Technologiekonzern Siemens-Chef Busch schwört Führungskräfte ein: „Wir müssen noch agiler und schneller werden“

Bei großen Teilen der Belegschaft und der Investoren kommt der Führungsstil des neuen Siemens-Chefs gut an.
München Für die Führungskräftetagung hatte Roland Busch ein Schlagzeug auf der Bühne aufbauen lassen. Der Drummer sollte die Botschaft des Siemens-Chefs akustisch verdeutlichen: Die Taktzahl bei dem Technologiekonzern muss höher werden, man müsse zudem agil in der Lage sein, das Tempo den Märkten entsprechend zu variieren.
Es war die erste Siemens Business Conference (SBC) von Busch als CEO und auch die erste, die virtuell abgehalten wurde. Der neue Chef nutzte sie, um seine Führungsmannschaft einzuschwören.
„Wir haben die richtige Strategie und das richtige Team, um erfolgreich zu bleiben“, sagte er laut Teilnehmern zum Auftakt am Dienstag mit Verweis auf die zuletzt guten Ergebnisse. Er warnte aber sogleich davor, sich auf den Erfolgen auszuruhen. „Unser Umfeld ändert sich sehr schnell.“
Die Zyklen würden kürzer, es gebe viele neue Geschäftsmodelle, und die Digitalisierung beschleunige die Transformation der Märkte, sagte Busch. „Darauf müssen wir uns einstellen, indem auch wir noch agiler und schneller werden.“ Dies gelte für die Entscheidungen ebenso wie für die Zusammenarbeit mit Kunden und bei der Umsetzung von Innovationen.
Seit Februar steht der frühere Technologie-Chef Busch an der Spitze von Deutschlands größtem Technologiekonzern. Viele Arbeitnehmervertreter, aber auch Manager hatten sich nach dem Finanzexperten und polarisierenden Umbaumeister Joe Kaeser wieder einen Ingenieur als CEO gewünscht.
Bislang konnte der 56-Jährige intern die Erwartungen zu einem guten Teil erfüllen. „Er meint es wirklich ernst, wenn er von einer neuen Führungskultur spricht“, sagt ein Siemens-Manager. Der Vorstandschef versuche, die Entscheidungswege zu verkürzen und Silos im Unternehmen aufzubrechen.
Siemens soll das Wachstum beschleunigen
Auch auf der Führungskräftetagung wollte Busch demonstrieren, dass er verfestigte Strukturen aufbrechen will. In früheren Jahren hatten sich die Geschäftsbereiche oft hintereinander präsentiert. Diesmal gab es Themenblöcke quer über die einzelnen Einheiten hinweg. Zudem gab es Live-Schalten zu Kunden. Schließlich ist die Fokussierung auf den Kunden einer von Buschs erklärten Schwerpunkten.
Sein zentrales Thema aber ist die Geschwindigkeit. Auf einer Kapitalmarkttagung im Juni hatte er bereits eine Beschleunigung des Wachstums angekündigt. Den Umsatz will Deutschlands größter Technologiekonzern nun über die Geschäftszyklen hinweg jährlich um fünf bis sieben Prozent steigern.
Bislang hatte das Unternehmen vier bis fünf Prozent versprochen. Das Geschäft mit Software und digitalen Lösungen soll in den nächsten Jahren prozentual zweistellig zulegen. Auch die Führungskräftetagung stand daher nun unter dem Motto „Accelerate“.
Im Umfeld Buschs heißt es aber, es gehe nicht um Tempo um seiner selbst willen. Der CEO sehe, dass verschiedene Geschäfte unterschiedliche Geschwindigkeiten bräuchten – auch das sollte der Schlagzeuger durch Rhythmuswechsel verdeutlichen. Die Entwicklung einer neuen Zuggeneration brauche auch heute noch Jahre. Bei der Industriesoftware und -automatisierung müsse man im Zeitalter der Digitalisierung dagegen in viel kürzeren Zyklen denken.
Im Grundsatz sind sich da bei Siemens derzeit alle einig. Auch aus dem Arbeitnehmerlager gibt es bislang eher Kritik an einzelnen Punkten und nicht an Buschs Strategie insgesamt. Als das Handelsblatt vor wenigen Tagen berichtete, dass das Geschäft mit großen Antrieben ausgegliedert wird, erklärten Betriebsräte und IG Metall, man sehe die Argumente der Konzernführung „äußerst kritisch“.
Die Sparte mit weltweit etwa 7000 Beschäftigten, die zum Beispiel Motoren für den Bergbau produziert, gehört schon seit einiger Zeit nicht mehr zum Kerngeschäft. Durch die Verselbstständigung wird nun ein möglicher Verkauf vorbereitet.
Doch werten es die Arbeitnehmervertreter als positiv, dass Busch den Konzern nach den radikalen Umbauten der vergangenen Jahre bezogen auf das Kerngeschäft nicht immer weiter aufspalten will.
Abkehr von Kaesers Radikalumbau
Im Gegenteil: Der Vorstandschef sieht die Kombination von Hard- und Software im Wettbewerb mit den großen US-IT-Konzernen als die große Stärke der Münchener. „Die Kombination der realen und digitalen Welt ist die große Stärke von Siemens“, sagte er im Gespräch mit dem Handelsblatt.
Buschs Vorgänger Joe Kaeser hatte den Konzern radikal umgebaut. Er brachte die Gesundheitstechnik als Healthineers an die Börse und spaltete das Energiegeschäft als Siemens Energy ab. Beide Unternehmen sind inzwischen im Dax notiert.
Der neue CEO steht nun für keine radikale Kehrtwendung. Schließlich hatte Busch Kaesers „Vision 2020“ und das Nachfolgeprogramm mitentwickelt – als Strategiechef, Vorstand, Technologie-Verantwortlicher und Konzernvize.
Doch hat Busch klargestellt, dass er sich nun wieder stärker auf die Vorteile des integrierten Technologiekonzerns konzentrieren will. Zwischen den verbliebenen Geschäften sollen also wieder vermehrt Synergien gesucht und genutzt werden.
Zentrales Projekt Buschs ist derzeit die Umstellung auf ein „Software as a Service“-Mietmodell bei der Industriesoftware. Dadurch sollen die IT-Umsätze verstetigt werden. Allerdings hatten sich selbst Branchenriesen wie SAP mit der Umstellung schwergetan.
Die technologische Kompetenz von Busch sei unumstritten, sagt Harald Smolak, Ex-Siemens-Manager und jetzt Partner bei der Managementberatung Atreus, „sein ausgeprägtes Gespür für neue Trends ebenso“.
Zusätzlich wirke er aber deutlich mehr „als empathischer Leader mit großem Interesse an seiner Belegschaft“. Er intensiviere die Kontakte und suche den Dialog sowohl auf persönlicher Ebene als auch über digitale, standortunabhängige Veranstaltungen.
Busch hat sein Führungsteam geformt
Auch Daniela Bergdolt von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) ist bislang zufrieden. „Roland Busch hat kein leichtes Erbe angetreten, Joe Kaeser war eine große Unternehmerpersönlichkeit“, sagt sie. Doch habe Busch seinen eigenen Stil gefunden und bringe diesen glaubwürdig rüber. „Er kann die Mitarbeiter mitreißen.“
Das gilt bislang auch für den Vorstand. In Kaesers Ägide waren sehr unterschiedliche Charaktere im obersten Führungsgremium. Immer wieder kam es zu Reibereien.
Busch hat sich inzwischen sein Team geformt. Neu in den Vorstand aufgerückt ist Matthias Rebellius, der das Geschäft mit der intelligenten Infrastruktur rund um die Gebäudetechnik verantwortet. Zum mächtigen Industrievorstand wurde Cedrik Neike befördert, Personalchefin wurde als Nachfolgerin von Janina Kugel dann Judith Wiese.
„Der neue Vorstand funktioniert bislang gut“, sagt ein Aufsichtsrat. Es gebe weniger Eitelkeiten als in früheren Jahren.
Die Börse hatte den Umbau des Konzerns in den vergangenen anderthalb Jahren honoriert. Vor einigen Wochen markierte der Aktienkurs ein neues Rekordhoch von mehr als 150 Euro. Seither ist der Kurs allerdings etwas abgebröckelt. Im aktuell unsicheren Umfeld warten Investoren ab, wie die Jahreszahlen und vor allem auch die Prognose für das gerade begonnene Geschäftsjahr 2021/22 (30. September) ausfallen.
Denn eins ist allen Beteiligten klar: Die große Harmonie bei Siemens liegt auch daran, dass die Geschäfte derzeit gut laufen. Kaeser und Busch hoben mehrmals die Prognose an. Zuletzt erwartete der Konzern auf vergleichbarer Basis für 2020/21 (30. September) ein Umsatzwachstum von elf bis zwölf Prozent und einen Nettogewinn von 6,1 bis 6,4 Milliarden Euro.
Die großen Bewährungsproben könnten erst noch kommen. „Die größte Herausforderung ist und bleibt, die bestehenden Business-Lösungen um neue datengetriebene Geschäftsmodelle zu ergänzen und erfolgreich zu managen“, sagt Atreus-Partner Smolak. Dafür seien seine Qualitäten als „transformationaler Leader“ gefragt. „Er muss seine Führungskräfte für den eingeschlagenen Weg begeistern.“
Ob Siemens oder die US-IT-Konzerne auf längere Sicht die Digitalisierung der Industrie dominieren, ist noch nicht ausgemacht. Große Fehler darf sich Busch nicht erlauben. Das Wirken von Kaeser und nun Busch sei auch für den Standort Deutschland von großer Bedeutung, sagt Aktionärsschützerin Bergdolt. „Sie sichern das Überleben eines großen Traditionsunternehmens. Siemens ist auf dem richtigen Weg, um auch in 50 Jahren noch zu bestehen.“
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