Der Verleger und Sammler Lothar Schirmer über die Ideen von Joseph Beuys und seinen Markt
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100. Geburtstag von Joseph BeuysLothar Schirmer: „Die Preisschlacht kommt erst noch“
Der Verleger und frühe Beuys-Sammler Lothar Schirmer erklärt, warum er 50 Bücher über den Künstler herausgebracht hat. Ein Zeitzeugengespräch.
Der Künstler, streitbare Professor und Kunsterneuerer trat mit Hut und Anglerweste auf. Er wäre im Mai 100 geworden.
(Foto: ullstein bild)
München Kunst und Bücher sind das Leben des Münchener Verlegers Lothar Schirmer. Die Kunst in seiner großen Wohnung, in der wir uns zum Interview treffen, verrät die Vorlieben des 75-Jährigen: ein großer Foto-Leuchtkasten von Jeff Wall, Zeichnungen von Cy Twombly, Scherenschnitte von Otto Philipp Runge und natürlich Arbeiten von Joseph Beuys.
In einer Vitrine liegen die Capri-Batterie und die Intuitionskiste. Davor stapeln sich gerahmte Papierarbeiten von Beuys, der vor hundert Jahren geboren wurde: der Goldhase auf DDR-Packpapier, ein blauer Hase auf Buntpapier und andere Hasenmotive.
Lothar Schirmer hat Beuys mehr als 20 Jahre begleitet. Als Sammler, Verleger und auch als Bewunderer. Beuys hingegen sah Schirmer als Jünger und wusch ihm 1971 im Rahmen der Aktion „Celtic“ die Füße. „Wegen Beuys bin ich Verleger geworden“, gesteht er im Gespräch mit dem Handelsblatt.
Herr Schirmer, die Kunst von Beuys sei eine Zumutung, behauptet der Grafiker Klaus Staeck, ein anderer Beuys-Kenner. Stimmen Sie ihm zu? Das kann ich so nicht unterschreiben. Das kann nur sagen, wer einen bourgeoisen Kunstbegriff hat. Aber eine Herausforderung ist Beuys schon. Sein Werk stellt den Bruch mit allen vorherigen künstlerischen Grundkonzepten dar. Mit ihm begann eine Ära außerhalb jeglicher Tradition und Kunsterfahrung. Mir ging es genauso, als ich 1964 auf der „Documenta“ in einer Vitrine erstmals drei Skulpturen von ihm sah. Sie lösten bei mir zunächst Unbehagen aus.
Sie sprechen von der „Bienenkönigin“, die später in Ihre Sammlung kam? Die Arbeiten widersprachen allem, was ich bis dahin an moderner Skulptur gesehen hatte. Es war eine völlige Umkehrung der Kräfte. Während moderne Skulpturen kraftvoll expressiv und raumgreifend waren, waren diese Objekte eher der Schwerkraft verpflichtet. Sie erinnerten an Kuhfladen und stießen mich eher ab. Aber ein paar Räume weiter hingen Zeichnungen. Da begegnete mir der Name Beuys erneut. Sie waren von ungesehener Raffinesse und übten sofort eine starke Anziehung auf mich aus.
Was muss man über Fett und Filz wissen, um Beuys zu verstehen? Eigentlich gar nichts. Der Zugang geht über das Werk allein. Fett und Filz haftet zwar etwas Unstabiles an, sodass es absurd erscheint, sie für Plastiken zu verwenden. Aber Beuys eröffnete damit neue Assoziationsfelder. Eine Kunst der bourgeoisen Befriedigung ist das allerdings nicht, kann es aber werden, wenn man sich drauf einlässt.
Lothar Schirmer
Der Verleger war immer nah an den Künstlern.
(Foto: Michaela Angermair)
Was brachten Beuys“ Werke bei Ihnen zum Schwingen? Es war ein spielerisch-anarchistisches Moment, das mich interessierte. Auf der Suche, die Welt zu verstehen, schien mir Joseph Beuys ein friedseliger Kämpfer zu sein, der jede körperliche Gewalt ablehnte. Im militärischen wie im sozialchirurgischen Sinn. Seine Idee war, dass jeder Mensch seine Freiheit selbst würde finden können. Und dass die Ästhetik die Begleiterscheinung jeder menschlichen Tätigkeit sei. Die Utopie gefällt mir noch heute.
Wie groß war die Skepsis der Sammler 1965 bei der ersten Beuys-Ausstellung in der Düsseldorfer Galerie Schmela? Ich weiß, dass es sich mit den Verkäufen in Grenzen hielt. Kasper König erwarb das Werk „Schneefall“. Den Rest hat Beuys wieder an sich genommen. Er war damals in Düsseldorf schon bekannt, aber seine Radikalität war vielen suspekt. Der große Coup kam zwei Jahre später im Mönchengladbacher Museum. Da wurde die Schmela-Show in ein größeres Ensemble integriert. Die Besucher, ich auch, hofften, das eine oder andere Werk zu erwerben. Da saß der Schock tief, als der Münchener Kunsthändler Franz Dahlem mit dem Industriellen Karl Ströher auftauchte und wie im Handstreich die ganze Ausstellung aufkaufte.
Lothar Schirmer
wurde 1945 geboren. Früh schloss er Freundschaft mit Künstlern wie Joseph Beuys und Cy Twombly. Durch den An- und Weiterverkauf von Kunstdrucken und Zeichnungen schuf Schirmer das Startkapital für seinen Verlag.
für Kunstbücher gründete der Betriebswirt 1974 zusammen mit dem Werbegrafiker Erik Mosel. Schirmer entdeckte den fast vergessenen Fotografen August Sander wieder. Aktuell sind 20 Bände zu Beuys lieferbar. Säulen des Verlags sind Frida Kahlo, Anselm Kiefer und Cy Twombly.
Ging die Idee von Beuys aus? Sagen wir mal so: Er hasste die Methode vieler Sammler, von einem Künstler zwei, drei Werke zu kaufen, um dann zum nächsten überzugehen. Beuys hatte immer ein strategisches Interesse, dass seine Werke zu bestimmten Schwerpunkten in bestimmten Händen zusammenbleiben. Das war sein Kunstanspruch. Dahinter stand natürlich das Konzept des Gesamtkunstwerks.
Ströhers sogenannten „Beuys-Block“ erwarb das Hessische Landesmuseum in Darmstadt 1988 für 16 Millionen D-Mark. Wurde Beuys schon in den 1960ern hoch gehandelt? Der Preis für Ströher ist nie durchgesickert, aber es wurde ein Arrangement getroffen: Teile, die sich im Guss vervielfältigen ließen, duften vervielfältigt und vom Sammler veräußert werden. Es waren enorme Summen im Spiel. Dann ging es ja auch noch um den sogenannten Fettstuhl. Den besaß der Wuppertaler Textilfabrikant Baum. Franz Dahlem hat ihn mit einem Scheck von Herrn Ströher der Familie Baum entlockt. Der muss so hoch gewesen sein, dass die Baums nicht eine Minute zögerten.
Joseph Beuys „Filzanzug“
Bei Grisebach brachte eines dieser Multiples Ende 2020 den stolzen Preis von 137.500 Euro.
(Foto: Joseph Beuys Estate/VG Bild-Kunst, Bonn 2015 Foto: Mario Gastin)
War der Ströher-Kauf in Mönchengladbach der Ritterschlag für Beuys? Der Frust der leer ausgehenden Sammler rief einen bestimmten Wettbewerbseffekt hervor. Das ist das, was der Kaufmann unbefriedigte Nachfrage nennt. Aber es hatte auch einen kulturellen Effekt. Die Ausstellung der Ströher-Sammlung ist danach durch zahlreiche Museen getourt. Der Kulturkampf, den Beuys mitentzündet hatte, war damit entschieden. Die ganze deutsche Kulturszene stand ja bis weit in die 1960er-Jahre hinein unter dem Leitgedanken der Wiedergutmachung für die verfemte Moderne während der Nazizeit. Das hatte zur Folge, dass die aktuelle Kunst in den Museen keine Rolle spielte. Es gab einen Wahrnehmungsstau.
Sie meinen, Beuys stieß auf ein Bedürfnis nach einer Kunst, deren Wurzeln nicht in der Vergangenheit lagen? Interessanterweise wurde dieser Nachholbedarf von großen unternehmerischen Persönlichkeiten eingeleitet. Ströher war damals ja schon 78 Jahre alt. Aber auch der junge Jost Herbig, Spross der Lackfabrik Herbol, die an die BASF verkauft wurde, interessierte sich für Beuys. Er kaufte das berühmte „Rudel“ 1969 auf dem „Kölner Kunstmarkt“– für angeblich 110.000 Mark. Und dann kam der Berliner Immobilienunternehmer Erich Marx dazu. Mit all diesen Leuten konnte Beuys ausgesprochen gut umgehen. Und sie alle waren sich einig: Das ist eine große, neue Kunst. Obwohl die Beuys’schen Referenzen sogar sehr weit zurückliegen, in der Romantik und beim Symbolismus zum Beispiel.
Hat das den Markt befeuert? In den Galerien gab es kaum etwas. Beuys hat die Galeristen nicht ausgeschaltet, aber eine treue Sammlergemeinde an sich gebunden. Er teilte Kunstwerke zu. Ich war anfangs süchtig nach Zeichnungen. Aber eines Tages wollte ich auch ein Objekt und besuchte ihn 1967. Ich entdeckte eine Scheibe mit einem Schaf darauf, umwickelt von weißem Verbandmull. Er verkaufte sie mir nicht. Stattdessen öffnete er einen Schrank und meinte: „Nehmen Sie doch das hier.“ Zu meiner Verblüffung zeigte er auf die „Bienenkönigin“, die mich auf der Documenta noch das Fürchten gelehrt hatte. Ich erwarb sie für 1500 Mark. Was seine Preise betraf, agierte er nach dem Landarztprinzip: Jeder gibt das, was er ermöglichen kann, und wird trotzdem gut behandelt.
Joseph Beuys „The Pack (das Rudel)“ in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf
Der junge Jost Herbig, Spross der Lackfabrik Herbol, kaufte das „Rudel“ 1969 auf dem „Kölner Kunstmarkt“– angeblich für 110.000 D-Mark.
Galt das Landarztprinzip auch für das Environment „Vor dem Aufbruch aus Lager I“, das Sie 1972 für 80.000 D-Mark kauften? Sie waren keine 30 Jahre alt! Es war ja eine große Arbeit. Ich hatte sie mir allerdings etwas kleiner vorgestellt. Er hatte mir zuvor einen Kubus gezeigt und meinte, daraus eine Art Hirschdenkmal für mich zu machen. Aber dann war es ein ganzes Zimmer geworden. Wenn ich es nicht genommen hätte, wer weiß, wie der Landarztpreis für den nächsten ausgesehen hätte? Ich konnte es kaufen, weil er als Zahlungsziel „open end“ einräumte.
Die große Preisschlacht setzte mit Beuys“ Tod ein. Die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen erwarb 1991 die letzte große Beuys-Installation, „Palazzo Regale“, für angeblich 6,5 Millionen D-Mark. Das „Rudel“ kostete die Neue Galerie Kassel letztlich 16 Millionen D-Mark. Die große Preisschlacht hat noch gar nicht begonnen. Es fehlen im Moment Schlüsselwerke, aber parallel zu den Installationen hat Beuys zum Teil sehr interessante Multiples produziert. Drei, vier davon sind heute sehr gesucht, wie der „Filzanzug“, der „Silberbesen“ oder die „Schlitten“. Der Filzanzug erzielte 2020 in einem Auktionshaus 137.000 Euro. Das find ich doch ganz hübsch für eine Sache, die vor fünfzig Jahren auf dem Kölner Kunstmarkt 1000 Mark gekostet hat und die es hundert Mal gibt.
Warum hat Beuys Multiples gemacht? Als Akt der Demokratisierung von Kunst? Ich glaube, weil er der Nachfrage ab einem gewissen Punkt nicht anders entsprechen konnte. Er wollte niemals ein unikates Objekt zweimal ausführen. Das lehnte er ab. Auf der anderen Seite wollte er populär sein. Er hat im Laufe der Jahre die Produktion von Kunst zugunsten seiner politischen Aktionen reduziert. Viele seiner Freunde, darunter auch ich, hielten es für Verschwendung, dass er sich auf die Straße gestellt und politische Agitation betrieben hat.
In Ihrem Verlag gibt es derzeit über 20 lieferbare Bücher zu Beuys, mehr als 50 Titel haben Sie insgesamt produziert. Ist Beuys eine verlegerische Jahrhundertaufgabe? Allein das Werkverzeichnis ist eine Hürde, an der schon manche gescheitert sind. Sein Werk ist so vielfältig und komplex und wird bislang nur fragmentarisch wahrgenommen. Ich habe 1972 das allererste Buch über Beuys gemacht, mit Zeichnungen von ihm. Wegen Beuys bin ich Verleger geworden. Bis heute ist nur ein Teil seiner Zeichnungen wissenschaftlich aufgearbeitet. Ganz zu schweigen von den Fotografien seiner Aktionen und Performances. Eine, die Beuys“ Aktionen jahrelang begleitet hat, war Ute Klophaus. Da gab es den Deal, dass sich Beuys als Erster aus ihren Fotos seine Favoriten aussuchen durfte. Aber der Zweite, der bei ihr an die Tür klopfte, war ich. So ist in meiner Sammlung ein fast kompletter Fundus von Beuys-Klophaus-Fotos entstanden. Er wird im Herbst erstmals im Wuppertaler Von der Heydt Museum gezeigt.
Jospeh Beuys „Vor dem Aufbruch aus Lager I“
Die Installation konnte der 30-jährige Schirmer nur kaufen, weil der Künstler als Zahlungsziel „open end“ einräumte.
(Foto: Joseph Beuys Estate/VG Bild-Kunst, Bonn 2016 Foto: Lenbachhaus)
Kann eine Fotografie den Geist einer Performance transportieren? Ich verstehe die Performances als unsichtbare Skulpturen. Ute Klophaus hat in ihren Fotografien Beuys mit stummfilmhaftem Glamour übergossen. In diesen Fotos glüht die Flamme weiter. Wenn ein großer Künstler ein großes Werk hinterlässt, kommt immer wieder die Zeit, wo ein Funke überspringt. Schauen Sie sich die Performances von Marina Abramovic an, da steckt viel Beuys drin.
Wie oft klopfen Auktionshäuser und Galeristen an Ihre Tür zwecks Akquise? Gar nicht. Es hat sich herumgesprochen, dass ich immer noch auf der Seite der Käufer stehe. Die großen Objekte meiner Sammlung befinden sich schon im Lenbachhaus München. Und die Fotos und Zeichnungen sollen auch dort ihren Platz finden. Jedenfalls sollen sie zusammenbleiben. Das bin ich Beuys schuldig.
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