchefs großer europäischer Unternehmen der sogenannten „CEO Alliance“ an. Darin ist nicht nur die Automobilindustrie vertreten, sondern auch andere Branchen wie Energie, Telekom, Anlagenbau und IT haben sich angeschlossen. VW-Chef Diess hält besonders enge Kontakte zu Francesco Starace, Vorstandsvorsitzender des italienischen Stromkonzerns Enel und ebenfalls Mitglied der „CEO Alliance“.
Starace war dem Auftritt des VW-Chefs auf der IAA per Video zugeschaltet. Der Enel-CEO hob hervor, wie wichtig die branchenübergreifende Zusammenarbeit sei, um eine nachhaltige CO2-Minderung zu erreichen. Die Elektromobilität führe zu einer völlig neuen Zusammenarbeit zwischen Autokonzernen und Stromproduzenten.
Der Enel-Chef gab sich zuversichtlich, dass in Zukunft ausreichend Strom für Millionen neuer Elektroautos zur Verfügung stehen wird. Allerdings müsse das gesamte europäische Leitungsnetz ausgebaut und digitalisiert werden, um den benötigten Strom effizient zu den Elektroautos zu leiten. Unverzichtbar sei auch der schnelle Ausbau der Ladeinfrastruktur.
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Eine faszinierende Messe. Die spannensten "Hingucker" sind ein Auto-Ei und ein Dreirad.
Früher hieß es "Freude am Fahren" bei BMW und "Fahrvergnügen" bei VW. -Tempi passati-, Bald muß jedem ausgelieferten Fahrzeug, ein Warnhinweis, wie auf Zigarettenpackungen, beigelegt werden.